Baumaterial mit Visacard bezahlt

■ Tunnel-Fans enttäuscht: Gangster dümmer, als Polizei erlaubt

Enttäuschung bei den Reality- Krimi-Freaks, die seit dem Super- Coup der Zehlendorfer Geiselgangster mit den Bankräubern mitfiebern: „Heiliger Strohsack, sind die doof!“ stöhnt die Fangemeinde inzwischen. Was zunächst als Geniestreich anmutete, erscheint immer mehr als Gaunerstück mit argen Schnitzern: dümmer, als die Polizei erlaubt.

Mit dem vorab geplanten mißglückten Bankraub und der klammheimlichen Flucht durch einen selbstgebuddelten Tunnel hatte das Ganoventeam die Polizei am 27. Juni an der Nase herumgeführt. Beute: 5,6 Millionen Mark und der immer noch unbekannte Inhalt von 200 Schließfächern. Die Herzen all jener, die als treue Jerry-Cotton-LeserInnen – der hatte nämlich 1985 eine ähnliche Story geliefert – schon lange vom ganz großen Genie-Coup träumen, selbst aber lieber Lotto spielen, wurden im Sturm erobert.

„Professionalität und Disziplin“ bescheinigte Polizeipräsident Hagen den Tunnelgangstern wenige Tage nach dem Banküberfall. „Das war nicht ihr erstes Verbrechen“, meinte der Psychologe Ackerschott. In der Tat hatten die Gangster an alles gedacht: sogar an Käsebrote für die Geiseln.

Seitdem der Polizei mittlerweile fünf Verdächtige ins Netz gegangen sind, unter ihnen der mutmaßliche „Kopf der Bande“, staunen die Fans über die Schlampigkeit der Verbrecher.

Der blöden Fehler sind viele:

– Über die angemietete Garage mit dem Tunneleinstieg war der erste Verdächtige, Moutaz A. alias „Tunnel-Toni“, geschnappt worden. Offensichtlich kein routinierter Gangster, denn er verstrickte sich bald in Widersprüche.

– Die zurückgelassenen Overalls des Bankraubs lassen sich dank moderner Polizeitechnik trotz getragener Handschuhe mühelos ihren Trägern zuordnen.

– Auf dem im Fluchttunnel verwendeten Baumaterial sollen noch Preisschild und Strichcode geklebt haben. Die Bankräuber hatten beim Bauhaus eingekauft und mit Visacard gezahlt – schon war der Polizei die Adresse bekannt.

– Bei den arbeitslosen Verdächtigen wurden bergeweise neue Bettwäsche, 300-Mark-Schuhe und neue Möbel entdeckt.

Die Polizei gibt sich siegesgewiß. Aber der schwarzlila Bulli, der vermutlich die Erde der Maulwürfe abtransportierte, und vor allem die erbeutete Knete sind bislang wie vom Erdboden verschluckt. Vergraben? Möglicherweise haben sich die „Macher“ des Gangsterteams Komplizen mit wenig Köpfchen ausgesucht. Wer weiß, wer sich gerade am Strand der Dominikanischen Republik ins Fäustchen lacht, Jerry Cotton schmökert und kleine Tunnel in den Sand buddelt. Silke Fokken