Minderheiten gegen die Demokratie

In Bayern versucht die CSU ein Volksbegehren für mehr Bürgerbeteiligung in Städten und Gemeinden zu bremsen, indem sie jede Menge Tricks beim Wahlmodus auffährt  ■ Aus München Felix Berth

Die bayerische Verfassung aus dem Jahr 1946 ist ein lesenswertes Dokument mit manch radikalem Paragraphen. So heißt es in ihrem Artikel 2: „Das Volk tut seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen kund. Mehrheit entscheidet.“ Und etwas weiter unten steht der Satz: „Gesetze werden vom Landtag oder vom Volk (Volksentscheid) beschlossen.“ Die Mitarbeit des Volkes wird allerdings von der Landesregierung nicht sonderlich geschätzt.

Und das zeigt sich auch beim Volksbegehren „Mehr Demokratie in Bayern“, das einen Bürgerentscheid auch in Städten und Gemeinden einführen will. Schon in wenigen Wochen, am 1. Oktober, soll darüber abgestimmt werden. Und wieder steuert die CSU den gleichen Kurs wie beim letzten bayerischen Volksbegehren 1991 für ein „besseres Müllkonzept“. Damals präsentierten sie neben dem Gesetzentwurf der Bürger eine eigene, abgeschwächte Alternative – nach dem Motto: Was sich nicht verhindern läßt, muß wenigstens gezähmt werden. Diese Strategie war erfolgreich. Der Vorschlag der Staatsregierung erhielt eine knappe Mehrheit vor dem Bürgerentwurf.

Nachdem die CSU auch beim aktuellen Volksbegehren anfangs alle Arten von direkter Demokratie in Kommunen abgelehnt hatte, hat sie nun wieder einen gedämpften Konkurrenzentwurf vorgelegt. Nach diesem CSU-Vorschlag kann ein Bürgerentscheid in einer Stadt an zwei Hürden scheitern. Die erste ist parlamentarischer Alltag und steht genauso im Gesetzentwurf der Bürgerinitiative: Ein Vorschlag ist abgelehnt, wenn mehr als die Hälfte der Bürger mit „Nein“ stimmt.

Die zweite Hürde ist in Zeiten schwindender Wahlbeteiligungen schwerer zu nehmen: Ein Vorschlag ist auch dann abgelehnt, wenn weniger als 25 Prozent aller Wahlberechtigten zustimmen.

Die CSU will mit dieser 25-Prozent-Klausel verhindern, daß sich bei geringen Wahlbeteiligungen Minderheiten zu leicht durchsetzen, sagt der Sprecher der Landtagsfraktion, Franz Stangl: „Das Extrem darf nicht sein, daß eine lautstarke Minderheit die Mehrheit dominiert.“ Stangl verweist darauf, daß alle elf Bundesländer, die den kommunalen Bürgerentscheid eingeführt haben, eine ähnliche Klausel festgeschrieben haben.

Doch Michael Seipel von „Mehr Demokratie in Bayern“ hält den Vergleich für falsch. Denn nach dem Entwurf der CSU habe die Kommune zusätzlich die Möglichkeit, einen Alternativentwurf vorzulegen, wie es beim landesweiten Volksentscheid schon heute möglich ist. Das existiere in keinem anderen Bundesland – und könne fatale Folgen haben, rechnet Seipel vor: „Nehmen wir an, für den Entwurf einer Bürgerinitiative stimmen 24 Prozent aller Wahlberechtigten. Für den Entwurf des Stadtrats stimmen 23 Prozent, und 20 Prozent stimmen mit Nein. Das ergibt eine Wahlbeteiligung von 67 Prozent – und trotzdem ist kein Entwurf angenommen.“

Seine Schlußfolgerung: „Die CSU hat das Ziel, möglichst viele Bürgerentscheide zu verhindern.“ Dies zeige sich auch daran, daß der CSU-Entwurf wichtige Themen wie Bauplanung de facto ausklammere, so Seipel: „Hier gibt es so kurze Fristen, daß die Bürger kaum eine Chance haben.“

Auch Raimund Kamm, für Bündnis 90/Die Grünen im Landtag, sieht die CSU als Demokratieverhinderungspartei. Er erinnert an die Wahl des Landrats von Augsburg. Dort habe der CSU- Kandidat bei einer Wahlbeteiligung von 42 Prozent etwa 53 Prozent der Stimmen bekommen. Diese absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen entsprach allerdings nur 22 Prozent aller Wahlberechtigten.

Nach der 25-Prozent-Klausel, die die CSU für Bürgerentscheide fordert, wäre der Kandidat durchgefallen, sagt Raimund Kamm amüsiert: „Es sind also offensichtlich lautstarke Minderheiten, die manche CSU-Politiker ins Amt gewählt haben.“