Ein zweiter Mann will nach oben

■ Rußlands Parlamentspräsident Rybkin gründet eine linkszentristische Partei

Moskau (taz) – Iwan Rybkin, Vorsitzender des russischen Unterhauses, hat einen linkszentristischen Wahlblock gegründet – und damit einen Wunsch Boris Jelzins erfüllt. Der Präsident versucht, mit der Bildung von zwei großen Parteien der Mitte extreme Strömungen in die Bedeutungslosigkeit zu verbannen. Allerdings hatte Rybkin bei seinem Vorhaben, die linken Gruppierungen zu sammeln, einige Startschwierigkeiten. Schneller als er war Premierminister Viktor Tschernomyrdin. Er hob schon im April einen rechtszentristischen Block „Unser Haus Rußland“ aus der Taufe. Ein Zusammenschluß, dem die politische Führungsschicht in der Zentrale und den Regionen angehört. Nicht umsonst wird sie im Volksmund „Partei der Macht“ genannt.

Nach Angaben Rybkins haben sich seinem Verbund an die fünfzig kleinere Parteien und Gruppen angeschlossen. Ein Zugpferd unter den bekannteren Persönlichkeiten ist der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister Alexander Gromow, ein entschiedener Gegner des noch amtierenden Ministers Pavel Gratschow. Der Chef der Föderation der unabhängigen Gewerkschaften, Nachfolgeorganisation der alten Staatsgewerkschaft, Michail Schmakow, gehört ebenfalls zu den Unterzeichnern.

Rybkin schloß nicht aus, daß auch die Agrarpartei in Ein-Mann- Wahlkreisen mit dem Block zusammenarbeiten würde. Rybkin sitzt im Vorstand der Partei, über deren Liste er ins Parlament gelangte. Die Agrarier sind sich aber uneins. Besonders Parteivorsitzender Michail Lapschin, Kontrahent Rybkins, wies eine Beteiligung am Wahlblock zurück. Darüber könne ein einfaches Vorstandsmitglied wie Rybkin nicht allein entscheiden. Seit längerem beäugen die Agrarier die Umtriebigkeit ihres einflußreichsten Funktionärs mit Mißtrauen.

Im Laufe seiner Amtszeit hat sich Rybkin zu einem wendigen Politiker entwickelt, der das ungestüme Verhalten der oppositionellen Abgeordneten zu zügeln verstand. Häufig handelte er dabei gegen die Interessen seiner Partei. Seitdem er zusammen mit dem Vorsitzenden des Oberhauses, Wladimir Schumeiko, in den Sicherheitsrat des Präsidenten berufen wurde, gibt er um so mehr Anlaß zu Spekulationen, wessen Mann er eigentlich ist. Wie den meisten Politikern in Rußland bereitet ihm der Grenzübertritt zwischen Exekutive und Legislative keine größeren Bedenken.

Die Aussichten des neuen Wahlblocks, sollte er überhaupt über den Gründungsprozeß hinausgelangen, sehen eher bescheiden aus. Denn Agrarier und Kommunisten können sich berechtigte Hoffnungen machen, die Mehrheit der linksgeneigten Wählerschichten hinter sich zu sammeln. Zumal die kleineren Gruppierungen in der Bevölkerung weder eine soziale Basis besitzen noch ihre Führungsfiguren bekannt wären. Weigern sich die Agrarier, mit Rybkin zu kooperieren, verlören sie an ihn dennoch zahlreiche Stimmen. Die Aussichten Tschernomyrdins sind nicht die schlechtesten. Klaus-Helge Donath