Never Mind The Bullocks

Hat nicht geschlafen: Sandra Bullock auf dem Trampelpfad nach oben. Fliesen und Parkett kann sie glücklicherweise selbst verlegen  ■ Von Anke Westphal

Eines der lustigsten Gebete geht so: „Lieber Gott / mach mich fromm / daß ich weit nach oben komm!“ Sandra Bullock mußte nicht beten, das übernahmen die Leute im Showbiz, denen Julia Roberts mittlerweile etwas abgenutzt vorkommt und Bridget Fonda zu intellektuell. Sie beteten folgendes: „Lieber Gott, laß eine junge, sympathische und bitte, bitte auch noch natürliche Sympathieträgerin für das böse, dreckige Filmgeschäft nachwachsen. Hübsch, aber nicht abschreckend schön, klug, aber eher lebenspraktisch und erfolgreich, was mit Sparsamkeit und Güte kombiniert sein soll!“ Der liebe Gott erhörte die Gebete und erwählte Sandra Bullock als Erlöserin von allem Übel in Form von Ehescheidungen, Affären, Drogenmißbrauch oder Steuerhinterziehung. Sandra Bullock hat es nicht mehr leicht. Seit sie sich in „Speed“ durch Unerschrockenheit beim Steuern eines Linienbusses praktisch für die Formel 1 qualifizierte, ist sie hierzulande besonders lästiger Zuneigung ausgesetzt. Hier ein Aufmacher, da ein paar natürliche Fotos. Hier Sandra aufmerksam, doch stillvergnügt – dort Sandra sportlich und übermütig. Die deutschen Medien lieben sie so eindringlich, weil Sandra Bullock Halbdeutsche ist. Ach, was heißt hier Halbdeutsche, das Mädel ist praktisch eine von uns! Die deutsche Mama, Helga Meyer, stand als Opernsängerin auf der Bühne, der Papa ist ein Gesangslehrer aus Alabama. Sandra finanziert ihrer Schwester mit den kürzlich bei „Während du schliefst...“ erwirtschafteten 1,25 Millionen ein Jurastudium. Kann man sich das entgehen lassen? Kann man nicht! Danke, lieber Gott: Jungtalent, in einem Künstlerhaushalt aufgewachsen und dabei so normal und wohlgeraten! Sandra Bullock ist wieder ein ernüchterndes Beispiel dafür, wie Leute, die jeder halbwegs mit Verstand und Herz ausgerüstete Mensch eigentlich nur sympathisch finden kann, öffentlich im Klischee enden. Liebe Frau, möchte man Bullock zurufen, laß doch deinen schönen Erfolg nicht so ausbeuten. Sandra Bullock absolvierte die ersten neun Lebensjahre gewissermaßen in Metropolen der Tradition: Nürnberg und Salzburg. Die Frau spricht deutsch, und zwar mit reizendem Akzent, „RTL exklusiv“ hat es bewiesen, Sandra vor Nürnberger Panorama: „Meine Schulfreunden von damals sein immer nok meine Freunde.“ Alle Wetter, wieder ein Bonuspunkt!

Auch wenn das kein PR-Statement war, hat es was mit Bullocks neuestem Film zu tun. In „Während du schliefst...“ von John Turteltaub („Cool Runnings“) spielt Sandra Bullock nicht mehr die großmäulige, unpünktliche Lottertrine, sondern ein schüchternes Mädchen von nebenan, was schon mal Raum für jede Menge radikalfeministischen Argwohn bietet. Lucy Moderatz arbeitet als Angestellte bei der Chicagoer U-Bahn, und weil sie Single und auch noch Waise ist, muß sie arbeiten, wenn die andern feiern, beispielsweise an Weihnachten. Das möchte sie verständlicherweise nicht, wer ist schon gern einsam? Ausgerechnet kurz vor Weihnachten wird Lucys liebster Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel (Peter Gallagher), ein kapitalkräftiger Schönling wie vom Armani-Laufsteg, vor einen einfahrenden Zug auf die Gleise gestoßen. Dreimal darf geraten werden, wer ihn rettet.

Die Geschichte von „Während du schliefst...“ ist es, abgesehen von einigen Verwicklungen, die der Zuschauer selber beäugen mag, nicht wert, erzählt zu werden. Wahrheit besiegt Notlüge, Familiensinn den Vater-Sohn-Konflikt, der Tischler ist dem Yuppie überlegen, und das natürliche Mädel triumphiert vor dem Altar über die schicke Zicke mit Hang zu chirurgischen Schönheitsmogeleien. Kein Zentimeterchen für Abgründiges. Das Ganze ist mit einer Katze, Christbaumschmuck und Geschenkpäckchen dekoriert. Ganz Amerika rannte in diesen Weihnachtsfilm, bei hochsommerlichen Temperaturen wohlgemerkt – schönes Indiz für die klitzegroße Bedürftigkeit der Leute nach der Familie als der kleinsten Zelle... Aber lassen wir Marx, Engels und Lenin ruhen. In den 80ern kam man auch allein klar; jetzt kommen härtere Tage. Bullocks Platz in dieser Umgruppierung der Rollen und Werte ist nach nur drei größeren Filmen noch nicht auszumachen, wie interessanterweise auch bei Sarah Jessica Parker, Halle Berry oder selbst Drew Barrymore nicht. Da rackern sich junge Schauspielerinnen ab, beginnen beim Film als süße Teenager (Willkommen, Julia Roberts!) oder toughe „working girls“ (Tach, Julia Roberts!) und dürfen letztendlich Prinzessin (Tschüs, Julia Roberts!) sein. So richtig beneidet man sie nicht. Sandra Bullock gibt als Lucy Moderatz, was in „Demolition Man“ und „Speed“ noch nicht sichtbar werden konnte oder durfte: die Fähigkeit, einen völlig linearen, sprich fix und backfertig angerührten Charakter mit Seele zu erfüllen: ein abwesendes Streicheln der Katze, ein Frösteln am Würstchenstand. Hoffentlich lauern da nicht schon die nächsten Fallen. „Während du schliefst...“ beschenkt uns mit geordneten Verhältnissen, mit „Harr, harr“ und „Heul, heul“. Hat man nicht ein Recht darauf, daß im Kino mal an die niedersten Instinkte appelliert wird? Wem erinnerlich ist, wie sehr Einsamkeit schmerzt, wer Hochzeiten befürwortet und auch Weihnachtsbäume nicht für eine Verschwörung gegen individuelle Freiräume hält, wird diesen Film sehr lieben. Wie ich. Bei aller Kritik der Vernunft – „Während du schliefst...“ reibt einem auch unter die Nase, daß es erschreckend wenig bedarf, um froh zu sein. Sandra Bullock ist seit gestern 29 Jahre alt und war, wenn man der Brigitte- Fraktion glaubt, schon immer weise, weil sie mit siebzehn begann, für die eigenen vier Wände zu sparen. Fliesen und Parkett verlegen kann sie auch. Es muß einem nicht bange sein um Sandra Bullock, falls Hollywood ihrer jemals überdrüssig werden sollte.

„Während du schliefst...“ Regie: John Turteltaub, mit Sandra Bullock, Bill Pullmann, Peter Gallagher. USA 1995, 100 seufzpotente Minuten, schön bunt.