: Betongrüße der Vergangenheit
Manche stehen unter Wasser, andere dienen als Raum für Fetisch-Parties oder als Atelier – niemand weiß, wie viele Bunker es in Berlin gibt, aber lästig sind sie der Stadt auf alle Fälle ■ Von Ulrich Clewing
Ein schöner Mittwochvormittag im Juli. Blauer, wolkenloser Himmel, die Sonne scheint. Genau der richtige Tag für eine Reise in die Vergangenheit. Herr Winge, ein freundlicher kleiner Mann, Haustechniker beim Bundesvermögensamt, erwartet mich schon. Der Schlüssel dreht sich im Schloß. Ich bin ein wenig nervös. Die Tür klemmt, springt dann ruckartig auf. Herr Winge geht hinein, ich halte Sicherheitsabstand. Heute morgen habe ich mir extra eine Taschenlampe gekauft. Die von Herrn Winge ist aber eindeutig besser.
Das erste, was ich sehe, ist eine Wand mit zwei Durchgängen rechts und links. Auf der einen Seite steht „Rauchen verboten“, auf der anderen „Ausgang“. In doppelter Ausführung, über jedem der Durchgänge einmal. Hinter dieser Wand liegt etwas, das aussieht wie ein großer Haufen Dreck. Ist es auch. Am Boden ein Vogelskelett. Anscheinend hat es jemand mit Absicht dorthin gelegt. Die Flügel sind ausgebreitet, es streckt mir den Bauch entgegen und lacht.
Der Schrecken findet längst woanders statt
Wir gehen die Treppe hoch. Die Engländer, erzählt mein Begleiter, hätten hier früher einmal eine Menge Spaß gehabt ... wollten den Bunker sprengen ... Tatsächlich, da fehlt was. Manche der Mauern haben riesige Löcher, andere Wände sind ganz weg. Ich stelle zufrieden fest, daß mein Studium der Kunstgeschichte anscheinend doch nicht ganz umsonst war und denke an Piranesis „Carceri“. Und noch etwas fällt mir auf. Alles wirkt beruhigend ordentlich. Die Treppe ist gesichert, die Gänge sind gesichert, hier kann nichts passieren.
Als ich das erste – und nebenbei bemerkt für lange Zeit auch letzte – Mal in einem Bunker war, habe ich mir vor Schiß fast in die Hose gemacht. Ich muß so um die elf Jahre alt gewesen sein, als wir ihn entdeckten. Er war plump und groß, beinahe majestätisch. Jedenfalls schrecklich furchteinflössend. Und die Tür stand offen. In einer Ecke fanden wir einen Blecheimer mit ranzig gewordener Margarine. Eiskalter Schauer, Gruseln.
Aber jetzt, gut und gerne zwanzig Jahre später und mit Herrn Winge an meiner Seite, ist alles anders. Das, was einmal den Schrecken solcher Gebäude ausgemacht hat, findet längst woanders statt. Die Lampen an den Wänden, meint Herr Winge, hat ein Champignonzüchter installieren lassen. Wann das war, weiß er nicht genau. Ist auch egal. Wir sind noch nicht zur Hälfte durch, und mir ist langweilig. Dieser Ort ist schrecklich banal; so banal und schrecklich wie die Gegend, in der er sich befindet. Berlin-Spandau, Földerichstraße 26.
17.000 Mark Unterhalt jährlich
Wie viele solcher Bunker in Berlin existieren, weiß niemand genau. Manche, wie der am „Sozialpalast“ in Schöneberg, werden immer noch für teures Geld für den sogenannten „erweiterten Katastrophenschutz“ freigehalten. Der zwanzig Meter hohe Betonklotz an der Pallasstraße, den die Philipp Holzmann AG 1943 von russischen Zwangsarbeitern bauen ließ, wurde 1989 für 10 Millionen Mark renoviert, sein Unterhalt verschlingt seither 17.000 Mark pro Jahr.
Andere Bunker stehen unter Wasser oder wurden teilweise gesprengt und aufgeschüttet. In der Bunkerruine am Humboldthain beispielsweise, so hat einmal jemand ausgerechnet, liegen rund eine halbe Million Kubikmeter Schutt. An einer der Außenwände üben Bergsteiger des Deutschen Alpenvereins das Klettern am Steilhang.
Seit der Berliner Verwaltungsreform werden die Bunker, sofern sie sich im Besitz des Landes befinden, von den Hochbauämtern der Bezirke betreut. Die Bunker, die dem Bund gehören, verwaltet treuhänderisch die Berliner Oberfinanzdirektion (OFD). Dort hat man auch exakte Zahlen parat. 29 sind es insgesamt, die meisten davon wurden zwischen 1940 und 1944 gebaut. Der größte Teil liegt im ehemaligen Westen der Stadt. Früher, als der Senat noch Konserven für den Fall der Fälle hortete, dienten sie meist als Lagerräume. Mittlerweile würde die OFD die Gebäude lieber heute als morgen zu Geld machen.
Sprengungen kommen leider nicht in Frage
Das Problem ist, daß niemand so recht weiß, wie das funktionieren könnte. „Was kann man schon mit so einem Bunker anfangen“, meint Thomas Kropp, der bei der OFD für die meisten Bunkeranlagen zuständig ist. Eine Sprengung, sagt der gelernte Jurist, käme in den meisten Fällen nicht in Frage. Zu groß sei die Gefahr, daß dabei auch umliegende Gebäude Schaden nehmen. Inzwischen gebe es zwar die Möglichkeit, die oft bis zu drei Meter dicken Betonwände zu zersägen. Doch auch das sei keine Lösung, findet Kropp: „Die Kosten kriegen sie nie wieder rein“.
Also werden die Bunker vermietet. Wegen der Schallisolierung eignen sie sich besonders als Übungsräume für Bands oder als Discos. Für die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen, Fluchtwege, Belüftung und ähnliches, ist dann allerdings der Mieter zuständig. Herr Kropp zuckt mit den Schultern: „Anders geht es nicht.“
Und selbst wenn schließlich ein Bunker glücklich vermietet wurde, ist es auch nicht immer recht. OFD-Sprecher Helmut John, in dessen Zuständigkeitsbereich der Bunker an der Ecke Reinhardt-/ Albrechtstraße in Mitte fällt, wäre seinen Mieter am liebsten sofort wieder los. In dem Gebäude finden an manchen Tagen bizarre Fetisch- Parties statt. „Das wollen wir natürlich nicht“, erklärt John. Man könne sich das ja mal anschauen, dann würde man schon sehen, meint der OFD-Beamte verschwörerisch.
Hochzeitsnächte im NVA-Bunker
Doch anscheinend kommen auch andere Leute auf komische Ideen, wenn sie an Bunker denken. In dem ehemaligen NVA-Bunker in dem Örtchen Harnekop im märkischen Oderland können Frischvermählte seit neuestem nicht nur ihre Heirat feiern, sondern auch gleich die Hochzeitsnacht verbringen. Vergleichsweise konventionelle Ergebnisse brachte dagegen ein Wettbewerb zur Gestaltung des Bunkergewölbes unter dem Alexanderplatz, zu dem vor zwei Jahren das Bezirksamt Mitte Architekturstudenten der TU aufgefordert hatte. Die Jungarchitekten entwarfen Kneipen, Bars und das sogenannte „U-Tell“, ein unterirdisches Hotel für betuchte Stadtindianer.
Im Kreuzberger Bunker fehlen Fluchtwege!
Mittlerweile interessieren sich sogar die Denkmalschutzbehörden für Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg. Der in der Kreuzberger Fichtestraße ist bereits 1992 für erhaltenswert erklärt worden. Die Begründung fiel seinerzeit freilich etwas dünn aus: Der Bunker sei Wahrzeichen des Fichte-Kiezes und daher zu schützen, so Wolfgang Liebehenschel vom Hochbauamt Kreuzberg. Was nun damit geschehen soll, weiß er aber auch nicht. Pläne des Kreuzberger Kunstamtes, dort eine Spielstätte für freie Theatergruppen einzurichten, scheiterten – ausgerechnet – an fehlenden Fluchtwegen.
Die meisten der Berliner Bunker fristen eine Minimalexistenz: Sie stehen einfach rum. Auch das ist nicht ganz unproblematisch. Immer wieder ziehen Bunker Spinner aller Art an, Waffennarren, Militaria-Fans, Neonazis. So ereignete sich am 22. Januar 1992 am „Mont Klamott“, dem ehemaligen Flakbunker im Volkspark Friedrichshain, eine mysteriöse Explosion. Hinterher fand man eine rot-weiße Plastiktüte der Supermarktkette Meyer sowie eine dreißig Meter lange Zündschnur.
Die Polizei vermutete damals, die Täter hätten sich Zugang zu dem seit Jahrzehnten völlig leergeräumten Bunker verschaffen wollen, in dem Glauben, dort „Militaria oder sonstige Gegenstände von Interesse“ zu finden. Heilige Einfalt.
Nervenkitzel versprach man sich anscheinend auch von der Entdeckung des Honecker-Bunkers mit dem klingenden Namen „Führungskomplex 5000“. Was an dem einst für 1,5 Milliarden DDR- Mark errichteten riesigen unterirdischen Gelände 20 Kilometer nordöstlich von Berlin so interessant sein soll, ist jedoch nicht ganz klar. Gut, es ist ein Beweis für den Wahn und die Verstocktheit, zu der alte Männer fähig sind – aber mehr auch nicht.
Ein Ort der Isolation und Inspiration
Auch Kunstausstellungen in Bunkern hat es schon gegeben. Vor zwei Jahren organisierte der Berliner Künstler Johannes Oberthür zusammen mit zwei Kollegen eine im Bunker am Anhalter Bahnhof. „Als ich das erste Mal dort drinnen war“, erzählt Oberthür, „dachte ich, jetzt ist alles aus.“ Oberthür erfuhr den Bunker anfangs als die totale Isolierung, das Ausgegrenztsein von Gefahr wie auch „von allem anderen, was menschliches Leben ausmacht“.
Aber nachdem die Künstler drei Wochen in dem Betonsarg gearbeitet hatten, verwandelte sich die unheimliche Stille in meditative Ruhe. „Zum Schluß haben wir uns überlegt, ob wir diesen Ort nicht weiterhin für Ausstellungen nutzen könnten.“ Inzwischen ist der Bunker an eine Firma vermietet, die in drei der insgesamt fünf Etagen ein Wachsfigurenkabinett einrichten will.
Vor zwanzig Jahren hatte der französische Philosoph Paul Virilio den Bunkern des Zweiten Weltkrieges, insbesondere dem „Atlantikwall“ der Nazis, einmal eine Ausstellung gewidmet. 1992 erschien das dazugehörige Katalogbuch in deutscher Sprache. Darin enthält sich Virilio strikt irgendwelcher moralischer Wertungen. Für ihn sind die Bunker Zeugnisse einer „Ästhetik des Verschwindens“, Bauwerke einer fremden, vor langer Zeit untergegangenen Kultur. So ist es. So soll es bleiben.
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