Clt macht noch keinen Kult

■ Die Wege der Jugend sind unerforschlich, das sollte sich Kabel 1 für seine Sendung "Clt" (immer um 17.10 Uhr) merken und von Ilona Christen lernen

Bekanntlich lernen allmählich auch Erwachsene, was Kult ist. Erster Lernschritt: Das Wort meint alles, was der Jugend von heute gefällt. Medienleute haben die Jugend gern. Denn die Youngsters haben viel Taschengeld und entscheiden in den meisten Familienhaushalten durch ihr Urteil, was angeschafft wird und was nicht.

Deswegen fühlt sich RTL groß und Sat.1 nicht so groß: Der eine Sender zieht die deutsche Jugend an, der andere vor allem die Rentner, also diejenigen, die noch jeden Pfennig zweimal umdrehen, ehe sie ihn dem Konsum zum Fraße vorwerfen. Kult, so der zweite Lernschritt, heißt, chronisch die Zeichen der Wirklichkeit neu zu erfinden. Kult ist anbetungswürdig. Heute können Kakteen kultisch verehrt werden, morgen schon das Orchester James Last.

Die gedanklichen Wege der Jugend sind unerfindlich. Marketingleiter sollen schon unschuldig gefeuert worden sein, weil sie gern noch Baseballkäppis als hip und in deren grauer Form mit der Unterschrift von Bruce Willis als Kult erkannt haben. Schwer geirrt: Schon heute kann der Kult abgetakelt haben. Das nennt man Jobrotation. Was weiß die Jugend schon von solchen Tragödien?

Bei Kabel 1 kündigt sich eine solche gerade an, denn sie haben den zweiten Lernschritt nicht beherzigt. Denn ein Produkt kann nie Kult werden, nur weil es so benannt wird. Seit vier Wochen läuft auf diesem Sender, dessen Einschaltquoten sich in mikroskopischen Bereichen ansiedeln, eine Reihe, die Cúlt heißt. Nicht Kult, sondern mit C vorne und dem Akzent auf dem u. „More fun“ verspricht das tägliche halbe Stündlein, weil es in „abgedrehter Location“ sich dreht, kultige Moderatoren bietet, „talktalk“ veranstaltet und „News und Hintergründe“ schlechthin bietet.

Welcher Mann oder welche Frau auch immer für dieses Konzept verantwortlich zeichnet, er oder sie muß mit Kündigung rechnen. Erste Umfragen zeigen, daß die Sendung besonders gerne von alten Leuten geschaut wird, die sich auch nicht daran stören, daß ständig geächzt und gestöhnt, „geil“ ausgerufen und „echt spitze“ behauptet wird. Die News kennt man schon aus der Bravo und die Geschichten aus anderen Nachrichtensendungen, aus Zeitgeistpostillen und Szeneblättern. Auf den mittelalterlichen Zuschauer wirkt das alles hausbacken, um nicht zu sagen: langweilig. Auf den älteren hingegen, der vorher noch bei „Fliege“ gelernt hat, gut auf sich aufzupassen, nur gut.

Vor allem die schnellen Schnitte, die hektischen Aktivitäten der Moderatoren, die immer so verschwörerisch gucken, als säße man allein vor der TV-Kiste, gefallen der älteren Generation.

Merke: Wo Cúlt draufsteht, entsteht nie einer. Hätten unsere Eltern von uns verlangt, Jeans zu tragen, wären wir schon viel früher auf edelste Bundfaltenware umgestiegen. So ist das, das mag man für Kabel 1 bedauern. Überhaupt müssen die TV-Sender, mit Netzen wie Schmetterlingsjäger allzeit dem Zuschauer nachjagend, viel bedauert werden: Die Jugend ist unberechenbar.

Was nützen Sophie Patitz und Xenia Seeberg als Moderatorinnen, was helfen Kosmetiken von L'oréal und Wella, wenn es alles so anbiederisch daherkommt? Eine andere Umfrage, leider, liebes Kabel 1, brachte zutage, daß die Jugend von heute, ob hip oder nicht, inzwischen auf Christen, Ilona abfährt. Der Absatz von gelben Sonnenbrillen soll inzwischen rasend zugenommen haben: Die Dame macht nachmittags auf RTL vor, wie Kult funktioniert: Mit Nullware und einer Anmutung des Nichts, mit einer Aura des Sinnlosen hat noch jeder im Fernsehen Fans gewinnen können – oder mit Information, jedenfalls nicht mit hemmungsloser Anbiederei.

Viva will vom Herbst 1995 an eine Talkshow mit Heike Makatsch zelebrieren, andere Sender überlegen sich weiter, wie sie an die Jugend herankommen. Vielleicht fragen sie mal beim ZDF. Deren biedere, ja ultraschöne Vorabendserie „Forsthaus Falkenau“ war eine der beliebtesten Sendungen unter Menschen, die keine Kinder mehr sind und doch noch nicht wählen gehen dürfen. Das soll mal einer erklären – er würde auch eine unbefristete Stelle bekommen. Jan Feddersen