Das vergessene KZ – der Loibl-Tunnel

■ Den Tunnel an der Südgrenze Österreichs bauten Häftlinge des KZ Mauthausen. Erst jetzt erinnert eine Gedenkstätte an die Opfer des Terrors.

Wer die Geschichte nicht kennt, wird diese Fahrt durch die herrliche Bergwelt unbedenklich genießen. Zum Beispiel von Klagenfurt aus, weiter in Richtung Karawanken – immer noch ist dort „Jugoslawien“ ausgeschildert – über die Paßstraße am Loibl. Hoch oben die Grenze zu Slowenien. Den Tunnel benutzen nur die hastigen Transiturlauber. Aber wer sich etwas Muße gönnt, wird auf der Südseite wohl kaum an jener repräsentativen Gedenkstätte zu beiden Seiten der Straße vorbeibrausen, die darüber aufklärt, daß sich hier einst eine Baustelle des Todes befunden hat: eines der beiden Außenlager des KZ Mauthausen für den Bau des Loibl-Tunnels. Am Nordportal auf der Kärntner Seite waren bis vor wenigen Wochen die Fundamente des Lagers noch von Gras überwuchert, die Spuren der Opfer und Täter gleichermaßen verwischt. 50 Jahre lang war die Existenz dieses Konzentrationslagers in Kärnten ein Tabu. „Wer einmal zu fragen und zu forschen beginnt, dem eröffnet sich ein Abgrund, und jenseits des Abgrundes befindet sich die Schweigemauer, schreibt Peter Gstettner, Professor an der Universität Klagenfurt, in seinem Vorwort zu Josef Zausnigs Buch „Der Loibl-Tunnel. Das vergessene KZ an der Südgrenze Österreichs“. Dieses Buch ist ein Ergebnis eines Forschungsprojektes der Klagenfurter Universität. Im Gefolge einer Bürgerinitiative „Mauthausen Aktiv“ hat es binnen kurzem nicht nur viel (politischen) Staub aufgewirbelt, sondern ganze Geröllmassen verschütteter Erinnerungen freigelegt.

Das Buch umfaßt den Zeitabschnitt von 1943 bis 1945: die Vorbereitungsarbeiten für den Bau der für Hitler-Deutschland strategisch wichtigen Nord-Süd-Verbindung, die Errichtung des ersten KZ auf der Südseite des Loibl, die Selektion von „Menschenmaterial“ im KZ Mauthausen für das „Kommando X“, das sich die SS in Verträgen mit der „Universale Hoch- und Tiefbau AG Klagenfurt“ für den Bau des Tunnels bereitzustellen verpflichtet hat: politische Häftlinge, Widerstandskämpfer, Zigeuner, Juden, in der Mehrzahl Franzosen, aber auch Tschechen, Belgier, Niederländer, Norweger und, nicht zuletzt, „slawische Untermenschen“ aus dem damaligen Jugoslawien und aus Polen. Es erinnert weiter an den Bau des zweiten KZ auf der Nordseite durch die Häftlinge, den täglichen Terror im Lager, die Kontakte von Häftlingen zum Partisanenwiderstand, ihre Fluchtversuche und schließlich ihre Befreiung im Mai 1945. An die 1.300 Häftlinge wurden bis Kriegsende in den beiden Lagern interniert und für den Tunnelbau am Loibl „verschlissen“.

„Ein Buch, auf das man 50 Jahre warten mußte“, schrieb der kärnterslowenische Drava-Verlag. Und das ist keine reißerische Floskel, mit der sich der Verlag im 50sten Gedenkjahr an die Befreiung vom Hitlerfaschismus auf dem Buchmarkt einzuschmeicheln sucht. Diese Rekonstruktion der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist doppelt lesenswert. Vor allem durch die sensible Befragung von Zeitzeugen erlangen die Leser Kenntnis auch von diesem Baustein der Perversion menschlichen Denkens und Handelns. Und sie erfahren viel von alarmierenden Defiziten im Bewußtsein der österreichischen Gesellschaft. Viele Menschen wollen auch dort immer noch nicht wahrhaben, welche Verbrechen in ihrer nächsten Umgebung, nicht zuletzt auch an der autochthonen Minderheit der Kärntner Slowenen unter politischen Vorzeichen begangen wurden.

Peter Gstettner kommentiert im Vorwort: „... hier in Kärnten spielten sich alle Formen von Nazi- Verbrechen ab, die es anderswo auch gegeben hat. Mit offenem Entsetzen und öffentlicher Abscheu können wir aber nur dann reagieren, wenn Orte und Personen weit genug von uns entfernt sind, wenn wir sie nicht zu unserer ,Heimat‘ rechnen müssen ... Unsere Unkenntnis hängt vermutlich aber auch damit zusammen, daß in der offiziellen Kärtner Geschichtsschreibung der Partisanenwiderstand stets als eine ,auswärtige‘, sprich ,jugoslawische‘ Angelegenheit dargestellt wird, die nach Kärnten ,hereingetragen‘ worden sei. Auf diese Weise wird ... den Kärntner SlowenInnen ein Teil ihrer Leidens- und Widerstandsgeschichte genommen.“

Selbst Kärntner Landeshauptmann Zernatto wußte nach eigenem Bekunden nicht, wer den Loibl-Tunnel gebaut hat. Nun endlich konnte die Klagenfurter Bürgerinitiative einen respektablen Erfolg verbuchen: Am 10.Juni wurde eine Gedenkstätte am Loibl-Portal Nord eingeweiht. Der freundschaftlichen Begegnung von Sloweniens Staatspräsident Kucan mit hohen österreichischen Regierungsvertretern bei den grenzüberschreitenden Feierlichkeiten kommt mehr als nur protokollarische Bedeutung zu. Ursula Rütten

Josef Zausnig: „Der Loibl-Tunnel. Das vergessene KZ an der Südgrenze Österreichs“. Drava-Verlag, Klagenfurt 1995, 176 Seiten, 28 DM