"Pazifistische Rappelkiste" -betr.: Leserbriefe zu Bosnien, taz vom 28.7.1995

Betr.: Leserbriefe zu Bosnien, taz vom 28.7.

Ein böses Wort – und schon rumort's in der pazifistischen Rappelkiste. Konzertierte Aktionen müssen her: Der knallharte PDS'ler Horst Langhorst fordert in markigen Worten, daß die Bosnier jetzt aber zackig und zügig vertrieben werden. Im Grunde sei doch alles ganz einfach: Wenn keine Schwächeren mehr da wären, gäb's auch keinen Krieg. Der Stärkere habe ein Recht darauf, daß sich der Schwächere nicht auch noch wehrt. Danach aber müßten selbstverständlich alle Bosnier, wenn sie erst einmal durch den Scheuersack gegangen seien, in der Bundesrepublik Asyl finden. Vermutlich, um hier Vertriebenenverbände zu gründen. Rudolf Prahm, intelligenter als der pazifistische Durchschnitt, weiß, daß die Positionen dogmentreuer Friedensfreunde und Menschenfeinde vom Ansatz her verwackelt sind, daß ihr intellektuelles Niveau zumeist die Wahrnehmungsschwelle nicht überragt. Er erteilt deshalb klugerweise nicht dem Inhalt, sondern nur dem Stil der taz eine Rüge, um auch „Wauwau!“ gesagt zu haben. Der Mann vom Bau, Manfred Osthaus, outet sich als engagierter Nichthandler. Ersteinmal müsse bis auf den Milliliter exakt und total empirisch geklärt werden, ob der Völkermord in Bosnien nicht am Ende weniger Blut kosten wird als eine Intervention der demokratischen westlichen Staaten. Alles eine Frage der Quantität und des Preises. Wenn es billiger kommt, ist eben Völkermord schon ok. Vollend den Kronkorken hat's Matthias Rothstein vom Hals geknallt: Er faselt – so weit ich mich in der Wirnis seiner Gedankenwelt zurechtgefunden habe – etwas von langen Reihen rumänischer Securitate-Opfer, die schon im Golfkrieg von der Ustascha, dem imperialistischen Knüppel der Industriezentren und von irakerfahrenen Counter-Insurgency-Beratern hingemetzelt wurden und nun in Bosnien nicht als Leichen, sondern als Pappkameraden am Wegesrand liegen. Denn in Wirklichkeit, so die grobe Richtung dieses wilden Denkens, sei alles nur ein gigantischer Medien-Hype nationalistischer Humanisten. Währenddessen dürfen die Bosnier (!) den Serben (!) ungestört riesige Flächen Landes wegnehmen. Alle Bilder von toten Bosniern seien mehr so Kulissen, virtuelle Kunstwerke, Potemkin'sche Friedhöfe, geplant, inszeniert und grenzenlos aufgebauscht von der Meute der Berichterstattungs-Mafia in unserem Nazi-Nachfolgestaat BRD, nur dazu da, um die deutsche Bevölkerung erneut in einen Krieg zu stacheln. Von uns beiden hat irgendjemand zuwenig Synapsen für diese Überdosis „Konkret“. Was Rothstein verwendet, ist das gleiche Muster, das auch den Holokaust-Leugnern dazu dient, die Fotos der Leichenberge in Buchenwald und Auschwitz zu erklären. Hier wie dort sind es keine Greueltaten, sondern „Propagandafeldzüge“ des Westens.

Der organisierte Pazifismus wird von Tag zu Tag zynischer und pathologischer. Wie schrieb Goethe an Herder: „Ja, ja, die guten Herzen! – Ich kenne das Pack!“

Klaus Jarchow