■ Das Zögern, Verbrechen der Vergangenheit einzugestehen
: Lieber spät als nie!

Der fünfzigste Jahrestag umwälzender Ereignisse bietet gewöhnlich die letzte Chance für offizielle Entschuldigungen, Wiedergutmachungen und den Ausgleich der moralischen Konten. Laßt das Datum verstreichen, und es wird niemand mehr da sein, um von solchen Gesten zu profitieren. Manchmal scheint es aber, als ob selbst ein fünfzigster Jahrestag für einige Nationen zu früh kommt. Letzte Woche haben die französische und die japanische Regierung etwas getan, was dem Eingeständnis der Komplizenschaft ihrer Länder mit großen Verbrechen gleichkommt. Aber beide Entschuldigungen tragen, obwohl sie ein Schritt nach vorn sind, das Zeichen fortdauernden Zögerns.

In Japan hat sich die Regierung bei den „comfort- women“ entschuldigt, den 200.000 Frauen, die von der japanischen Armee als Sex-Sklavinnen mißbraucht worden sind. Schon die euphemistische Begriffswahl läßt etwas von der andauernden Verdrängung dessen ahnen, was den Opfern, zumeist Koreanerinnen und Filipinas, damals geschah. Jahrzehntelang hatten sie für ihre Anerkennung gekämpft – bislang erfolglos. Das Zögern der japanischen Regierung zeigt sich auch jetzt in dem Entscheid, eine Entschädigung nicht aus dem Staatsbudget zu zahlen, sondern aus einem privaten Fonds. Jedes der Opfer soll 22.000 Dollar erhalten. Die japanische Regierung läßt hierbei durchblicken, daß dies der Summe entspricht, die die Regierungen Kanadas und der USA denjenigen Japanern zahlte, die während des Zweiten Weltkriegs in Lagern interniert waren.

Zögern, eine schwelende Schuld anzuerkennen, gibt es auch in Frankreich, obwohl der neue Präsident, Jacques Chirac, dagegen in einer Gedenkfeier anging, die der schändlichen Vel-d'Hiv-Aktion von 1942, der Jagd auf Juden für die Gaskammern von Auschwitz, gewidmet war. Chirac sagte: „Der kriminelle Wahn der Besatzer Frankreichs wurde von den Franzosen und vom französischen Staat unterstützt.“

So heftig ist der Widerstand gegen dieses Eingeständnis bis heute – Chiracs Vorgänger Mitterrand hatte noch 1994 darauf bestanden, daß die Handlungen des Vichy-Regimes nichts mit der gegenwärtigen Republik zu tun haben –, daß die Sozialisten sich beeilten, diese Haltung zu bekräftigen und Chirac wegen seiner klaren Stellungnahme zu attackieren. Vielleicht noch mehr zugunsten Chiracs schlugen die Angriffe zu Buche, mit denen die äußerste, rassistische Rechte auf die Erklärung des Präsidenten reagierte. Diese Angriffe besagten im Kern, daß Chiracs Äußerungen ihn als Inhaber des höchsten Staatsamtes disqualifizierten. Das genaue Gegenteil kommt der Wahrheit näher. Nach Jahrzehnten der Vernebelung waren Chiracs Worte kristallklar und bewundernswert. The Washington Post, 24. Juli 1995