■ Windows 95 heißt die neue Zauberformel der US-amerikanischen Softwarefirma Microsoft. Der Große Kommunikator Bill Gates wirft ein Programm auf den Markt, und die Computerindustrie schwankt zwischen Panik und orgiastischen Zuckungen.
: Lukra

Windows 95 heißt die neue Zauberformel der US-amerikanischen Softwarefirma Microsoft. Der Große Kommunikator Bill Gates wirft ein Programm auf den Markt, und die Computerindustrie schwankt zwischen Panik und orgiastischen Zuckungen.

Lukrativer Blick durchs neue Fenster

In der Geschichte der Weltwirtschaft wird der VW Käfer wie ein kleines Marketing-Fürzchen dastehen. Was sind schon gut 20 Millionen verkaufte Buckelporsches gegen die 50 bis 70 Millionen Exemplare, die der Softwarekonzern Microsoft schon in den ersten 18 Monaten von seinem neuesten Programm, Windows 95, unter die Leute bringen wird? Die Computerindustrie, mit ihren jährlich zweistelligen Zuwachsraten die Sonne der Fetischisten des ewigen Wirtschaftswachstums, zittert vor dem großen Meister William „Bill“ Gates III. Der Chef und Hauptaktionär von Microsoft, je nach dem Kurs seiner Aktien mal der reichste, mal der zweitreichste Mann der Welt, besitzt für ComputernutzerInnen die Basis ihres Schaffens: Sein Betriebssystem bestimmt, welche Programme auf dem PC laufen und wie der Computer mit seiner Peripherie – Bildschirm, Drucker oder CD-Laufwerk – zusammenarbeitet.

80 Prozent von über 200 Millionen Personalcomputern auf der Welt laufen schon mit den beiden Vorgängerprogrammen von Microsoft, dem betagten DOS und Windows. Dadurch flossen Milliarden an Lizenzgebühren in die Kassen des Unternehmens. Und wer schon das Betriebssystem von einer Firma besitzt, kauft häufig auch die Anwendungssoftware aus dem gleichen Haus – Textverarbeitungsprogramme wie Word for Windows und die Tabellenkalkulation Excel fürs Büro.

Von einer Garagenfirma Anfang der achtziger Jahre stieg das Unternehmen aus Redmond bei Seattle so zum bestimmenden Hersteller für PC-Software auf. Die derzeit 17.800 Beschäftigten erwirtschafteten im gerade zu Ende gegangenen Geschäftsjahr einen Gewinn von etwa 2 Milliarden Mark – mehr als der Flugzeugriese Boeing gleich in der Nachbarschaft, mehr auch als zum Beispiel Mercedes-Benz mit 1,82 Milliarden Mark im letzten Jahr.

Eigentlich gäbe es Alternativen zu Microsoft, Apple und IBM etwa. Doch Bill Gates schlägt sie alle. Einmal, weil Softwarefirmen seit Jahren ihre Programme zuerst für den größten Markt, die Microsoft-Welt, vorstellen, die Kunden also eine größere Auswahl an Programmen haben. Außerdem ist Gates das Marketinggenie schlechthin. Eine erfolgversprechende Idee erkennt er schnell und propagiert sie dann mit einem Aufwand, bei dem andere einfach nicht mehr mithalten können. Für die Entwicklung und Vermarktung von Windows 95 gab Microsoft bisher 400 Millionen Dollar aus.

Seit zwei Jahren wird Windows 95 angekündigt. Wegen vieler Fehler in dem Riesenprogramm mit 15 Millionen Zeilen Programmcode wurde das Erscheinungsdatum immer wieder verschoben. Ab dem 24. August können es nun die US- Amerikaner kaufen, zwei Wochen später ist es auch in deutschen Läden zu haben. Bei einem Verkaufspreis von 100 Dollar in der neuen Welt und etwa 200 Mark in Europa winken Gates weitere Milliardeneinnahmen – ganz zu schweigen von den Folgeeinnahmen für neue, auf Windows 95 zugeschnittene Software.

Die Hersteller von Personalcomputern sitzen mit Gates in einem Boot, trotz aller Vorbehalte gegen seine oft rüde Lizenzpolitik. Denn das neue Windows 95 ist zwar schneller als seine Vorgänger, das aber vor allem wegen der teuren Hardware, die das Programm benötigt. Wer sich an allen Features des Wunderdings erfreuen will, hat am besten einen brandneuen Pentium-Prozessor im PC, der außerdem mit einem Arbeitsspeicher von 16 Megabyte zusammenarbeitet; die meisten ComputerbesitzerInnen haben jedoch nur 4 Megabyte zur Verfügung. Da werden schnell Nachrüstungen von 600 bis 1.000 Mark fällig.

Die PC-Branche ist also abhängig von Bill Gates. Doch der hat schon den nächsten Markt im Visier, die On-line-Dienste. Weil schon zwischen 30 und 50 Millionen Menschen an internationalen Computernetzen hängen, drängen Warenhäuser, Banken, Verlage und die Werbewirtschaft in diesen Markt. Jeder On-line-Kunde ist dabei Gold wert, denn er verspricht leichte Geschäfte. Wer von zu Hause aus einkauft, belästigt keinen Verkäufer mit langen Gesprächen, kein Quadratmeter Geschäftsraum in teuren Citylagen muß für diese Klientel angemietet werden.

Trotzdem ist Bill Gates kein Weltenherrscher, noch nicht mal ein zweiter Rockefeller. Der hatte über seine Standard Oil die Kontrolle über die amerikanischen Ölquellen, die materielle Grundlage der Wirtschaft. Software hingegen ist kein begrenztes Gut, es kann von Menschen prinzipiell in unbegrenzter Menge erschaffen werden. Microsoft kann also nur solange Programme verkaufen, wie die PC-„UserInnen“ den Nutzen höher einschätzen als die Kosten. Die Preise hochtreiben durch eine Verknappung der monopolisierten Güter, das ist auf diesem Markt unmöglich. Außerdem ist Microsoft im profitablen Bereich der Unternehmenskommunikation mit Tausenden von Rechnern, die mit teuren Programmen vernetzt sind, bisher nur wenig erfolgreich. Dort herrscht nach wie vor ein Riese, den viele schon längst totgesagt hatten, „Big Blue“ IBM. Der Konzern mit Sitz in Armonk bei New York zeigte dem Emporkömmling von der Westküste erst kürzlich wieder, wo der Barthel den Most holt: In der IBM-Bilanz stand ein Gewinn von 4 Milliarden Mark – nur für die letzten sechs Monate. Reiner Metzger