„Die Menschen waren apathisch“

■ „Ärzte ohne Grenzen“ über die Eroberung Srebrenicas

Brüssel (taz) – In Brüssel sind gestern weitere Einzelheiten über die Lage in Srebrenica bekanntgeworden. Die deutsche Krankenschwester Christine Schmitz, die als Mitarbeiterin von „Ärzte ohne Grenzen“ die Eroberung der UN- Schutzzone vor zwei Wochen miterlebt hatte, berichtete bei einer Pressekonferenz, daß Soldaten der bosnisch-serbischen Armee die Krankenhäuser durchsucht und Männer verschleppt hätten. Noch bevor das Rote Kreuz die Kranken und Verwundeten abholte, hätten die Soldaten systematisch alle Räume durchkämmt. „Wir haben es nicht einmal mehr geschafft, unsere lokalen Mitarbeiter, meist junge Männer, aus Srebrenica herauszubringen.“

Von mehreren Weinkrämpfen unterbrochen, erzählte Christine Schmitz, wie ein Mann mit einem Baby auf dem Arm und begleitet von einem serbischen Soldaten auf sie zugekommen sei, um ihr das Kind in die Hand zu drücken. Er habe ihr noch gesagt, daß die Mutter tot sei, bevor er abgeführt wurde. Sie habe das Kind ins UN- Flüchtlingslager nördlich von Srebrenica gebracht. Als sie zwei Tage später noch einmal in die Stadt zurückgekehrt sei, habe sie dort viele Menschen apathisch und „in derselben Position wie vor zwei Tagen“ vorgefunden.

Während des serbischen Angriffs, bei dem von allen Seiten Granaten einschlugen, seien große Teile der Bevölkerung in völligen Fatalismus verfallen. „Sie blieben in ihren Häusern, ohne Schutz zu suchen“, erzählte die sichtlich unter Schock stehende Krankenschwester, „sie haben nicht einmal mehr versucht, die Kinder, die auf der Straße spielten, vor den Einschlägen in Sicherheit zu bringen.“ Auch das Krankenhaus sei von den bosnischen Serben gezielt bombardiert worden.

Von Folterungen, Hinrichtungen und Massenvergewaltigungen, wie sie in den letzten Tagen mehrfach berichtet wurden, habe sie in Srebrenica nichts mitbekommen. Zu sehr sei sie mit den Kranken beschäftigt gewesen. Sie habe aber immer wieder Schüsse aus einem Haus gehört, in dem Männer festgehalten wurden.

Aus diplomatischen Kreisen in Brüssel sickern inzwischen immer mehr Berichte von Greueltaten der bosnisch-serbischen Armee nach der Erstürmung von Srebrenica durch, von Massenhinrichtungen und von Menschen, die reihenweise an ihren Geschlechtsteilen aufgehängt worden sein sollen. Nach ersten offiziellen Stellungnahmen der in Srebrenica stationierten niederländischen Blauhelme haben diese fast keine Übergriffe der Serben feststellen können. Den Außenministern der EU liegen jedoch Aussagen der Niederländer vor, die kaum Zweifel an Menschenrechtsverbrechen lassen. Alois Berger