Der Asche entstiegen

■ Durch einen Sieg gegen Brasilien im Elfmeterschießen holte sich Uruguay in Montevideo die Copa America

Berlin (taz) – Nun gut, Brasilien mag viermal Weltmeister geworden sein, aber die Südamerikameisterschaft ist nach wie vor die Domäne Uruguays. Noch nie hat es die Mannschaft vom Rio de la Plata versäumt, den Titel zu holen, wenn das Turnier im eigenen Land ausgespielt wurde, noch nie hat sie ein Copa-America-Spiel im eigenen Stadion verloren. Vor dem Finale am Sonntag hatte Brasilien den 13 Cupgewinnen der Uruguayos seit 1916 lediglich läppische vier entgegenzusetzen, außerhalb des Landes war das Team bislang stets gescheitert.

Gegen eine derartige historische Übermacht kämpft auch ein Weltmeister vergeblich. Vor 70.000 Zuschauern im endlich gefüllten Centenario-Stadion von Montevideo setzte sich die Geschichte nahtlos fort: Uruguay gewann das Endspiel mit 5:3 im Elfmeterschießen, nachdem es am Ende der regulären Spielzeit 1:1 gestanden hatte. Auf den Straßen von Montevideo konnte das Freudenfest seinen Lauf nehmen.

Vom „Tag der Wiederauferstehung des uruguayischen Fußballs aus der Asche“ war die Rede, endlich vergessen das peinliche Scheitern des Weltmeisters von 1930 und 1950 in der Qualifikation für die WM 1994 an Bolivien und Brasilien. Keine Rede mehr auch von den Mißhelligkeiten während des Turniers, als völlig überzogene Eintrittspreise, leere Stadien und die Ausblendung Montevideos aus den Fernsehübertragungen von Spielen der uruguayischen „Celeste“ die Fans in Zorn versetzt hatten. Rechtzeitig zum Finale hatte der südamerikanische Fußballverband die Eintrittspreise reduziert und damit erstmals für ein gefülltes Stadion gesorgt, außerdem wurde die Live-Übertragung auch im Raum Montevideo genehmigt.

Was die uruguayischen Fußballanhänger zunächst sahen, gefiel ihnen allerdings nicht besonders. Brasilien dominierte die erste Halbzeit, und der berüchtigte Tulio, der durch sein Handtor Argentinien aus dem Turnier befördert hatte, erzielte in der 30. Minute auf Flanke des wegen seiner Wutanfälle nicht minder berüchtigten Romario-Freundes Edmundo das 1:0 für die Brasilianer. Zwei Minuten zuvor hatte deren Torwart Taffarel einen gefährlichen Kopfball von Daniel Fonseca pariert. Der leicht verletzte Fonseca, dessen Einsatz von vornherein fraglich gewesen war, blieb zur Pause in der Kabine, für ihn brachte Trainer Hector Nunez Pablo Bengoechea, der in der 51. Minute mit einem unhaltbaren Freistoß prompt den Ausgleich erzielte. Uruguay spielte jetzt, inspiriert vom während des gesamten Turniers überragenden Enzo Francescoli, erheblich besser und überstand auch die Schlußoffensive des ohne Romario zur Copa America gereisten Teams von Coach Mario Zagalo ohne weiteres Gegentor. Im Elfmeterschießen war es dann – Balsam für Argentiniens gekränkte Seelen – ausgerechnet Tulio, der mit dem entscheidenden Strafstoß an Torhüter Alvarez scheiterte.

Während in Uruguay natürlich eitel Freude herrschte, waren neutralere Beobachter nicht sonderlich begeistert vom Niveau des gesamten Turniers. Sie bemängelten das Fehlen des traditionellen Ballzaubers. Die meisten Teams bevorzugten den in Südamerika nicht gerade beliebten „europäischen“ Stil und verließen sich mehr auf Kampf, Defensive, taktische Disziplin und Kraft. Bezeichnend, daß vom Viertelfinale an die meisten Partien im Elfmeterschießen entschieden wurden, wenig Tore fielen und es die spielerisch schwachen USA mit ihrem kampfbetonten Fußball bis zum Halbfinale brachten. Ausnahmen bildeten lediglich der 34jährige Francescoli, dem Uruguay seinen Titelgewinn vornehmlich zu verdanken hat, und das kolumbianische Team um Carlos Valderrama, das durch seinen gewohnten Kombinationswirbel begeisterte, es aber erst beim 4:1 gegen die USA im Spiel um den dritten Platz schaffte, das Leder auch mal im gegnerischen Tor unterzubringen. Matti Lieske