Ärger um „Invasion der Festplatten“

■ Mitglieder der Internet-Gemeinde propagieren Boykott

„Boykottiert Microsoft, egal was es kostet!“ Der Kanadier Carl Constantine ist einer von vielen in den internationalen Diskussionsgruppen des Internet, des weltweiten nichtkommerziellen Systems, über das etwa 30 bis 50 Millionen ComputernutzerInnen Daten austauschen. Die Kritiker unter ihnen protestieren gegen die Softwarefirma aus Redmond im US-Bundesstaat Washington, weil das Unternehmen „nur am allmächtigen Dollar interessiert ist und sich um die Bedürfnisse der Kunden nicht schert“, so Constantine. Der US- Softwarespezialist Philipp Burgess antwortet prompt: „Kein Grund zur Verbitterung. Einfach mit der Brieftasche abstimmen und die Produkte von anderen Firmen kaufen. Dann regelt sich alles von allein. Ich denke, das nennt sich Kapitalismus ...“

„So einfach ist das auch wieder nicht“, widerspricht der Informatiker Scott McMahan. „In meinem Büro gingen viele Dokumente verloren wegen der Macken von Microsoft Word. Trotzdem will unser Management, daß wir Word benutzen.“

Wenn Bill Gates, der Herrscher über den Softwaremarkt, in einem halben Jahr 20 bis 50 Millionen Exemplare seines neuen Computerbetriebssystems Windows95 verkaufen will, so ruft das bei der traditionell mißtrauischen Internet- Gemeinde die Angst hervor, sie könnten alle in die Fänge des Multimilliardärs geraten.

Wilde Gerüchte machen die Runde im Netz. Bei Windows 95 reicht ein einfacher Mausklick, um sich für das Microsoft Network registrieren zu lassen, einen On-line- Dienst des Konzerns für Finanzgeschäfte, Nachrichten und Unterhaltung. Die Teilnehmer am Network würden ausspioniert, heißt es: Über die Telefonleitung (Modem) werde ein Verzeichnis der heimischen Festplatte in die US- Konzernzentrale kopiert. Damit könne Microsoft kontrollieren, ob eventuell nichtbezahlte Programme benutzt werden – ausgesprochen delikat, denn wer hat schon alle Software beim Hersteller bezahlt und registriert? „Das wäre blödsinnig“, so eine Microsoft-Sprecherin. „Bei Millionen gewiefter User würden das doch Tausende bemerken.“ – Trotzdem ruft ein New Yorker „Committee to Fight Microsoft“ „im Namen aller Computer-User“ zum weltweiten Boykott auf, um die „Invasion ihrer Festplatten“ zu stoppen. Aber das wird die vielen Microsoft-Kunden wohl nicht daran hindern, weiter auf die gewohnte Software aus Redmond zu setzen. Tausende von Programmen für alle möglichen Anwendungen regen die Kauflust an. „Wißt ihr“, meinte ein User am Ende einer heißen Internet-Diskussion, „es gibt nunmal einen Haufen Leute, die Microsoft-Programme mögen. Boykottiert ihr nur, solange ihr wollt.“ Das mußte indirekt auch einer der abfällig mitdiskutierenden Apple- Nutzer anerkennen. Beiläufig fragte er: „Microsoft hat einen interessanten Multimedia-Weinführer. Kennt irgend jemand irgendwas Vergleichbares, das nicht von MS kommt?“ Michael Gellner