Rundumschlag

■ Wohnkultur, Folge 13 Schritt für Schritt ins Paradies

Die ersten zehn Jahre in Berlin waren hart. Die Einzimmerwohnung im Wedding, die mir eine freundliche Bekannte eines Bekannten von jenem Freund, dessen Schwester eine Liaison mit der Kusine eines ehemaligen Mitschülers gehabt hatte, überließ, schien zunächst wie gemacht für einen jugendlich begeisterten Einzelwohner, der tags sowieso nur studieren und nachts clubben wollte. Doch die Abgelegenheit von jeder Ausgehpiste machte letzteres schon binnen zweier Monate voll nächtlicher Bus-Odysseen zunichte. Und auch die Tagesreisen zur Uni wurden innerhalb kürzester Zeit viel zu lang und beschwerlich, als daß man nicht auch zu Hause hätte gescheit lesen und lernen können. Dann aber zeigte die Wohnung ihr wahres Gesicht. Das Zimmer ließ sich nur unter dichter Ruß- und Rauchentwicklung beheizen, und die extra in der Küche eingebaute Dusche funktionierte erst nach mehreren Überschwemmungen, die dem Mieter im darunterliegenden Stockwerk einige häßliche Flecken an der Decke bescherten. Doch statt auf Schadensersatz zu drängen, hörte er Cat Stevens und steckte betroffene kleine Nachrichten durch den Briefschlitz. Sie blieben unbeantwortet.

Die Nachbarin zur Linken war glücklicherweise alt und taub, wurde aber schon bald durch eine arbeitslose Furie um die Dreißig ersetzt, die mittags laut zu orgasmieren pflegte, während ihr jeder noch so zarte Griff zur E-Gitarre dumpfe Schläge gegen die provisorisch nach dem Krieg errichtete Rigips-Wand abzuverlangen schien. Außerdem miefte die Pißspur ihres markierungsfreudigen Katers im gemeinsamen Flur vor der Außentoilette. Schnell wurde die Freiheit zum einsamen Verlies, das Zimmer zur mönchischen Zelle, die sich der Philosophie-Professor am Schreibtisch seiner lichtdurchfluteten Altbau-Mansarde für erbauliche Merve-Texte über das Leben der Studenten ausdachte. Vor meinem Fenster krochen derweil heimatlose Männer schon zum Frühstück betrunken über den Gehweg.

Dann lernte ich eine wunderschöne Frau kennen und lieben, und mit ihr kam eine bessere Bleibe in Kreuzberg, aber 61, unweit der Gneisenaustraße. Leider hielt das Glück nicht lange – das der Liebe zwar schon, nicht aber die Freude über das neue Heim. Kaum waren die letzten Habseligkeiten aus dem grauen Kabuff hinauf in den vierten Stock des so ansehnlichen Vorderhauses geschleppt, fingen Handwerker an, das Dach direkt über dem Kopf zu demolieren und mit diesen modischen Loftwohnungen für Singles zu spicken. Inzwischen zieht sich die Modernisierung bereits über zwei Jahre hin. Täglich um sieben Uhr früh bohren Bauarbeiter irgendwelche Wände in dem mittlerweile Stück für Stück entmieteten Haus nieder; seit ein Abwasserrohr fehlerhaft verlegt wurde, funktioniert die Klospülung nicht mehr richtig; durch die Decke rinnt Regenwasser und tropft auf eine beträchtliche Schallplattensammlung, die allmählich schimmelt. Letztens standen zwei Maurer nach getaner Arbeit neben der Treppe und pinkelten gegen die Holzverkleidung. Ich hätte doch mit dem Bio-Bäcker Freundschaft schließen sollen. Harald Fricke