piwik no script img

Nach der Armee die Camper

Im Kriegsgebiet im mexikanischen Chiapas versuchen „Friedenscamps“, die Dörfer vor den Regierungssoldaten zu beschützen  ■ Aus dem Lacandonen-Wald Anne Huffschmid

Der Soldat mit der Maschinenpistole im Anschlag schwitzt unter seinem Helm. Über einen Monat sei er schon hier, antwortet er höflich. Anstrengend sei es, die Hitze, der Regen, die vielen Mücken. Wie lange noch, das wisse niemand. Aber schließlich, so der Mann mit den indianischen Gesichtszügen unbehaglich, sei man nur hier, „um die Zivilbevölkerung zu schützen“.

Kurz hinter der Provinzhauptstadt Ocosingo beginnt der schmale Schotterweg, der sich in das grüne Hügelmeer schlängelt. Staub oder Schlamm, das ist hier – zur Regenzeit, also fast immer – die Frage für die wenigen Fahrzeuge, die sich in die holprige Schneise wagen. Einmal am Tag tuckert ein mit Menschen und Maissäcken beladener Viehlaster die „Straße“ bis zu ihrem Ende, nach San Quintin. Neuerdings wird der Weg an verschiedenen Stellen ausgebessert, damit auch die schwerfälligen Armeefahrzeuge das unwegsame Gelände befahren können.

Immer wieder poltern olivgrüne Laster und kleinere Panzerwagen vorbei, auf denen Uniformierte in voller Kampfmontur posieren. Hinter einem Unterstand, der offenbar mit der strategischen Bewachung einer Brücke betraut ist, taucht endlich die gesuchte Lichtung auf. Ein langer dürrer Fahnenmast ragt aus dem Grün, an dessen Spitze eine winzige Nationalflagge flattert.

Im Umgang mit Fremden sind die BewohnerInnen der abgelegenen Dschungelgemeinde, die vor fünfunddreißig Jahren von ehemaligen Finca-Tagelöhnern gegründet wurde, allmählich geübt. Seit ein paar Monaten schon herrscht bei ihnen ein reges Kommen und Gehen. Zuerst war es die Armee, die im Februar den Lacandonen- Dschungel nach „Subversiven“ absuchte und dabei auch auf ihr kleines Dorf gestoßen war, ohne freilich einen einzigen Menschen anzutreffen – die siebzig Familien hatten sich wohlweislich in die Berge geflüchtet. Einen ganzen Monat haben sie dort ausgeharrt, geplagt von unbekannten Krankheiten, ohne Wasser und mit ein paar Tortillas pro Tag. Die Angst vor dem Militär war zu groß.

Heruntergetraut haben sie sich erst wieder, als Anfang März die ersten unabhängigen „Friedensbeobachter“ ihre Zelte im Dorf aufschlugen. Eine Frauengruppe aus Mexiko-Stadt betreibt hier seitdem eines der 22 „zivilen Friedenscamps“, die im Kriegsgebiet von diversen regierungsunabhängigen Organisationen zum Schutz der besonders bedrohten Dorfgemeinschaften errichtet wurden und in denen, so Camp-Koordinator Pablo Romo, bisher über 5.000 Freiwillige aus aller Welt ein- und ausgegangen sind.

Zwar wurde ihnen beim „Sensibilisierungskurs“ in der Hauptstadt neben diversen Benimmregeln – wie „Kein Paternalismus!“ oder „Bloß keine Shorts!“ – auch eingebleut, den Gastgebern niemals „verfängliche Fragen“ zu stellen. Aber es genügt völlig, Augen und Ohren offenzuhalten, um festzustellen, daß man sich hier unter AnhängerInnen der zapatistischen Guerilla befindet. „Es ist ein sauberer und kein schmutziger Krieg, den wir hier führen“, stellt Pablo kategorisch fest. „Wir“, sagt er, nicht „sie“.

Jeden Samstag, so erfahren wir später, sammelt die Gemeinde Lebensmittel für die „compañeros“ in den Bergen. Doch die Verbindung geht allem Anschein nach noch darüber hinaus. Denn auffällig ist nicht nur die durchtrainierte Erscheinung von einigen der jungen Männer im Dorf, sondern auch ihre geschliffene Rede. „Die Regierung will einen fortgeschrittenen Krebs mit Aspirin heilen“, sagt Pablo auf der „asamblea“, der Dorfversammlung. Und Victor, der schöne „Musikpromotor“, ergänzt: Die Herrschenden verständen nie den Schrei nach „paz“, Frieden, sondern immer nur die Sprache des „Pas, pas!“, das aus den Gewehrläufen kommt.

Deutlich ist das strikte Alkoholverbot im Dorf. Schon seit Jahren hat die Zapatistenguerilla in ihren Gebieten dieses „ley seca“ verhängt. Ein Schlückchen Wein gibt es so nur beim Abendmahl, zu dem die Gemeinde einmal die Woche im improvisierten Gotteshaus zusammenkommt. Von außen ist es nur durch die Glocke am Eingang von den übrigen Hütten zu unterscheiden. Drinnen erleuchten drei Kerzenstummel einen mit Luftballons und Heiligenbildchen verzierten Raum, in dem der „Kirchenpromotor“ den Anwesenden aus einer Tzeltal-Übersetzung der Bibel vorliest. Glucksende Kinder toben im Halbdunkel über den Lehmboden, die Gesänge mischen sich mit Regengeprassel und dem Kreischen der Frösche zu einem für fremde Ohren wahrhaft surrealen Nachtkonzert.

Nicht nur die Guerillatruppen, auch das „Friedenscamp“ wird von den Dorfbewohnerinnen regelmäßig mit Maisfladen und Feuerholz versorgt, sogar ein diskretes Klohäuschen haben sie ihren „compañeros“ gezimmert. Längst gilt das Lager unter Eingeweihten als „Fünfsternecamp“.

Vor allem Wasser gibt es hier, im Unterschied zu vielen anderen Dörfern im Dschungel, im Überfluß. Ein- bis zweimal am Tag trifft frau sich in der Bademulde am Fluß, in der zwischen Bananenstauden und in sittsamem Abstand zum Männerbecken ausführlich gewaschen und palavert wird. Einzige Regel beim Wasch- und Badevergnügen: oben ohne, unten unbedingt mit – was Ungeübte anfangs vor gewisse Probleme stellt.

Neben der Schutz- und Beobachterfunktion geht es den Friedenscamps vor allem um die Wiederherstellung des kommunitären Alltags. Jede versucht, so gut sie eben kann, irgend etwas beizutragen. So ist die Gemeinde in den letzten Monaten in den Genuß von Homöopathie-Workshops und Nähkursen, Vorlesezirkeln und Schmuckbastelkursen gekommen. Einige bemühen sich, den Kindern jeden Morgen ein bißchen Spanisch beizubringen.

Die ständige Anwesenheit des Militärs hinterläßt allerdings auch hier ihre Spuren in der kindlichen Phantasie. „Wenn du ihnen Stifte gibst, dann malen sie Hubschrauber und Soldaten“, erzählt eine Freiwillige. Und der kleine Antonio ist besonders stolz auf ein schweres spanisches Wort, das er gerade gelernt hat: „metralleta“, Maschinenpistole.

Wie viele der Camperinnen hatte auch Concepción, die sich für anderthalb Monate verpflichtet hat, vorher noch nie irgenwo politisch mitgemischt. „Aber die sind doch direkt bedroht“, sagt die 45jährige Hausfrau, „da kann man doch versuchen, sie ein wenig zu schützen.“ Auch für Jenny, eine 23jährige US-Amerikanerin, macht die Frage nach der Motivation nicht allzuviel Sinn. „Warum denn nicht?“ meint die schüchterne Frau, die in San Francisco in einer Chiapas-Gruppe arbeitet, in gebrochenem Spanisch. „Ich habe einfach viel mehr Zeit als andere Leute.“ Die Dritte im Bunde ist Adela, eine Lehrerin in den Mittfünfzigern, die nach einer Zeit des urbanen Politaktivismus vor allem ein „tiefes Mißtrauen gegen die große Politik“ erfüllt. Dennoch – oder gerade deshalb? – ist sie beeindruckt von der „Zuversicht, mit der die Menschen hier an ihren Sieg glauben“. Viele, die aus der Stadt kommen, so glaubt Adela, „sind dort einsam und finden hier Wärme und Gemeinschaft“.

Diese Suche nach dem verlorenen Paradies nimmt zuweilen leicht groteske Züge an. Während Angel, ein spanischer Soli-Aktivist, gegenüber den DorfbewohnerInnen euphorisch die Vorzüge ihres autarken Gemeindelebens lobt und den europäischen „Konsumismus“ in Grund und Boden verdammt, qualmt er eine kostbare Zigarette nach der anderen – vielleicht ahnt er gar nicht, wie selten und begehrt Tabak in diesen Gefilden ist?

Bei der Besichtigungstour durch die im Gebüsch verstreuten Holzhüttchen stoßen die Besucher einen Entzückensschrei nach dem anderen aus: „Was für ein hübsches Häuschen!“ Schließlich kommen wir an einem kleinen Verschlag vorbei. An den vier Türen baumeln Vorhängeschlösser. „Das ist das Gefängnis“, klärt der Dorfvorsteher Nestor die sprachlosen Besucher auf. Wann man denn da hineinkomme? „Wenn einer jemanden schlägt oder sonstigen Ärger macht“, sagt er ungerührt, „und um herauszukommen, muß er eine Strafe zahlen.“ Erst letzte Woche wurde ein junges Pärchen hinter die hölzernen Gitter gesteckt – es hatte ohne Trauschein und trotz verwandtschaftlicher Beziehungen miteinander geschlafen.

Auch Frauenbewegten dürften die Spielregeln des kommunitären Zusammenlebens zunächst suspekt erscheinen. Denn ihre indianischen Geschlechtsgenossinnen, die ungeachtet aller zapatistischen Impulse nach wie vor allein für Kinder und Maismehl zuständig sind, treten öffentlich noch kaum in Erscheinung. Zwar dürfen sie inzwischen an den fast täglichen Versammlungen teilnehmen – ein „großer Fortschritt“, wie selbst ihre Männer finden. Auf dem Plenum und mit den auswärtigen Gästen aber reden fast ausschließlich die Männer. Was nicht zuletzt damit zu tun hat, daß kaum eine von ihnen Spanisch spricht, geschweige denn lesen oder schreiben kann.

Und doch bewegt sich was. So äußern zum Beispiel immer mehr Frauen das Bedürfnis, endlich über die Zahl ihrer Schwangerschaften entscheiden zu können. An technischen Möglichkeiten dazu mangelt es inzwischen nicht mehr, denn im „Centro de Salud“ stapeln sich kistenweise gespendete Medikamente, darunter auch jede Menge Antikonzeptiva. Wohl aber am Know-how: Selbst der Gesundheitsbeauftragte weiß längst nicht mit allem etwas anzufangen und läßt sich von einer Fachfrau geduldig in die Geheimnisse der Antibabypille einweihen. Der beherzte Versuch von Angel, dem Dorfvorsteher auch gleich die Vorteile des Präservativs mit Hilfe einer Banane zu demonstrieren, scheitert jedoch am nervösen Kichern der umstehenden Männer.

Auf der morgendlichen Versammlung wird Pablo gebeten, seine Leute nach ihrer Meinung zum Camp zu befragen. Das Urteil ist eindeutig: „Es hat uns sehr genutzt, wir fühlen uns viel sicherer jetzt“, übersetzt er, „die Soldaten mögen es nämlich nicht, wenn sie von den Camp-Leuten verfolgt und fotografiert werden.“ Auch Nestor hätte nichts dagegen, wenn die Camperinnen „bis an ihr Lebensende bei uns bleiben“ würden. Und das längst nicht nur aus Sicherheitsgründen: „Früher ist nie jemand zu uns gekommen“, sagt er lächelnd. „Und jetzt lernen wir hier Leute aus aller Welt kennen.“

Kurz vorm Abschied hatte Victor uns noch gefragt, ob wir nicht ein paar Lieder aufnehmen wollen. Nach verschiedenen „corridas“ auf „unseren General Zapata“ stimmen die Dorfmusikanten auf ihren klapprigen Instrumenten schließlich eine nur allzu vertraute Melodie an. „Venceremos!“ tönt es in der verregneten Abenddämmerung. Und es fällt kaum auf, daß an Victors Gitarre zwei Saiten fehlen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen