Nato beschließt, auf die UNO zu hoffen

Mehrere Tage diskutierten die Nato-Mitglieder über Luftangriffe auf die bosnische UNO-Schutzzone Goražde – doch was dort nun wirklich passieren wird, ist weiterhin unklar  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Die Nato-Mitgliedsstaaten haben sich in Brüssel geeinigt, einen Angriff der bosnischen Serben auf die UN-Schutzzone Goražde mit „massiven und entscheidenden Luftangriffen“ zu beantworten. Man habe detaillierte „Szenarien für Vergeltungsangriffe aus der Luft“ festgelegt, heißt es aus dem Nato-Hauptquartier. Welche Ziele ins Visier genommen wurden, darüber wurde keine Auskunft gegeben. Nato-Generalsekretär Willy Claes kündigte an, daß der Befehl zu Luftschlägen nicht erst bei einem serbischen Angriff auf Goražde gegeben werde, sondern bereits, wenn um die UN- Schutzzone herum serbische Truppen zusammengezogen würden.

Im Mittelpunkt der sich über mehrere Tage hinziehenden Diskussionen in Brüssel stand eine Beschleunigung der Abstimmunsprozedur zwischen Nato und UNO. Die Nato hatte bisher immer kritisiert, daß die Wege bis zu einer Entscheidung über Luftangriffe zu lang seien und daß der UN-Sonderbeauftragte Yasushi Akashi stets gebremst habe, wenn es ernst wurde. Sie hat deshalb die Aufhebung des sogenannten „Zwei- Schlüssel-Prinzips“ verlangt, nach dem sowohl zivile als auch militärische Entscheidungsträger zustimmen müssen.

Beim gestrigen informellen Treffen des UN-Sicherheitsrates wollen Nato-Beobachter beim UN-Generalsekretär zwar eine „größere Aufgeschlossenheit“ gegenüber den Nato-Forderungen beobachtet haben. Sie führen das auf das Treffen der Bosnien-Kontaktgruppe am Freitag letzter Woche zurück, bei dem vor allem die USA mit moralischen Argumenten auf Luftangriffe zur Verteidigung Goraždes gedrängt hatten.

In einem CNN-Interview gestern morgen war bei UN-Generalsekretär Butros Ghali von dieser Aufgeschlossenheit allerdings nichts zu merken. Butros Ghali pochte darin weiterhin auf eine Verhandlungslösung, die UNO sei mit den von den Mitgliedsländern zugestandenen Truppenstärken nicht in der Lage, Goražde zu verteidigen. Daran würden auch Luftangriffe nichts ändern.

Sollte Butros Ghali die Veränderung des „Zwei-Schlüssel-Prinzips“ dennoch genehmigen, läge die Entscheidung über Luftangriffe künftig beim französischen UN-General in Bosnien, Bernard Janvier, der die Gesamtverantwortung in Bosnien trägt.

Die USA hatten ursprünglich darauf gedrängt, den Einsatzbefehl dem britischen General Rupert Smith zu übertragen. Smith ist für die täglichen Entscheidungen zuständig und näher am Geschehen als Janvier. Dadurch wären die Entscheidungswege und damit auch die Reaktionszeiten kürzer. Doch in der Nato geht man davon aus, daß Butros Ghali die Befehlsgewalt allenfalls bis zu Janvier hinunterreichen wird. Janvier hat sich im Gegensatz zu Rupert Smith bisher sehr zurückgehalten, wenn es um die Anforderung von Luftunterstützung durch die Nato ging.

Aus Brüssel hieß es dazu diplomatisch, für die Nato sei es gleichgültig, welcher UN-Kommandeur den Einsatzbefehl für Luftangriffe bekomme. Wichtig sei nur, daß es ein Militär vor Ort sei, der die Situation besser einschätzen könne als ein Zivilist in New York. Schließlich müsse er entscheiden können, wann eine serbische Truppenverlagerung bedeutend genug sei, um Luftangriffe zu rechtfertigen.