Die Wanderdüne als Denkform

■ Der Mnemotechniker James A. Buddle hat den Strandburgenbau aus anthropologischer Sicht erforscht. In der Strandburg stößt das Feste ans Weiche, das Männliche ans Weibliche

Dr. James A. Buddle (51) ist Professor für Mnemotechnik an der University of California, La Jolla. Mit einem Stipendium der IGBSE forscht er derzeit auf der Halbinsel Usedom über die Sinnverdunkelung in der spirituellen Anthropologie.

taz : Herr Professor, Michel Foucault hat in seinem Werk „Die Ordnung der Dinge“ festgestellt, daß der Mensch verschwindet wie ein Gesicht im Sand. Glauben Sie, daß auch die Zeichen der Menschen am Strand Methaphern sind für die Endlichkeit des Seins?

James A. Buddle: Nichts ist in seiner Form so unbeständig wie ein Sandhaufen. Der leiseste Wind, der feinste Sprühregen, der zarteste Fuß kann seine Oberfläche verwandeln. Andererseits aber ist nichts so beständig wie das Sandkorn. In seiner unscheinbaren Härte ist es gnadenlos stabil. Wesentlich scheint mir aber zu sein, daß in unserer Welt der Mini- und Megabytes das Sandkorn zum eigentlichen Dingsymbol geworden ist. In Anlehnung an Foucault ist das Burgenbauen der letzlich vergebliche Versuch, aus einer chaotischen Ansammlung kleinster Teile die große Ordnung herzustellen.

Also eine Ordnung, deren Konstitivium die Vergänglichkeit ist?

Das ist viel zu kurz gegriffen. Die Ästhetik des Ephemeren, die sich in den Burgen veranschaulicht, ist ein kurzer Moment der realisierten Utopie. Wenn Sie so wollen, sind Burgen Sandgartenzwergs Himmelreich, die Übersetzung des uralten Menschheitsthemas conformare ...

Halt, halt! Burgen sind Festungen, sollen schützen, werden verteidigt.

... Nein, nein! Entscheidend ist doch vielmehr, daß im Sandkörnchen das Körnchen Wahrheit liegt, wenn alle Bilderwelten sich verflüchtigt haben. Der Lakonismus der Welle, die sich bei Flut über den Sand schiebt, entspricht doch der Gedankenbewegung des Lacanismus ...

Die Wanderdüne als Denkform?

Ja, denn die gewaltsam konfigurierten Zeichensysteme verschwinden in die Beliebigkeit, die Frage nach dem Ursprung wird immer neu gestellt. Was sind dagegen zähnefletschende Militaristen, die Schlachten schlagen, obwohl sie wissen, daß sie sie verlieren müssen.

Deshalb müßte ja auch die Lehre heißen, von Burgenbauern lernen, heißt verlieren lernen.

Das ist die Konsequenz, dorthin geht auch der Trend. Früher ließen sich alle Burgenbauer mit dem vollendeten Werk einer perfekt erscheinenden Stabilität fotografieren. Jetzt hingegen wächst der Sinn für den morbiden Charme der in sich zerfallenden Burg, von Wind und Wellen angefressen. Wir sehnen uns nach dem Sandhaufen zurück, zur leeren Fläche einer vorzivilisierten Strandfrühe.

Für Kalifornien mag ja ihre Analyse richtig sein. Aber in Europa, dem Kontinent des Beharrens, hat man erst mit Christo die Kunst der Vergänglichkeit schätzengelernt.

Dies ist definitiv falsch und auf eine paradoxe Art materialistisch gedacht. Richtig ist, daß die Spuren am Strand verschwinden, aber die sprachlichen Zeichen, daß da mal Spuren gewesen sind, bleiben. Der um 1600 in Riga tätige Magister Rivius berichtete, es sei über Jahrhunderte eine uralte Gewohnheit der nördlichen Küstenbewohner gewesen, in den Sommerwochen eine „Arx Arenosa“ zu bauen.

Das heißt eine sandige Burg?

Korrekt, eine „Burg aus Sand“. Der Name des russischen Eismeerhafens Archangelsk dürfte sich mit Sicherheit aus „Arx Arenosa“ abgeleitet haben. Bei Feldforschungen an der Eismeerküste, die unlängst meine Kollegen durchgeführt haben, fanden sie unweit von Archangelsk durch den Permafrost erhaltene Restformen von primitiver Sandart. Auch an die Mittelmeerstrände führen uns sprachliche Zeichen. Der katalanische Mädchenname „Aranxa“ enthält den Bedeutungskern Sandburga. Daß die bekannte Tennisspielerin Aranxa mit Nachnamen „Sanchez“ heißt und besonders auf Sandplätzen gut zurecht kommt, dürfte kein Zufall sein.

Ein interessantes Thema, Sie meinen, die Sandart muß auch unter dem Gender-Aspekt beleuchtet werden?

Dieses Thema hat in den USA, wo die Forschungen über das Geschlechterverhältnis Priorität haben, eine große Bedeutung. Das Sandkorn ist, erkennbar durch den Artikel, androgyn.

Aber es heißt die Sandburg.

Und der Sandstrand. Und der Sandstrand ist erdgeschichtlich die ursprünglichste aller Begegnungsflächen von maskulin und feminin, ein ständiges Geben und Nehmen über Jahrmillionen. Dem werden wir uns auch beim profanen Burgenbauen ständig bewußt. Die gewaltätigsten Männerphantasien, der wilde Entschluß, harte Kanten zu gießen, wird vom Wind und den Wellen über kurz oder länger verwässert und weichgespült. Alles fließt in weiche und muschlige Formen, verweiblicht, führt uns zurück zum Ursprung der Welt. Interview: Sandra von Drachenfels