■ Nach den Brandanschlägen gegen türkische Einrichtungen: Sachschaden ist kein Thema
Was ist das Hab und Gut von Türken in Deutschland wert? Mancher Geschäftsinhaber steht in diesen Tagen vor einem Scherbenhaufen. Über Jahre mühsam aufgebaute Existenzen werden in einer Nacht zerstört. Täter, wie es heißt, mit unbekanntem Hintergrund, verüben auch in diesem Sommer Brandanschläge auf türkische Einrichtungen, Geschäfte und Wohnungen.
An Nachrichten, die sich wiederholen, gewöhnt man sich. Besonders pervers wirkt sich dieser Gewöhnungsprozeß bei Gewalttaten aus. An Brandanschläge gegenüber den Türken hat man sich in Deutschland auffallend leicht gewöhnt. Die Latte für Aufmerksamkeit und Anteilnahme liegt nach den Morden in Mölln und Solingen auch besonders hoch.
Doch ist es nur Nachrichtenmüdigkeit, worin die passive Haltung der deutschen Öffentlichkeit gründet? Die Polizei, das ist inzwischen die herrschende Meinung unter den Türken, vertuscht gerne die Hintergründe, vor allem, wenn es sich bei den Tätern um Rechtsradikale handelt. Die deutsche Presse spielt bei der Marginalisierung dieser Ereignisse weitgehend mit. Wo aber, fragt man sich, sind diejenigen, die gegenüber der Gewalt anderswo, so auch in der Türkei, eine besonders laute Meinung haben?
Das organisierte Gewissen in Deutschland hat sich zunehmend professionalisiert. Es folgt seinen eigenen Gesetzen. So schaut man als aufrichtiger Moralist erstmal weg, wenn Handlanger des bewaffneten kurdischen Widerstands Türken in Deutschland attackieren. Anschließend setzt man sich gegen die Abschiebung der Täter ein. Der türkischen Armee aber, die Krieg gegen bewaffnete Kurden führt, bleibt man auf den Fersen. Welcher Logik dient eine solche widersprüchliche Haltung? Sie bezeugt ein ungeklärtes Verhältnis zur Gewalt. Sie bestätigt das eigene schlichte Weltbild, auf dem immer die Gleichen, als Gute und Böse, Platz finden.
Viele Türken in Deutschland fühlen sich von der deutschen Öffentlichkeit verraten und verkauft. Die Strategie der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, mit Gewalttaten die Türken zu provozieren, ist bislang nicht aufgegangen. Wohl hat sie aber kurdische Positionen geschwächt. Tagtäglich werden dem türkischen Staat weitere Rechtfertigungsgründe für ihr hartes Vorgehen gegenüber dem kurdischen Widerstand geliefert.
Man sollte sich nicht täuschen. Auch wenn die deutschen Türken bisher den Frieden wahren, sie entfernen sich im Geiste und in der Haltung zunehmend von der hiesigen Gesellschaft, fühlen sich bedroht und von den Medien und der Politik dieses Landes nicht vertreten. Das könnte auch für Deutschland fatale Folgen haben. Zafer Șenocak
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen