Die Kamera ist immer dabei

■ Wenn die Kamera auch ins Klo glotzt: Seit drei Wochen lebt der Aktionskünstler Käthe Be in seiner Ladenwohnung, rund um die Uhr einsehbar für Passanten und Neugierige

Die totale Überwachung und die Aufgabe intimer Sphären – Alptraum oder Selbsterfahrung? Der Projektkünstler „Käthe Be“ probiert es gerade aus. In der verkehrsreichen Rosenthaler Straße in Mitte wohnt, lebt und schläft er seit gut drei Wochen hinter einer riesigen Schaufensterscheibe und einer gläsernen Eingangstür vor den Augen von Passanten und anderen Neugierigen.

Damit denen auch ja keine Einzelheit von „Käthe Be at home“ entgeht, laufen ununterbrochen vier von einer Firma spendierte Videokameras, im „Wohnzimmer“, in der Toilette, in der Dusche und in der Küche. Ob Käthe Be aufs Klo geht, seine Kontaktlinsen einlegt oder seinen Kopf rasiert und eincremt – all das ist auf dem viergeteilten Bildschirm im Schaufenster genauso zu verfolgen, wie wenn er in der Küche Eier brät. Auch im Flur ist Käthe Be den Blicken ausgeliefert.

Die Idee, „öffentlich“ zu leben, wurde geboren, so sagt der Künstler, als ihm eine Freundin erzählte, wie besonders geborgen sie sich in ihrem fensterlosen Bad fühle. Da wollte Käthe Be eben einmal genau das Gegenteil ausprobieren. Sein Domizil hat er nebst Plattenspielerturm aus den 60er Jahren, überlebensgroßem Porträt und Wachhund Sherlock Holmes in den Räumen einer ehemaligen Galerie in den Hackeschen Höfen bezogen.

Immer wieder drücken sich Passanten auf der Straße oder Bauarbeiter auf dem Gerüst vor der Hausnummer 41 die Nase an der Scheibe platt. Wer anklopft, darf natürlich auch reinkommen – da ist Käthe Be großzügig: „Aber nicht so wie in eine Galerie, sondern so, als ob man zu Besuch kommt.“ Manchmal fragt auch ein ganz Mutiger, ob er mal die Toilette benutzen dürfe, und seine Kumpels schauen draußen auf dem Bildschirm zu, wie's aussieht. „Dabei ist die Kamera so installiert, daß man nicht mal sieht, ob es ein Junge oder Mädchen ist“, wundert sich der Künstler über das Interesse an der alltäglichen Notdurft.

Er selbst hat sich inzwischen an seine neue Behausung, die er für 460 Mark Mark monatlich von den Hackeschen Höfen gemietet hat und noch bis Oktober bewohnen will, gewöhnt.

„Als ich das erste Mal geduscht habe, war das so wie in der Fernsehwerbung, weil ich immer gedacht habe, die Leute gucken, ob ich mich auch gründlich wasche. Am Anfang konnte ich auch überhaupt nicht auf die Toilette gehen. Ging technisch nicht. Inzwischen schäme ich mich aber nicht mehr. Jeder macht doch eigentlich das gleiche. Ich fühle mich inzwischen rundum wohl und habe tierisch Spaß.“ Klargeworden ist dem Mann – der „keine Message“ und immer noch eine „richtige Wohnung“ hat – allerdings, daß „eine Frau das niemals machen könnte“.

Seine Freunde fanden es anfangs komisch, ihn in seinem „Glashaus“ zu besuchen. Sie dachten, „wenn sie drinnen sitzen, werden sie wie Doofe angeguckt“. Jetzt hätten aber viele gemerkt, daß der Blick von innen auch seinen Reiz hat: „Da sehen die draußen wie Blöde aus.“ Der Umzug an die Straße mit ihren vielen Baustellen, Autos und Straßenbahnen hat Käthe Bes normalen Tagesablauf nur unwesentlich durcheinandergebracht.

Nur morgens ist alles anders: „Ich stehe jetzt tierisch früh auf, weil es hier immer hammerhart laut ist“, beklagt sich der Mieter, der sonst lieber bis gegen Mittag schläft. Auch in seiner neuen Behausung bringt der Mann, der sein Alter nicht verraten will, „irgendwie den Tag rum“. Demnächst will er sich eine überdimensionale Autorennbahn zulegen und mit Passanten Autorennen spielen. Oder aber auf Hometrainern um die Wette fahren.

Nur die Liebe hat Käthe Be bisher aus seiner neuen Wohnform ausgeklammert. Lediglich sein orangefarbenes Teddybärchen kuschelt sich abends mit ihm unter die Decke des Doppelbettes und teilt seine Träume. Ausschließen will Käthe Be aber nichts. Claudia Pietsch