: Für 80 Mark in den Zoo
Der Rhein-Main Verkehrsverbund schröpft seine Kundschaft mit überhöhten Tarifen, die Gemeinden protestieren. ■ Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt
Drei Buchstaben ließen den Sozialdemokraten ausrasten. Dabei galt Wolfgang Schneider, Fraktionsvorsitzender im Gemeindeparlament von Bischofsheim (Mainspitze) in seiner Partei bisher als Vorkämpfer für die Ökologie. Aber jetzt rief der schwergewichtige Mann mit hochrotem Kopf zum Boykott von Bussen und Bahnen auf. Ein Auto sei immer noch besser als alles, was da unter der Regie des RMV, der Vereinigung der regionalen Personennahverkehrsträger, fahre.
Erst im Mai war der Verkehrsverbund aus dem südhessischen Boden gestampft worden. Der größte seiner Art in ganz Europa soll er sein. Seither sind die Lokalzeitungen gefüllt mit LeserInnenbriefen, die dem Ärger Luft verschaffen. Von „Beutelschneiderei“ ist die Rede. Und von unzumutbaren Wartezeiten auf den Bahnsteigen verdreckter Bahnhöfe. Für die dem RMV angeschlossenen Strecken der Bundesbahn, so schimpfen etwa PendlerInnen auf der Eisenbahnlinie von Darmstadt nach Wiesbaden, setze die Bahn auf Rechnung des RMV „völlig versiffte Waggons“ ein.
Der RMV beute auch die BürgerInnen von Bischofsheim und der Nachbargemeinde Ginsheim- Gustavsburg mit „Wucherfahrpreisen“ gnadenlos aus, schimpft Wolfgang Schneider. Außerdem seien die Taktzeiten schlechter und die kürzeren Züge überfüllt – vor allem bei den S-Bahn-Verbindungen nach Frankfurt/Main und Wiesbaden. Der Beifall war ihm in dieser Sitzung des Gemeinderates sicher – auch wenn am Ende niemand seinen Aufruf zum Umsteigen auf den PKW unterschreiben wollte. Doch zu einer einstimmig verabschiedeten geharnischten Protestresolution an die Adresse des RMV und der zuständigen Kreisverwaltung (Groß-Gerau) reichte es allemal: runter mit den Preisen, die Taktzeiten verbessern und längere Züge einsetzen!
Einen ersten Erfolg seiner Verhandlungen konnte Bürgermeister Berthold Döß (SPD) kurz danach vermelden. Die Einzelfahrscheine für die Busse der in den RMV integrierten Stadtwerke Rüsselsheim, die Bischofsheim mit dem größten Arbeitgeber der Region, der Adam Opel AG, verbinden, wurden wieder billiger. Doch nach dem weiter gültigen Tarif für Monatskarten müssen etwa SchülerInnen aus Bischofsheim, die die Gymnasien in Rüsselsheim besuchen, rund 70 Mark im Monat hinlegen – für eine etwa vier Kilometer kurze Strecke, für die sie früher 30 Mark hatten bezahlen müssen. „Das muß sich noch ändern“, sagt Bürgermeister Döß. Und auch die Fahrkarten für die Pendler vor allem nach Frankfurt/Main müßten wieder preiswerter werden. Döß: „Knapp 200 Mark für eine Monatskarte – da bringt man keinen Pendler dazu, vom Auto auf die S-Bahn umzusteigen.“
Nicht nur in Bischofsheim regt sich Widerstand gegen den RMV. Für eine einfache Fahrt mit der S-Bahn etwa von Gustavsburg nach Frankfurt müssen heute knapp 10 Mark in den Automaten gesteckt werden, vor dem viele kopfschüttelnd stehen, weil sie mit dem elektronischen Sensorensystem und der Fahrzielwahl mit der Nummerntastatur nicht zurechtkommen. „Wenn wir als vierköpfige Familie mit der S-Bahn in den Zoo nach Frankfurt fahren wollen, müssen wir hin und zurück fast 80 Mark hinlegen“, klagte der Verwaltungsangestellte Dieter Hintze aus Gustavsburg. Mit dem Auto inklusive Parkgebühren koste ihn der Spaß dagegen nur rund 20 Mark. „Busse und Bahnen: die grüne Welle für Vernunft?“ Hintze kann sich da nur noch an die Stirn tippen und den RMV verfluchen. So wie die Vertriebsleiterin Maria Schmidt aus Bischofsheim, die für die Hin- und Rückfahrt mit der S-Bahn zu einem Konzert in Offenbach exakt 27 Mark bezahlt hat. „Für das Geld hätte ich mit dem Auto meine Freundin mitnehmen und ihr dazu noch die Hälfte der Konzertkarte spendieren können.“
Die Verantwortlichen im RMV ließen die Proteste lange kalt. Landrat Jochen Riebel (CDU) aus dem Main-Taunus-Kreis, der die Zentrale des RMV in seine Kreisstadt Hofheim holte, verbat sich öffentlich jede Kritik. Und nach einem RMV-Hearing in Bischofsheim klagten die ZuhörerInnen über die „Arroganz“, mit der RMV-Geschäftsführer Volker Sparmann alle Einsprüche „abgebügelt“ habe. Die Bürgermeister Döß und Neumann (Ginsheim- Gustavsburg) und der im Landkreis Groß-Gerau für die Verkehrspolitik zuständige Kreisbeigeordnete Volkmar Schirmer von den Bündnisgrünen haben allerdings einige Zugeständnisse aushandeln können: Ab sofort, so versicherten die RMV-Verantwortlichen, würden auf der S-Bahn- Strecke Wiesbaden–Frankfurt wieder längere Züge zum Einsatz kommen. Und eine Monatskarte nach Frankfurt soll rund 40 Mark billger werden – ab Januar 1996.
Eine halbe Million Mark Einnahmen werde dem RMV durch die Lappen gehen, klagt Sparmann. Wer soll das bezahlen? Die Kommunen nicht, sagen die Bürgermeister, sie hätten die „Mondpreise“ nicht erfunden. Der Landkreis? Leere Kassen überall. Das Land Hessen? Das müßte seinen Beitrag dazu leisten, meinen die Bürgermeister. Und der RMV? „Der sowieso“, sagt Bürgermeister Döß.
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