Sarajevo braucht schwere Waffen

■ Der US-Senat hat beschlossen, das Waffenembargo gegen Bosnien aufzuheben / Die Folgen lassen sich voraussagen

Genf (taz) – „Um Frieden und Stabilität in Jugoslawien zu erreichen“, verhängte der UNO-Sicherheitsrat mit der Resolution 713 einstimmig ein „allgemeines und umfassendes Embargo für alle Lieferungen von Waffen und militärischer Ausrüstung nach Jugoslawien“.

Das war am 25. September 1991. Die Jugoslawische Föderation existierte noch. Ihre Republiken Slowenien und Kroatien wurden erst am 15. Januar 1992 als unabhängige Staaten anerkannt, zunächst von der EG, dann von den USA und anderen Ländern. Nach der Anerkennung Bosnien-Herzegowinas am 5. April 1992 und der Aufnahme dieses neuen Staates in die UNO, warf der damalige Botschafter Afghanistans im Sicherheitsrat die Frage auf, ob Bosnien nach völkerrechtlichen Kriterien nun nicht konsequenterweise von dem gegen Jugoslawien verhängten Waffenembargo ausgenommen werden müsse. Doch damals wollten sich weder die USA noch eines der anderen 13 Ratsmitglieder mit dieser Frage befassen.

Gut möglich, daß die USA die völkerrechtliche Argumentation des afghanischen UNO-Botschafters bald zur Begründung für ihre Aufhebung des Waffenembargos bemühen wird. Denn für eine derartige Entscheidung eines UNO- Mitglieds gibt es in der 50jährigen UNO-Geschichte bislang kein Beispiel. Bindende Resolutionen des Sicherheitsrates haben völkerrechlich den selben Stellenverwert wie die UNO-Charta. Verstöße können geahndet werden – unter anderem durch Sanktionsbeschlüsse.

Diese Sorge müssen die USA angesichts der realen Machtverhältnisse in der UNO zwar nicht haben. Doch besteht die Gefahr, daß sich andere UNO-Staaten künftig weniger als bisher an andere Embargo-Resolutionen des Gremiums (gegen Irak, Kuba, Libyen) gebunden fühlen, diese möglicherweise offiziell aufkündigen. In der Praxis wird die Resolution 713 des Sicherheitsrates jedoch seit langem unterlaufen. Zwar existiert bislang nirgendwo ein vollständiger Überblick über sämtliche Waffen- und Munitionslieferungen, die an die bosnischen Kriegsparteien und darüber hinaus an andere Adressen im ehemaligen Jugoslawien erfolgten. Bei Informationen aus westeuropäischen, US-amerikanischen oder russischen Geheimdienstquellen ist größte Vorsicht geboten. Sie könnten interessengeleitet sein.

Lieferungen zu Lande und aus der Luft

Die Karadžić-Serben waren von Beginn des Krieges an im Vorteil. Sie konnten auf die reichen Waffenbestände der Jugoslawischen Volksarmee zurückgreifen. Zudem kämpften wiederholt Todesschwadrone aus Serbien sowie reguläre Einheiten der Armee Serbiens an der Seite der Karadžić- Serben. Zuletzt vor drei Wochen bei der Einnahme der UNO- Schutzzone Srebrenica. Und auch der Nachschub an Waffen, Munition und Treibstoff über die angeblich im August 1994 von Belgrad geschlossene Grenze zwischen Serbien und Bosnien ist nie versiegt. Das wissen nicht nur die weitgehend hilflosen 170 Zivilbeobachter von UNO und EU, die im September 1994 an der über 500 Kilometer langen Grenze stationiert wurden, sondern auch die Regierungen der fünf Kontaktgruppenstaaten.

Daß die USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland dennoch regelmäßig im Sicherheitsrat Berichte absegnen, wonach die Grenze dicht sei, hat politische Gründe. Derzeit gilt der serbische Präsident Slobodan Milošević der Kontaktgruppe als wichtigster und unerläßlicher Partner für eine Friedenslösung.

Auch die bosnische Regierungsarmee erhält seit geraumer Zeit Waffen aus dem Ausland. Zumeist auf dem Landweg über Kroatien, das nicht selten eine kräftige Wegesteuer kassiert. Spätestens seit der nächtlichen Landung zweier großer Transportflugzeuge im Februar auf dem Flughafen der nordbosnischen Stadt Tuzla besteht der Verdacht, daß die bosnische Armee auch Waffen aus der Luft erhält. Skandinavische UNO-Soldaten, die die Landung aus nächster Nähe beobachteten, äußerten in ihrem Bericht an das Unprofor- Hauptquartier den Verdacht, es habe sich um Flugzeuge aus einem Nato-Land gehandelt, möglicherweise aus der Türkei oder den USA. Darauf ließen die elektronischen Nachtlandefähigkeiten der Flugzeuge schließen.

Als der Bericht öffentlich bekannt wurde, gab es zunächst ein Dementi aus dem Nato-Hauptquartier. Zudem eilte der Oberkommandeur des für Ex-Jugoslawien zuständigen Nato-Kommandos-Süd nach Zagreb und zwang die Unprofor, den Bericht zurückzuziehen. Auf Nachfragen zu dem Vorfall heißt es seitdem nur noch „Kein Kommentar“.

Bei den bisherigen Lieferungen an die Regierungsarmee handelt es sich fast ausschließlich um leichte Waffen. Schwere Waffen lassen sich kaum heimlich ins Land bringen. Die Überlegenheit der Karadžić-Serben bei Panzern, schweren Artilleriegeschützen, Hubschraubern und Kampfflugzeugen konnte die Regierungsarmee daher bislang nicht ausgleichen. Die Regierung in Sarajevo hofft, daß diese strategische Unterlegenheit ein Ende hat, wenn die US-Regierung das Embargo endgültig aufhebt. Sicher ist dies allerdings nicht. Es ist davon auszugehen, daß sich nun auch andere Staaten nicht mehr an die Sicherheitsrats-Resolution vom 25. September 1991 gebunden fühlen und künftig ohne irgendwelche Beschränkungen Waffen an die Karadžić-Serben liefern. Die strategische Lage dürfte sich so kaum entscheidend zu Gunsten der Regierungsarmee verändern. Andreas Zumach