: Spiel auf Zeit
■ Seit 30. Juni: Verleihverbot für neue CDs/Verfassungsklage aus Bremen in Vorbereitung
Noch sind die Regale gut gefüllt im „Phonodrom“, dem CD-Verleih im Steintor. Charts-Material tummelt sich da neben CDs von Bands, die nur ein paar Eingeweihte kennen und leihen. Nicht mehr lange. Seit 30.6. dieses Jahres nämlich gilt bundesweit eine EU-Richtlinie, die in nationales Recht überführt werden mußte. Inhalt: Neu erschienene CDs dürfen, ohne die ausdrückliche Zustimmung des Herstellers, nicht mehr verliehen werden. Diese Änderung des Urheberrechts gilt für andere Medien – Bücher, Schallplatten, Cassetten, CD-ROM – ebenso. Das bedeutet, die beiden Bremer CD-Verleiher „Phonodrom“ und „Sound-City“ machen Geschäfte mit ihren derzeitigen, bald veralteten Beständen, solange es geht – und dann Schluß. Denn wer interessiert sich für CDs, die er zuhause schon überspielt hat.
An ihrem Willen, sich durchzusetzen, läßt die mächtige Musikindustrie keinen Zweifel. „CD-Verleihe gibt es nur in Deutschland und Holland, in keinem anderen Land“, sagt Elmar Kruse vom Bundesverband der deutschen Phonographischen Industrie, der die Interessen der Plattenfirmen vertritt. „Jahrelang haben die Verleiher keine Lizenzgebühren an die Firmen bezahlt“, klagt Kruse. Den Vorwurf, das Konzerne wie MCA und EMI die kleinen CD-Verleiher an die Wand drücken, will er nicht gelten lassen: „Davon kann keine Rede sein!“ Die meisten Kunden leihen „Top 40“-Material, behauptet er, und 90% überspielen die geliehene CD. Die Einbußen für die Schallplattenindustrie seien erheblich.
Genau läßt sich der Einfluß des Verleih-Geschäfts auf den Umsatz der Industrie allerdings nicht belegen. Sogar die GEMA, die die CD-Verleiher mit einer pauschalen Gebühr belegt, bezweifelt die These der Industrie.
Und auch Jörg Wegener vom „Phonodrom“, der seinen unscheinbaren Szene-Laden seit 1991 führt, glaubt nicht, daß der Verleih den Plattenfirmen Verluste bringt. „Zu dem zweistelligen Umsatzplus der Branche kommen nochmal zwei Prozent durch den Verleih hinzu“, schätzt Wegener. Seine These, die auch bei der GEMA auf Widerhall trifft: „Wer sich CDs leiht, bekommt einen besseren Marktüberblick, lernt immer neue Bands kennen und will deren Musik dann oft auch besitzen.“ Wegener will sich nicht so einfach geschlagen geben, sein Mietvertrag läuft noch bis September nächsten Jahres. Eine Verfassungsklage soll als Eilverfahren eingereicht werden, bei der Wegener sämtliche CD-Verleiher Deutschlands vertritt. Sein Anwalt, Detlev Stoffels in Bielefeld, sieht immerhin „einen guten Grund“, daß der Klage stattgegeben werden könnte. „Da die EU-Richtlinie bereits seit 1.7.94 in Kraft ist, müßten die CD-Verleiher rückwirkend Gebühren entrichten. Diese Klausel wurde auch ins deutsche Recht übernommen. Und da setzen wir an, weil rückwirkende Gebühren im Gesetz kaum zu vertreten sind. Man muß sich schließlich auf geltendes Recht verlassen können.“ Problematisch sei das Eilverfahren, weil die Verfassungsrichter dabei „nicht so genau hingucken und sich gern an einer Nebensache festbeißen“.
Doch eine herkömmliche Verfassungsbeschwerde kommt in der Sache CD-Verleih nicht in Frage. Zwei bis drei Jahre dauert die nämlich, und bis dahin sind Jens Wegener und seine KollegInnen längst pleite; die Industrie hat den längeren Atem. „Wenn sich an der bisherigen Regelung nichts Grundlegendes ändert, machen wir zu. Unser Hauptproblem ist die Zeit“, sagt auch Michael Ramm von „Sound-City“ im Buntentorsteinweg, dem zweiten CD-Verleih in der Stadt. Bei drei Mark Leihgebühr pro CD (bzw. vier bei Neuheiten) ist der finanzielle Spielraum eng, besonders, wenn Regreßforderungen der Plattenfirmen drohen. CD-Kaufmuffel, die in die Städtische Musikbibliothek abwandern wollen, könnten auch dort bald tiefer in die Tasche greifen müssen. Zur Zeit wird geprüft, in wie weit die EU-Richtlinie auch für den nicht-kommerziellen Verleih gilt. Eine Erhöhung der (jährlichen) Nutzergebühr ist im Gespräch, sagt Bibliotheks-Cheflektor Erwin Mietke.
„Warum wollten denn die CD-Verleiher nicht früher mit uns reden?“ wundert sich Elmar Krause vom Bundesverband der Phonographischen Industrie. Einen Branchenkonsens in Sachen CD-Verleih sieht der Interessenvertreter der Phono-Industrie derzeit nämlich nicht. „Jede Plattenfirma wird für sich entscheiden, ob sie – abhängig von Titel und Interpret – eine Verleiherlaubnis geben will oder nicht. Das hängt natürlich auch von der ausgehandelten Lizenzgebühr ab.“ Ein CD-Kleinunternehmer hätte dann nur Tonträger eines bestimmten Labels im Angebot, ein zweiter die einer anderen Firma. Die Telefon- und Faxkosten bei „Phonodrom“ und „Sound-City“ dürften ins Unermeßliche gehen, wenn für jede neu erschienene CD wieder die erforderliche Erlaubnis fällig ist. Vom bürokratischen Hürdenlauf ganz zu schweigen...
Rechtsanwalt Stoffels glaubt denn auch, daß die Industrie erst mal Zeit gewinnen will, um herauszufinden, was sich tatsächlich in den paar Wochen am Umsatz getan hat, seitdem neue CDs nicht mehr verliehen werden. „Wenn die feststellen, daß sie am Verleih sogar verdient haben, machen sie es in Zukunft vielleicht einfach selber.“
Alexander Musik
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