Proben aus der konservativen Giftküche

■ betr.: „Reform“-Pläne des Sozial systems und faktische Einführung von Studiengebühren

Die jüngsten „Reform“-Pläne des Sozialsystems und die faktische Einführung von Studiengebühren für StudentInnen aus bescheideneren Verhältnissen, mit denen die Bundesregierung sich anschickt, Sommer- und Etatlöcher zu stopfen, zeigen ein verblüffend präzises Timing. Dieser sozial- und bildungspolitische Amoklauf dokumentiert, daß der Bonner Regierungskoalition das Wasser bis zum Halse steht. Genau gesagt, handelt es sich hierbei um jenes Oberwasser, das die Bündnisgrünen bei den letzten Landtagswahlen und die Ökologiebewegung insgesamt infolge der Greenpeace-Aktionen gegen Shell und Chirac gewonnen haben.

Den Schrecken, wie er etwa aus den gehäuften Polemiken in der FAZ seit den Landtagswahlen im Mai spricht, versuchen die Konservativen auf mehreren Ebenen zu verarbeiten: Einerseits soll der grün-alternative Sumpf trockengelegt werden, was durch die Zwangsfamiliarisierung von Wohngemeinschaften und sonstigen nichttraditionellen Lebensformen und damit letztlich deren Erosion gewährleistet werden soll. Die geplante Verzinsung des Bafög- Darlehens wird zur Folge haben, daß die Universitäten als Humus aufgeklärter Opposition zusehends ausfallen werden. Insbesondere von dem Studium geisteswissenschaftlicher Reflexionsfächer ohne fest umrissene Verwertungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt (= Berufsbild) wird durch den drohenden Schuldenberg massiv abgeschreckt. Das betreffende Menschenmaterial soll im Dienste des „Wirtschaftsstandortes Deutschland“ funktionalisiert werden. Daneben soll offenbar durch punktuelle ökologische Symptombehandlungen die „Brechstange“ (FAZ, 19. 7. 95) an das grüne Wählerpotential angelegt werden, woran vor allem der angeschlagene liberale Koalitionspartner genesen soll.

Die überlebenswichtige Dringlichkeit, die FDP aufzupäppeln, ist wohl auch CDU und CSU derart deutlich ins Bewußtsein getreten, daß sie nunmehr gelobigen, die scheintoten Gelb-Blauen künftig „pfleglich“ zu behandeln (FAZ, 19. 7. 95), bevor unsicheren KantonistInnen wie den Leuten vom Freiburger Kreis der Boden in ihrem Mumienkabinett in spe zu heiß wird. Schließlich reiht sich auch die – freilich durchaus konsensfähige – Absage an schwarz- grüne Koalitionen auf Landes- und Bundesebene, um die Wähler „nicht zu verunsichern“, in diesen Maßnahmenkatalog ein.

Insofern zeigt sich in der Sozial- und Bildungspolitik der Bundesregierung alles andere als Konzeptionslosigkeit: Das Konzept besteht in einer frenetischen Abwehrschlacht gegen das Schreckgespenst des sozialökologisch-emanzipatorischen Umbauprojektes. Die Proben aus der konservativen Giftküche sind nur ein Element in der Formel des „weiter so“. Der Wahnsinn hat Methode.

Wenn die Aggressivität, in der konservative Politik heute gefahren wird, derzeit exponentiell ansteigt, dann enthüllt dies, daß sich die Rechte im Interesse ihres Machterhaltes inzwischen nicht mehr leisten kann (oder dies zumindest glaubt), Rote und Grüne an der langen Leine zu halten. Dies jedoch sollte letztere in ihrem Selbstbewußtsein bestärken, die Konservativen tatsächlich da getroffen zu haben, wo es weh tut, und daß, wenn wir jetzt nicht lockerlassen, Perspektiven bestehen, die gegenwärtige Bonner Koalition in absehbarer Zeit dahin zu befördern, wo wir sie am liebsten sähen. Frank Jablonka, Kiel