Vom bösen Blick verflucht

„Eigentlich sollten sie mich verwöhnen“ – Hexenverfolgungen und Vertreibungen in Afrika richten sich vor allem gegen über sechzigjährige Frauen  ■ Emanuel Wotany

Hexerei in Afrika ist so alt wie der Kontinent selbst. Heutzutage wird behauptet, es sei die traditionelle afrikanische Religion, in ihrer Praxis häufiger gut als schlecht. Mit der Ankunft von Christentum und Islam legten die meisten Afrikaner die alte Religion ab, aber zumindest in einem westafrikanischen Land beschäftigte die Wiederbelebung dieser Bräuche das Parlament und zwang die katholische Kirche, Zufluchtsorte für Frauen zu schaffen, die unter der Anklage der Hexerei aus Haus und Gemeinde vertrieben wurden. Im vergangenen Jahrzehnt wurden in Burkina Faso mindestens 600 Frauen, alle um die sechzig Jahre alt, aus ihren Gemeinden verbannt, häufig von nahen Verwandten, weil sie angeblich Morde oder die verschiedensten anderen Verbrechen begangen hatten. Die „Opfer“ solchen Unglücks halten sich selbst für vom bösen Blick verflucht. Die meisten Frauen, die in dem von einer katholischen Mission betriebenen Zentrum in Ougadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, Zuflucht gefunden haben, behaupten, sie seien zu Sündenböcken für die sich verschlechternde Lage ihrer Gesellschaft gemacht worden – um sich greifende Armut, Arbeitslosigkeit, keinerlei Aufstiegschancen.

Viele waren führend in ihrer Gemeinde, Organisatorinnen von Frauengruppen und Unterhändlerinnen in Frauenfragen. Abgeschnitten von ihrer Arbeit und ihrem Einfluß auf die Politik ihrer Dörfer führen sie ein einsames Leben im Zwielicht, da Freunde und Verwandte meistens zu viel Angst haben, um sie zu besuchen.

„Alle Frauen, die Sie hier sehen, wurden entweder von ihren Verwandten oder ihren Gemeinden verbannt, weil sie angeblich jemanden in ihrem Dorf verhext hatten“, sagt Schwester Marie Louise, die Nonne, die das Zwedu-Zentrum leitet, und fügt hinzu, das Zentrum sei in Reaktion auf die wachsende Zahl älterer Frauen errichtet worden, die mit ihren Erzählungen in die Mission kamen. „Manche kamen her mit Narben von Schlägen, die sie von wütenden Dörflern erhalten hatten.“

Dies ist die Geschiche der 68jährigen Cecila Yaemogo, vertrieben von ihren eigenen Kindern nach dem Tod ihrer Enkelin, den sie vor acht Jahren durch Zauberei bewirkt haben soll. „Etwa um zwei Uhr morgens erhielt ich von meinem ältesten Sohn den Befehl, Haus und Dorf zu verlassen, sonst würde er mich mit der Machete erschlagen“, sagt Frau Yaemogo, während ihr die Tränen über die Wangen laufen. „Was kann der Rest der Familie gegen ihn tun“, fragt sie, „wenn sie an der Entscheidung beteiligt waren? Selbst mein Mann konnte nichts tun. Sein Sohn hatte die Hexenmeister des Dorfes befragt. Sie sagten, ich sei verantwortlich für den Tod meiner Enkelin.“ Da sie nirgends habe hingehen können, fährt sie fort, „verbrachte ich den Rest der Nacht auf der Schwelle einer Grundschule, und im Morgengrauen ging ich fünf Tage lang ohne Essen oder Geld fast hundert Kilometer nach Ougadougou zu meinem jüngeren Bruder.“ Dieser Bruder, berichtet sie, „weigerte sich, mich aufzunehmen, weil er schon aus dem Dorf gehört hatte, daß ich eine Hexe sei. Da beschloß ich, ohne überhaupt von der Existenz dieses Zentrums zu wissen, daß ich als katholische Christin in die Kathedrale von Ougadougou gehen müßte, um dem Priester meine Notlage zu schildern.“ Auf dem Gelände der Mission erfuhr sie zu ihrer Überraschung, „daß alle diese anderen Frauen aus dem gleichen Grunde hier waren“.

„Seit ich hier ankam, hat keiner meiner Verwandten gewagt, mich zu besuchen oder mir eine Botschaft zu schicken. Manchmal wäre ich lieber tot, weil ich all das zu einer Zeit meines Lebens durchmachen muß, in der ich doch eigentlich von denen verwöhnt werden sollte, für die ich in ihrer Jugend gesorgt habe. Eine solche Behandlung habe ich nicht verdient, nach allem, was ich für diese Kinder getan habe“, weint sie. Selbst diejenigen, die im Zentrum sterben, sagt Schwester Marie Louise, werden, ohne daß Verwandte dabei sind, begraben. „Wir versuchen immer, ihre Familien ausfindig zu machen und zu benachrichtigen. Aber es kommt nie jemand. Sie schicken uns höchstens Briefe und schreiben, sie seien froh, daß ihre Verwandten tot sind.“

Michel Nana, ein Parlamentsabgeordneter, dem die Situation der Frauen am Herzen lag, brachte dieses Jahr einen Antrag ein, um die anderen Abgeordneten auf das Problem aufmerksam zu machen; er hatte die Hoffnung, er könne ein Gesetz zum Schutz der Frauen gegen diese Praxis verabschieden lassen. Seine Bemühungen kamen bei seinen Kollegen nicht sehr gut an, von denen die meisten, sagt er, „fest an eine solche Praxis glauben“. „Es gibt keinerlei Möglichkeiten, zu beweisen, daß jemand einen anderen verhext hat“, sagt Nana, „und deshalb sind immer nur die Alten und Hilflosen, besonders Frauen, die Opfer der Anschuldigungen.“ Justine Traore, eine andere Bewohnerin des Zentrums, die beschuldigt wurde, ihre „wohlhabende Schwester aus Eifersucht getötet zu haben“, sagt, in ihrem Dorf werde eine sehr fragwürdige Methode angewandt, um zu beweisen, daß jemand einen anderen verhext habe. In ihrem Fall trugen vier Leute, denen man besondere Kräfte zuschrieb, die Leiche ihrer verstorbenen Schwester in einer Prozession direkt zu ihrem Haus. „Auf diese Weise beschuldigen sie dich automatisch des Mordes, indem sie behaupten, der Leichnam lenke sie zum Haus des Mörders.“ Sie fragt: „Könnten Sie sich vorstellen, daß ich meine Schwester töten würde, die für mich sorgte? Aus welchem Grund?“ Meistens, sagt sie, sei es die jüngere Generation, die die Alten ausschalten wolle, weil sie glaube, sie seien verantwortlich für ihr eigenes Scheitern im Leben. „Manchmal geschieht es aus Haß“, sagt Frau Traore. Aber sind sie wirklich Hexen? „Überhaupt nicht! Können Sie sich vorstellen, daß eine Frau, die neun Monate lang mit einem Kind schwanger ging und sich abmühte, es großzuziehen, es töten würde?“ fragt eine andere Frau.

Bemühungen der Regierung, gegen diese Praxis vorzugehen, waren erfolglos. „Der durchschnittliche Burkane glaubt fest an Hexerei“, behauptet ein katholischer Priester. Teams lokaler Sozialarbeiter, die mit Megaphonen, Broschüren und Bildern durch die Städte geschickt wurden, um die Leute davon abzuhalten, ihre alten Frauen zu vertreiben, wurden häufig verjagt, des öfteren auch mit Gewalt, und die Regierung gab das Programm schnell wieder auf.