Fünf auf einen Streich

Hof vier der Hackeschen Höfe: Fünfmal Mode der besonderen Art. Ein Überblick von  ■ Petra Brändle

Unter den Sohlen knirscht es, von den Wänden hallen die Schritte, federnde Bretter führen über breite Pfützen. Ein Geruch von frischem Mörtel und Staub liegt über allem. So passiert man das eingehüllte Chamäleon, gelangt in den zweiten, öde betonierten Hof, ringsum eingerahmt von kalten Kacheln in typisch berlinischer Handschrift. Hof drei bleibt links liegen, rechts dann, vorbei am Buchladen, Café und an einer Galerie: Hof vier der Hackeschen Höfe. Hier trägt man seit kurzem den Dreck der vorderen Höfe in fünf ganz besondere Geschäfte: Kostümhaus, Schmuckwerk, Trippen, Hanleys Hair Company und Lisa D. Mode könnte der verbindende Oberbegriff sein, doch mit kurzlebigen modischen Strömungen und Trends haben die fünf nichts gemein. Hier hat Kleidung eine theatrale oder lyrische Ader, Schuhe bestehen aus gewagten Absatzkonstruktionen und sind doch so orthopädisch wie ökologisch. Der Schmuck ist „schnörkellos“, während im Haarsalon so mancher Wunsch nach Dauerwellen unerfüllt bleibt, dafür aber auf jeden Fall die Kopfhaut mit einer speziellen Massage verwöhnt wird.

„Hof-vieren Sie uns!“, werben die Designerinnen und Designer, die sich bereits wie eine Familie fühlen. Anlaß zur Aufwartung besteht am heutigen Samstag. Die Hofanrainer haben, zeitgleich zum „Galerierundgang“ in der Auguststraße, von 17 bis 22 Uhr zum Umtrunk die Pforten geöffnet.

Kostümhaus

Ein weißer Gazestoff fließt durch den Raum, eine filigrane Blumenschmiedearbeit dient wunderbar als Raumtrenner. Vorne hängt die Kostümhaus-Kollektion, auf einem Podest steht ein Sofa für BesucherInnen, hinten ist die Schneiderwerkstatt. Vorhang auf – ein Blick auf die Schneiderarbeit von Jane Garber und Irene Gustavus. Mit Theater fing es an, als Kostümbildnerinnen arbeiteten die beiden noch zu DDR-Zeiten unter anderem für das Berliner Ensemble, die Staatsoper Unter den Linden und für den Film, bevor sie zur alltäglich tragbaren Mode kamen. Noch heute steckt in jedem ihrer Entwürfe ein Hauch Theater. Ungewöhnliche Stoffe, schwungvolle Linien und aufwendige Details wie Taschen oder Kragen sprechen von der Nähe zur Bühne. Blau- grün-quergestreift beispielsweise ist ein Flanellmantel, der durch einen Reißverschlußeinsatz wahlweise halblang oder lang getragen werden kann. Kleidung, so ihr Credo, solle die Persönlichkeit unterstreichen, also individuell gefertigt sein. Persönlich bevorzugen beide „klare, erkennbare Formen“. Zumeist gedeckt sind die Farben der Herbstkollektion, die in dem Eckladen hängt. Für eine Sommerkollektion nämlich blieb den beiden Frauen neben den Bauarbeiten im neuen Geschäft kaum Zeit. Hochzufrieden jedoch sind sie mit ihrem neuen Domizil. Wie allen im Hof bescherte ihnen Christos Touristenstrom ein gutes Auftaktgeschäft. Früher hingegen, in der Veteranenstraße, war es um die Laufkundschaft eher schlecht bestellt, auch an einer harmonischen Anbindung an andere Geschäfte mangelte es.

Vor fünf Jahren bot sich ihnen die Gelegenheit, einen eigenen Laden in der Veteranenstraße zu eröffnen. Zu fünft offerierten die Schneiderinnen damals ein sehr buntes und vielfältiges Programm, jedoch auch von sehr unterschiedlicher Qualität, wie Irene Gustavus im Rückblick erkennt. Viel Lehrgeld hätten sie damals „verballert“ und „viele Federn gelassen“, bis schließlich das Duo den Laden allein betrieb.

Schmuckwerk

„Super-schlicht, gerade, schörkellos“ – kurz: „eine direkte Geschichte“, das ist die Kurzbeschreibung, die die Goldschmiedin Sabine Dubbers für ihre Schmuckstücke findet. Große Stücke arbeitet sie, am liebsten in Silber, eventuell mit Steinen besetzt, die dezent in Gold gefaßt sind. Es sind junge Klassiker, die die 27jährige mit extravaganten Silbercolliers aus geschwungenen, stark graphischen geprägten Mustern ergänzt. In der Goldstadt Pforzheim erlernte sie ihr Handwerk, primär als Handwerk versteht sie ihren Beruf auch: „Es ist wahnsinnig befriedigend, abends zu sehen, was man mit den eigenen Händen geformt hat.“ Freilich kommt sie nun, da sie vom Gemeinschaftsatelier in der Veteranenstraße in ihr eigenes Miniatelier in den Hackeschen Höfen gezogen ist, tagsüber kaum mehr zum arbeiten: Hier schaut doch öfters mal Kundschaft in den Laden. Um ihr Angebot vielseitiger zu gestalten, verkauft sie auch Schmuckstücke anderer Designerinnen, ausnahmslos jung, individuell und extravagant.

Trippen

Wer bei Trippen vorbeischaut, begibt sich zunächst auf unsicheres Terrain: Die Terracottafliesen unter den Füßen sind uneben, irritierend ist das ausgestellte Schuhwerk. Der Tritt bleibt wacklig, doch die Schönheit der Fliesen tröstet schnell darüber hinweg, zeigt doch jede Terracottascheibe ein anderes, zum Teil antiquarisches Schuhmodell. Mit dem Trippen- Schuhwerk verhält es sich genau umgekehrt. Hat man erst einmal Tritt gefaßt, mag man nicht mehr aus dem Schuh. Und das, obwohl ein Gutteil des Sortiments auf den ersten Blick eher nach Homie- Pantoffeln aussieht als nach Straßenschuhen. Breit angelegt ist der Vorderfuß, eingefaßt von einem ebenfalls breiten Rand. All das anatomisch-orthopädisch korrekt, mit superweichem Leder umschmeichelt und – raffiniert designt. Wo Birkenstocks letztes Jahr bereits die Mailänder und Pariser Laufstege eroberten, wittern der Orthopäde und Schuhmachermeister Michael Oehler sowie die Designerin Angela Spieth einen modischen Durchbruch. Sie müssen es wissen, denn schließlich sind sie wahre Schuhfetischisten: 130 Paare hat Angela Spieth gesammelt, Michael Oehler nennt immerhin etwa 50 Paare sein eigen – die meisten davon selbstgemacht. „Manche verstehen unsere Schuhe sofort“, lacht die Designerin. Andere lassen sich erst gewinnen, wenn sie in den Schuhen stehen. Denn selbst die steilsten Holzschuhe sind hier extrabequem und sicher im Tritt. Statt industrieller Großproduktion fertigen die beiden seit 1992 in ihrer Berliner Werkstatt kleine Serien, angefangen bei der schönen Holzschuhkollektion bis hin zur neuen, recycelbaren Serie aus Motorradreifen, Teppichböden und alten Jeans. „Trippen closed“ hingegen, der oben erwähnte „Homie-Schuh“ enthält ein herausnehmbares Fußbett, dank des breiten Randes kann die Sohle erneuert werden.

Hanleys Hair Comp.

„Wir lieben schlichte und klare Formen“, erklärt Deborah Hanley. „Aber das kann man nicht so schreiben, weil es falsch ist“, fällt ihr Kompagnon Thomas Schweizer ein. Leuchtend grün ist sein Haar, gerade ist er dabei, das Haar seiner Kollegin zu schneiden. Nach der Christo-Hektik ist Ruhe im Laden eingekehrt, sogar am Freitagnachmittag, wenn die Friseure andernorts nicht zur Ruhe kommen. „Aber in Berlin ist es ganz komisch – hier meinen die Leute, daß sie sich selbst die Haare besser schneiden können“, erläutert die Neuberlinerin die hiesige Mentalität. Darum muß auch das mit den „schlichten und klaren Formen“ genauer erklärt werden. Denn es ist so, daß die Schnittechnik sehr wohl kompliziert ist, das Ergebnis für das Auge jedoch nicht kompliziert erscheint. „Wir weigern uns, durch Föhnen eine Frisur zu entstellen, wir sind gegen ein ,Preisfrisieren‘, gegen konfuse und asymmetrische Formen“, erklären die beiden. Biologische Pflegemittel gehören natürlich mit zum Programm. Ihre Kunst liegt vielmehr in der Londoner Schnittechnik verwurzelt, die auf Vidal Sassoon zurückzuführen ist. Geschnitten wird nach der Haarwuchsrichtung, die Frisur fällt dann von selbst in Form. Die strengen englischen Regeln jedoch lockern die beiden durch eigene Kreativität auf, jeder Schnitt muß individuell sitzen, darf nicht nur am modischen Trend orientiert sein. „Ich muß mir immer die ganze Person anschauen und stimme die Frisur auf Wesen und Kleidungsstil ab“, so die 34jährige Deborah. Und schließlich geht es „Hanleys“ vor allem um gesundes Haar. Wenn eine Kundin mit geschädigter Haarstruktur partout eine Dauerwelle wünscht, verzichten sie lieber aufs Geschäft.

Lisa D.

In Lisa D.s Salon geht man auf Worten, und jedes Kleid hat seinen Namen: „Sandsturm“ hängt neben „Ginster“, auch „Feuerkrone“ und „Juninacht“ gehören zur Kollektion. Gerade war Lisa D. in Klagenfurt zur Bachmann-Preisverleihung, für den Herbst plant sie gar Lesungen im eigenen Laden. Keine Frage: Die Literatur und Inszenierung gehört wesentlich zu Lisa D.s Arbeit. So stand im letzten Jahr beispielsweise die Nibelungensage Pate für die Männermodenschau in der Bar Jeder Vernunft. Entsprechend ungewöhnlich, fast mythisch behaftet das Bild der Frau, für die Lisa D. entwirft: Es ist die eigenständige, vielleicht eigenwillige Frau, die verspielt, ironisch, auch ein bißchen verrückt, aber liebend gerne ihre Weiblichkeit zur Schau trägt. „Es sind Frauen, die sich was trauen, die etwas Hexisches oder Nixenhaftes haben und verführerisch sind – jedenfalls keine knallharten Karrierefrauen, die nach männlichen Mustern aufgestiegen sind.“

Fließend sind ihre Strickstoffe, weiche Herbstfarben dominieren. Oft sind die meist langen Kleider gerafft, gelöchert, gebündelt oder geschlitzt. Manche Strukturen erinnern an Baumrinden oder Blüten, andere Stücke sind mit Federn dekoriert. „Gängige Seh- und Tragegewohnheiten sollen damit gestört werden“, die Kleiderordnung soll aus dem Gleichgewicht geraten, so die Designerin Lisa D.