Schönes neues Siliwood

Animation und Special-effects-Firmen graben das Studiosystem, wie wir es kannten, gründlich um. Spielbergs DreamWorks kauft 500 Zaubermeister. Renaissanceartige Produktionsformen machen sich breit  ■ Von Mariam Niroumand

Einigermaßen indigniert bemerkte neulich das Branchenblatt Premiere, daß neuerdings in Pacific Palisades, unweit von Steven Spielbergs großzügiger Residenz, ein Kerl namens Scott Billups eingezogen war, der statt einer Glamour- Aureole einen Kopfhörer umgeschnallt hatte, mit dem er die Sounds auf seinem 8100/110 Power Macintosh kontrollierte. Billups zeigte dem Premiere-Mann dann, wie er mit einem Klicken der Maus Marlon Brando 40 Jahre Unbill aus dem Gesicht nehmen und ihn wieder zu dem knackigen Burschen machen kann, der er noch in „On the Waterfront“ war. Anschließend nimmt er diesen Brando und läßt ihn mit dem Brando aus „Apocalypse Now“, also 32 Jahre und sehr viele Bloody Maries später, in eine kleine Plauderei über das Schauspielen und die Weiber eintreten. „Siliwood“, schrieb Premiere-Reporter Marton dann später, „ist der Ort, wo Silicon Valley auf Hollywood trifft. Dort werden künftig Visual- effects-Spezialisten auf der Bank Platz nehmen, auf der bislang nur Regisseure saßen.“ Schon hat die Academy of Motion Picture Arts and Sciences eine eigene Abteilung für Visual-effects-Künstler eingerichtet – was seit 42 Jahren nicht mehr vorgekommen ist und einer Einladung von Hugh Grant an den Frühstückstisch der britischen Krone gleichkommt.

Ob das düstere Orakeln der Branchenblätter eine Berechtigung hat, oder ob es sich nur wieder um dasselbe Gegreine handelt, das schon die ersten Telefone begleitete, bleibt abzuwarten. Eher scheint es, als entwickelten sich in jenem mirakulösen Siliwood Produktionsformen, die an die Künstlerwerkstätten der Renaissance gemahnen: An der Seite des Regisseurs finden sich kongeniale Handwerker, die narrative Konzepte in visuelle Effekte übersetzen. Zur Zeit nun sind die großen Hollywood-Studios, die gerade dazu übergegangen waren, in ihren Hinterhöfen wieder eigene große Special-effects-Anlagen zu bauen, in heller Aufregung: DreamWorks, das neue Megateam von Steven Spielberg, Jeffrey Katzenberg und David Geffen, hat einen Vertrag mit Silicon Graphics geschlossen, der die Beschäftigung von 500 Special-effects-Fachleuten vorsieht. DreamWorks arbeitet an einem Projekt mit dem Titel „Prince of Egypt“, eine Animation über Moses und die Zehn Gebote – gewissermaßen die natürliche Fortsetzung von „Schindlers Liste“.

„Diese Leute, die 500 Spezialisten, die DreamWorks auf die Galeere nehmen will, müssen irgendwo herkommen“, kommentierte ein Branchenkenner gegenüber Variety, und tatsächlich ist die Zahl der Computer-Wizzards, die auf die neuen Anforderungen reagieren können, erstaunlich klein. Deshalb ist die Industrie – was ebenfalls an Renaissance-Verhältnisse gemahnt – dazu übergegangen, Personal und Software auszutauschen. „Können Sie sich vorstellen“, fragte die Variety-Reporterin Katherine Stalker kürzlich, „wie Angestellte von Sony Überstunden machen, um einen Film von Paramount noch rechtzeitig fertigzubekommen?“ Diese neuen, seltsam antikapitalistischen Produktionsformen sind ebenfalls ein Indiz für die ungeheure Bedeutungsaufwertung, die die sogenannten F/X-Departments in den letzten Jahren erfahren haben. Auch wenn sie noch auf den Hinterhöfen der großen Studios stehen, machen sie ihre Geschäfte längst selbst – kein Mogul kann es sich leisten, sie dafür an die Luft zu setzen. George Lucas' Industrial Light & Magic ist längst ein über die Branche hinaus bekannter Markenname, aber auch Firmen wie „Dream Quest“ („Crimson Tide“) oder Sony Imageworks („Speed“) konkurrieren um die exponentiell in die Höhe schießenden Aufträge.

Angefangen hatte alles mit „Star Wars“, 1977, dem ersten Film, bei dem ein Computer direkt an die Kamera angeschlossen worden war. Einzelne Kamerabewegungen konnten nun aufgezeichnet und exakt wiederholt werden; wer „Star Wars“ gesehen hat, erinnert sich an die Eingangssequenz, bei der ungeheuer ruhig und raumschiffmäßig schwebend wieder und wieder ein Miniatur-Zerstörer umkreist wurde. Dann folgte „Star Trek II“, bei dem das erste Mal ein computergeneriertes Objekt im Film zu sehen war. So ging es eine zeitlang weiter; was immer noch fehlte, war eine computergenerierte Figur. Der Rubikon wurde erst fast zehn Jahre nach „Star Wars“ überschritten, mit dem Film „Willow“, bei dem zum ersten Mal das sogenannte „Morphing“ zu sehen war, also die langsame computergenerierte Morphose von einem Schaf zu einem Strauß, einem Pfau, einer Taube, einem Tiger und schließlich, denken Sie nur – einer Frau. Allerdings war der entscheidende Unterschied damals noch, daß jede Bewegung einer Figur auf Film aufgenommen werden mußte, statt im Computer produziert zu werden. Industrial Light & Magic traten dann als nächstes mit einer hauchzarten Wasserschlange in „The Abyss“ auf den Plan, an deren Hand die fleischlichen Akteure in die Tiefe sanken. Ihre Haut war eine Art durchsichtiger Spiegelfläche, die jede menschliche Bewegung nachahmen konnte. Klar, daß hier die Produzenten von „Terminator 2“ einige von den Tricks lernten, die sich dann schließlich zu dem Quecksilber-Mann verflüssigen und wieder formen ließen, Animation und Morphing in einem. Deshalb mußte Tom Hanks auch nicht mehr genau den Handschlag der Präsidenten in komplizierten Arrangements synchronisieren – der Computer machte es passend.

Unter den Berufen, die schon ganz bald überflüssig werden könnten, gehört entsprechend der des Schauspielers. „Wissen Sie“, erzählte der F/X-Mann Sten Branko kürzlich Reportern, „inzwischen stecken in Marilyn Monroes Nase mehr Computerdaten als in irgendeinem der Dinos aus Jurassic Park. Ich habe kürzlich von einem Studio den Auftrag bekommen, digital den ultimativen leading man und die absolute leading lady herzustellen, also die Lippen von Soundso, die Stirn von Soundso, einfach von allem das Beste.“ Neulich habe ihn eine Schauspielerin, deren Namen er selbstverständlich nicht nennen wollte, angerufen und gesagt: „Weißt du was, ich habe so viel trainiert, ich bin extrem gut in Form und möchte einen totalen Body-scan, jetzt, denn so gut werde ich nie wieder aussehen.“

Gar nicht abzuschätzen ist, wieviel Geld dereinst einmal durch die Computer einzusparen sein wird. Neuerdings gibt es ein Programm mit Namen „Composer“, das aus einer kleinen Gruppe von Leuten eine riesige Massenansammlung machen kann. Robert Zemeckis, der als Regisseur von „Forrest Gump“ über die glücklichsten Erfahrungen mit F/X verfügt, freute sich in einem Interview mit Variety: „Wenn ich eine Massenansammlung von Leuten aus den zwanziger Jahren brauche, die weiße Capes tragen, brauche ich keine 3.000 Statisten in historischen Kostümen mehr zu bezahlen. Was, glauben Sie, hat es gekostet, in ,Forrest Gump‘ Tausende von Leuten auf die Toilette auf der Washington Mall rennen zu lassen?“ Warner Brothers Imaging Technology plant auch, immer wieder gern verwandte Set-Designs wie „Straße in New York“ oder „Downtown Los Angeles“ auf Computer erstehen zu lassen und dort abrufbereit zu speichern. Schauspieler müssen nicht mehr jedes Mal vor dem vollen Set, sondern nur noch vor einem Blue Screen proben. Die Kosten für einen Drehtag fallen logischerweise wie die Fliegen. Niemand lacht mehr über die Vorstellung, Hollywood könnte demnächst Millionen für computeranimierte Schauspieler zahlen. „Ich meine, rechnen Sie sich doch aus“, meint Scott Billups, „was ein Studio davon profitiert, mit Schauspielern zu arbeiten, die nie zu spät kommen, rund um die Uhr arbeiten und niemals fett oder alt werden.“ Die „Screen Actors Guild“, eine Art Schauspielergewerkschaft, findet diese Entwicklung natürlich nicht so rasend komisch: „Wer die Kontrolle über sein Äußeres aufgibt“, erklärte ein Organisationssprecher in einem internen Bulletin, „und es jedem überläßt, riskiert, irgendwann überhaupt nicht mehr arbeiten zu können.“ Währenddessen freut man sich bei Industrial Light & Magic, neulich sogar von Werner Herzog besucht worden zu sein. Er soll Bilder bestellt haben, die „sonst auf diesem Planeten nicht existieren“. How sili!