Sanssouci
: Vorschlag

■ „Hautnah!“ von Felix Ruckert: SB-Performances im Dock 11

Ein bißchen Mut ist schon erforderlich, um sich auf dieses Theater einzulassen. Nicht weil einem im Hof des Spielortes Dock 11 eine Ratte über den Weg wuselt, sondern weil das Programm seinem Namen absolut gerecht wird: „Hautnah!“ Der Tänzer und Choreograph Felix Ruckert hat sein neues Stück als ein Serviceangebot konzipiert, aus dem der Theaterkonsument frei auswählt und den Dienstleistenden direkt dafür bezahlt: „Ich möchte, daß man ins Theater geht wie zum Friseur, daß man Geschichten, magische Momente und echte Empfindungen kaufen kann wie jede andere Dienstleistung...“ Theater wie ein Friseur- oder Restaurantbesuch, als käufliche Ware – eine originelle Idee, aber wie funktioniert das?

Zunächst wählt der Konsument aus einem Angebot von bis zu 14 Solisten beiderlei Geschlechts seinen Darsteller aus. Als „Speisekarte“ fungieren von den Schauspielern gestaltete Plakate, an denen eine Ziffer oder ein Buchstabe baumelt. Mit diesem Symbol, ohne zu wissen, wer sich dahinter verbirgt, begibt sich der Besucher in einen Vorraum. Dort sitzt die Ware Schauspieler aufgereiht auf einer Bank und wartet auf Kunden. Der Vergleich mit einem Bordell drängt sich auf, und entsprechend befangen verläuft die Preisverhandlung, bei der Regisseur Ruckert flüsternd vermittelt. „Was, 20 Mark? Für uns beide?“ Die beiden Besucherinnen sind in sichtlicher Verlegenheit. „Nein, zu zweit geht nicht. Aber 20 Mark ist er wirklich wert. Ihr könnt ihn ja nacheinander nehmen.“ Nach kurzem Zögern verschwindet die eine mit ihrem Darsteller im eigentlichen Theaterraum. Der ist von außen nicht einsehbar, und auch innen gibt es nur Séparées. Voyeure haben keine Chance.

Mein Auserwählter, ein zierlicher Chilene mit traurigen Augen (Alejandro Ramos, Preis: ca. 15 Mark), führt mich in ein weißes Zelt. Aus einer auf Abstand gehaltenen Begegnung zwischen der anonymen Masse Publikum mit Akteuren, die für alle spielen, wird so eine sehr persönliche Angelegenheit unter vier Augen. Alejandros Solo gilt als ziemlich distanziert, aber mir ist es hautnah genug, unverhoffte Selbsterfahrung inklusive. Auch für die Tänzer und Schauspieler ist die direkte Konfrontation ein Wagnis, schließlich hat mancher Kunde kein Problem mit soviel Nähe und könnte seiner Ware dichter auf die Haut rücken, als ihr lieb ist. Aus den Séparées dringt kaum ein Laut, dieses Theater kommt gleichsam auf Zehenspitzen; selbst in der Bar, wo ausschließlich leise Bachmusik erklingt, wird nur gewispert. Eine nahezu sakrale Atmosphäre. Denn siehe, da geschieht ein Wunder: Durch die Käuflichkeit wird die Hure Theater zur Heiligen. Hingehen! Kaufen! Preis VB. Anne Winter

Bis 12.8., 19-23 Uhr, Dock 11, Kastanienallee 79, Prenzlberg