■ Normalzeit
: Kann es anständige Makler geben?

Gelegenheits-Geschäftsmann Fikret diktiert mir sechs Minuten lang seine halbmoslemische Meinung über den Krieg in Jugoslawien aufs Tonband, die ich dann einer westdeutschen Zeitung verkaufe: 150 Mark für mich, 100 für ihn. Er fährt übermorgen nach Bulgarien zu seiner Freundin und dann mit ihr nach Hause in die Türkei. Für die nicht ungefährliche Tour mit seinem roten Mercedes mußte er sich schon Geld leihen, die 100 Mark konnte er also gut gebrauchen. Als ihn sein Bruder kritisiert, weil er für den Freundschaftsdienst Geld angenommen hat, verrate ich ihm, daß er bei dem Geschäft sogar noch beschissen worden ist – von mir: „Du hattest eine Information und dafür gab es in Hamburg einen Käufer, als Informationsmakler habe ich dazwischen vermittelt, eigentlich hätte ich nur eine Provision von maximal 100 Mark (immerhin 40 Prozent) behalten dürfen!“ Er lacht und verspricht mir weitere Geschichten, wenn er wieder zurück in Berlin ist. An sich ähnlicher Art ist der Deal mit Janna aus Irkutsk: Die gelernte Friseurin, mit besseren Heinrich- Heine-Kenntnissen als ich, schaffte zusammen mit einer älteren Freundin im Interhotel der idyllischen sibirischen Stadt nahe des Baikal-Sees an. Sie wohnt bei ihrer Großmutter, die – so klingt sie jedenfalls – nicht viel älter ist als ich. Leider spricht sie weder Deutsch noch Englisch und ich kein Russisch, so daß sich unsere gelegentliche Telefon-Kommunikation ihrerseits auf Lachen beschränkt – sie lacht aber dafür ganz wunderbar, fröhlich und laut. Und das reicht eigentlich auch schon: Ihre Enkelin Janna, die meist unterwegs ist, weiß dann, daß sie mir mal wieder einen – im Gegenbrief dann von mir mit 100 Dollar zu honorierenden – Brief schreiben könnte: über Irkutsk, über ihre Arbeit, ihr Leben – sibirische Geschichten eben.

Das tut sie dann auch, wobei jedoch leider ihr Jammern über Geldmangel den meisten Platz einnimmt. Trotzdem erfahre ich einiges: Den „Job“ im Hotel hat sie aufgegeben – stets hatte sie dort von 100 Dollar für einen One-Night-Stand 50 an den privatisierten Wach- und Nachtdienst abgeben müssen, der aber immer mehr verlangte, auch mehr Geld. Sie sparte eisern und kaufte sich schließlich einen Opel Askona, Baujahr 87. Mit dem Auto klapperte sie in und um Irkutsk die neuen Geschäfte und Unternehmungen ab, in der Hoffnung, dort einen neuen Job zu finden – vergeblich.

Im Juni verlieh sie den Opel an einen Freund, der ihn kaputt zurückgab. Derart immobilisiert war sie ins Grübeln gekommen: „Ich vertue mein Leben hier in diesem langweiligen Kaff, alle früheren Freundinnen sind verheiratet und haben schon Kinder. Ich will aber keine Kinder und auch keinen Ehemann, ich will eine gute Arbeit haben und mir ein eigenes Leben aufbauen, meine Freiheit.“

Ihre Briefe sind zum großen Teil in Russisch geschrieben, ich muß also immer irgendeinen Ostler finden, der sie mir übersetzt, manchmal tut das auch einer der Mitarbeiter im russischen Restaurant „Troika“, schrägt gegenüber der Treuhandanstalt, oder im neuen ukrainischen Straßencafé in der Oranienburger Straße. Da Janna das weiß, verkneift sie sich vielleicht allzu private Details, um mich und sich nicht in Verlegenheit zu bringen. Es ist auch so schon immer etwas peinlich, einem Fremden einen Brief zum Übersetzen vorzulegen. In meinem letzten Antwortbrief bat ich sie um nähere Einzelheiten des Schadens an ihrem Opel. Seit den hervorragenden Auto-Geschichten des Ostberliner Mathematikers Jakob Spies (im Sklaven) weiß ich nämlich, daß das Genre „Ersatzteile und ihre Beschaffung“ literarisch noch längst nicht ausgeschöpft ist, außerdem würde bei diesem Irkutsker Fall auch noch die eine oder andere „Normalzeit-Geschichte“ aus der wunderbaren Welt der Hauptzollämter abfallen, da bin ich mir ganz sicher.

Beim kurdischen Ersatzteilhändler habe ich neulich schon mal vorsorglich die „Materiallage für die 87er-Baujahr-Serien“ anrecherchiert. Helmut Höge

wird fortgesetzt