In einer Zeremonie von perfekter Einfachheit gedachte Kaiser Akihito gestern der Atombombenopfer in Hiroshima. Ganz aber konnte er die zwiespältige Rolle seines Hauses in der Nachkriegszeit nicht vergessen machen. Aus Hiroshima Georg Blume

Der Kaiser verbeugte sich zweimal

Kurz nach der Mittagspause herrscht im Friedenspark von Hiroshima der Ausnahmezustand. Statt der bunt gekleideten Touristen, die hier an gewöhnlichen Tagen von Denkmal zu Denkmal schlendern, haben sich die Kampftruppen der Polizei des Parks bemächtigt. Ausgerüstet mit Schild und Schlagstock stehen die Ordnungshüter mit grimmiger Miene Spalier, wo sonst Schulkinder ihre selbstgeflochtenen Kränze niederlegen und weither gekommene Reisende Erinnerungsfotos knipsen. Sogar der berühmte Atomdom ist von Polizisten umstellt – ein Schnappschuß und ein Skandal. Wohl nur einmal zuvor wurde der Friedenspark von Hiroshima ähnlich streng bewacht wie am gestrigen Tag: Das war 1971, als Kaiser Hirohito, der von 1926 bis 1989 amtierte, einen Besuch abstattete.

Auf seinen Spuren hat es Nachfolger Akihito in Hiroshima besonders schwer. Eine Zeitlang schien es sogar, als wäre der Kaiser in der Atombombenstadt auf Dauer ebenso fehl am Platz wie die Polizisten im Friedenspark. „Shigatta ga nai“ – „es war unvermeidlich“ –, lautet der unverzeihliche Ausspruch, mit dem Kriegskaiser Hirohito bei einer Pressekonferenz im Jahr 1975 einen jungen Radio-Journalisten aus Hiroshima bedachte, der ihn nach seiner Einschätzung der Atombombenabwürfe gefragt hatte.

„Hirohito meinte damit, wir Bürger von Hiroshima hätten uns die Atombombe eben gefallen lassen müssen“, akzentuiert Fujihiko Komura, Deutsch- und Literaturprofessor aus Hiroshima, die Übersetzung der für ihn bis heute skandalösen Kaiserworte. Damals reagierte zwar nicht das ganze Land, aber immerhin ganz Hiroshima empört. Es machte die Sache nur noch schlimmer, daß Hirohito erstmals aus freier Seele auf eine ihm vorher nicht zugeleitete Frage zur Atombombe gesprochen hatte.

„Hirohitos Worte waren eine große Enttäuschung für uns“, erinnert sich Minoru Ohmuta, Direktor der öffentlichen Friedensstiftung der Stadt Hiroshima. Könnte er das auch dem jetzigen Kaiser sagen? Ohmuta schüttelt schnell mit dem Kopf. Der Kaiser und Hiroshima: ein schwieriges Thema. Am Donnerstag zählt Ohmuta dennoch zu den ersten, die Hirohitos Sohn und Nachfolger im Friedenspark von Hiroshima begrüßen.

Unzählige weiße Sonnenschirme bedecken gegen Mittag den Rasenplatz vor dem Opferdenkmal, an dem Kaiser Akihito und seine Frau Michiko zwei Sträuße niederlegen werden. Heiß brennt die Julisonne, und den vielen alten Leuten, die zwischen lärmenden Familien schweigend auf das Kaiserpaar warten, tritt der Schweiß auf die Stirn. Wie viele von ihnen waren wohl schon 1947 dabei, als der Tenno zum ersten Mal nach dem Atombombenabwurf Hiroshima besuchte?

50.000 Menschen hatten sich damals versammelt und gemeinsam mit Hirohito die Nationalhymne gesungen, die sie zuvor durch den Krieg begleitet hatte. Noch einmal, aber so nie wieder, hallte durch Hiroshima der kaiserliche Kriegsruf „Bansai“ – Ausdruck eines bis dahin ungetrübten Bewußtseins der Bürger von Hiroshima, daß alle Verantwortung für die Atombombe bei den Amerikanern lag.

Mit ärgerliche Miene erinnert sich die 82jährige Sadako Kurihara an diesen Tag im Dezember 1947. „Ich bin damals nicht hingegangen und gehe auch heute nicht hin“, stellt die mit ihren Gedichten zu Weltruhm gelangte Lyrikerin nüchtern fest. Aber Kurihara weiß auch, wie schwer es ihren Mitbürgern von Anfang an verständlich zu machen war, daß der Kaiser aufgrund seiner Rolle im Krieg für den Atombombenabwurf eine Mitschuld trug. Immer wieder hat sie das mit ihren Gedichten zu erklären versucht und wurde dafür bis 1951 von den amerikanischen Behörden streng zensiert, nur um in den späteren Jahren auf die Ignoranz des literarischen Establishments zu stoßen. Bis schließlich der Nobelpreisträger Heinrich Böll ihre Werke auf internationalen Kongressen verteilte.

Inwischen aber hat sich der Graben zwischen dem Kaiser und seinen Kritikern in Hiroshima wieder verkleinert. Nachdem viele Atombombenopfer kurz nach dem Krieg im Tenno ihren letzten Halt gefunden hatten, wandten sie sich von ihm ab, als die Tokioter Regierung über Jahrzehnte weg nichts für die von der Bombe auf ewig Geschädigten unternahm. Dann aber schlugen Kaiserhaus und Regierung nach der Thronbesteigung Akihitos einen neuen Ton an. Seither werden die bislang Mißachteten mit guten Worten überschüttet, und die Methode zeigte auch gestern ihre Wirkung.

Denn Akihitos und Michikos Auftritte in der Atombombenstadt sind von unnachahmlicher stilistischer Präzision. Nicht in der Substanz, die an der Kriegsverantwortung des Kaiserhauses rühren würde, wohl aber im Stil zollt das Kaiserpaar den Überlebenden der Bombe diesmal den höchstmöglichen Respekt. Zu den wichtigsten Gesten zählt die lange, tiefe und sogar zweifache Verbeugung des Kaisers vor dem Denkmal für die Atombombenopfer. Aus nichts anderem besteht die Zeremonie – keine Kränze, keine Reden, kein Gebet. „Das ist japanischer Stil, mehr ist gar nicht nötig“, sagt hinterher eine alte Dame.

Später besuchen Akihito und Michiko ein Altersheim für die Atombombenopfer, und dabei reden sie zu den Betroffenen und bekunden ihr Mitgefühl. All das ist immer noch neu für die meisten Japaner, die ihren Kaiser bis zu Hirohitos Tod nie aus der Nähe zu Gesicht bekamen. Vor allem im Altersheim von Hiroshima versteht sich der Besuch nicht von selbst: Denn nicht viele kommen diesen Menschen heute noch näher – ab und zu mal ein ausländischer Journalist. Nicht einmal Sunao Tsuboi, langjähriger Vorkämpfer der unabhängigen Atombombenopferbewegung in Hiroshima, kann dem Kaiserpaar deshalb noch böse sein: „Wir sind nicht gegen Akihito“, räumt der Generalsekretär einer Bewegung ein, die mit Kritik am Kaiser früher nie gespart hatte.

Doch ist die Kaiserkritik wirklich nicht mehr zeitgemäß?

Am Vorabend des kaiserlichen Besuchs, im Versammlungssaal eines etwas abgelegenen Kulturzentrums ist man anderer Meinung als die Mehrheit: Dort erklärt der Schriftsteller Yasukazu Amano einem Dutzend treuer Zuhörer, daß die neueren Vereinnahmungsversuche des Kaiserhauses in Hiroshima in ihrer Systematik ebenso dubios und ambivalent angelegt seien wie einst die Rolle des Kaisers im Krieg. Den Erfolg Akihitos bestreitet freilich auch Amano nicht. „Wer außer dem Tenno und den Ex-Präsidenten Jimmy Carter und Michail Gorbatschow ist denn schon in den letzten zehn Jahren nach Hiroshima gekommen und hat sich um die Opfer gekümmert?“ fragt Amano wütend.