: "Klar ist es Prostitution"
■ Im Dock 11 kann man sich derzeit individuell beschauspielern lassen. Ganz direkt: Bares für Kunst und Auge in Auge im Spare. Diese Nähe ist für ZuschauerInnen schwer auszuhalten. Und für AkteurInnen? Ein Gespräc
14 internationale SolistInnen treten derzeit in „Hautnah!“ im Dock 11 auf, eine Produktion des Tänzers und Choreographen Felix Ruckert. Die ZuschauerInnen suchen sich jeweils einen Akteur oder eine Akteurin aus, mit Ruckert feilscht man um die direkt zu bezahlende Gage, die Vorstellung findet unter vier Augen statt (vgl. taz vom 27. 7.). Wir sprachen mit einem der Darsteller, mit dem chilenischen Tänzer Alejandro Ramos (35), über diese außergewöhnlich unmittelbare Art, Theater zu verkaufen und zu konsumieren.
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taz: Wie würdest du eure Art des Theaters charakterisieren?
Alejandro Ramos: Es gibt zwei wesentliche Unterschiede zum herkömmlichen Theater. Erstens ist es nicht nur Theater, sondern Theater und Tanz zugleich. Und der Kontakt mit dem Publikum, das hier ja nur aus einem einzelnen Zuschauer besteht, ist absolut direkt. Die Vorstellungen sind unmittelbar an das Publikum gerichtet, und die Dauer hängt allein von seiner Reaktion ab.
Macht dir die Nähe zu deinem jeweiligen Zuschauer nicht manchmal ein bißchen angst?
Das ist doch gerade das Wunderbare an diesem Theaterstück. Es ist ein Risiko, denn ich weiß ja nie, wer zu mir kommen wird, um mein Stück zu sehen, und wie er mich sehen wird. Natürlich habe ich ein bißchen Angst, aber es ist gleichzeitig auch eine Lust.
Wie war denn das erste Mal?
Das erste Mal fand mit Kollegen aus der Gruppe statt, erst danach spielte ich für einen Zuschauer, den ich noch nicht kannte. Ich habe es genossen. Trotzdem gibt es natürlich die übliche Angst, Fehler zu machen, etwas zu vergessen, daß der Zuschauer sich lustig macht.
Hat die Rolle, die du hier spielst, nur mit dir selbst zu tun, oder gibt es konzeptionelle Vorgaben des Regisseurs?
Da muß ich erst mal unsere Arbeitsweise erklären. Zunächst improvisierten wir mit Felix drei oder vier Wochen lang. Er gab ein Thema vor, ein, zwei oder mehrere Themen am Tag. Aus diesen Improvisationen erarbeiteten wir ein mögliches Stück, bei dem jeder einen eigenständigen Part übernahm. Und dann wählten wir aus, was Felix und uns am besten gefiel. Diese Arbeit überrascht mich selbst in gewissem Maße. Ich tue Dinge, die ich nicht gewohnt bin, und trotzdem läßt sie mich so sein, wie ich mich fühle.
Macht es für dich einen Unterschied, ob du für eine Frau oder einen Mann spielst?
Das kommt auf die Stimmung des Zuschauers an. Vielleicht kann man das nicht so generell sagen, aber in den ersten drei Tagen habe ich die Erfahrung gemacht, daß Frauen etwas schüchterner in dieser Situation sind. Mit Männern passiert mir das nicht – sie spielen. Ihre Haltung vermittelt eher: Ich bin gekommen, um unterhalten zu werden, also los. Allerdings weiß ich nie, wie weit der Zuschauer sich darauf einläßt, ob er Angst hat oder befangen ist. Ich komme ihm ja sehr nah, kann ihn direkt anfassen, und das provoziert gewisse Ängste. Es gibt keinen dunklen Raum zwischen Zuschauer und Tänzer, wir befinden uns im selben Licht und auf der selben Ebene. Du könntest mich schlagen so wie ich dich, oder mich streicheln und umgekehrt. Dieses Spiel zwischen mir und einer Frau oder einem Mann ist etwas Magisches. Es ist auch ein bißchen gefährlich – ich bin schließlich auch eine sinnliche Persönlichkeit.
Du selbst bestimmst Deinen Preis, und der Zuschauer bezahlt dich direkt. Fühlst du dich als Prostituierter?
Ja, aber das stört mich nicht. Diese Prostitution ist so intim und speziell – sie gibt mir die Möglichkeit, meine Arbeit selbst zu bestimmen. Wir haben uns diese Arbeit ausgesucht und akzeptieren ihre Regeln. Bei dieser Prostitutionsarbeit sehe ich nicht nur mich während meiner Arbeit im Dock 11, sondern auch, wie andere Personen sich fühlen, die sich prostituieren, das ist eine gesellschaftliche Angelegenheit. Klar ist es Prostitution, aber ich fälle darüber kein Urteil. Es ist nichts Schlechtes, ich stimuliere die Empfindsamkeit des Menschen.
Aber normalerweise bezahlt man einen Schauspieler doch nicht so direkt für seine Arbeit, daß man sagen kann: Du bist 20 Mark wert und du nur 15.
Ja – ich bin eine Kunstware. Man zahlt doch immer, also ist es eine Arbeit wie jede andere auch. Natürlich bin ich sonst nie so direkt mit dem Geld in Kontakt. Und das macht mich auch nervöser als das eigentliche Spiel.
Es ist mir unangenehm zu sagen, es kostet 15 Mark und nicht 10. Wenn einer sagt, ich habe nur 10, sage ich, tut mir leid, dann mach ich es nicht. Das ist eine neue Erfahrung, im Moment ziemlich unangenehm, aber sie interessiert mich. Aber so direkt kassiere ich ja auch nicht, Felix vermittelt zwischen dem Zuschauer und mir. Ich nehme das Geld in Empfang, aber ich fange nicht an, mit dem Zuschauer selbst zu feilschen. Die Vermittlung ist ja auch ein Schauspiel. Es geht nicht nur um Geld, sondern um ein Spiel mit dem Publikum.
Diese Art von Live-Erlebnis gibt es nirgendwo sonst in der Kunst. Hältst du das für das Theater der Zukunft?
Es ist eines unter vielen Experimenten von Felix, und eine weitere Möglichkeit, Theater und Tanz zu machen. Man muß immer neue Möglichkeiten finden, Lust haben, etwas auszuprobieren, das Publikum sensibilisieren. Ich möchte das eine Zeitlang machen, aber irgendwann werde ich auch genug davon haben. Das ist nicht die Theaterform für die Zukunft, aber eine sehr gute. Interview und Übersetzung
aus dem Spanischen: Anne Winter
Vorstellungen bis 12. 8., täglich 19–23 Uhr, Dock 11, Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg
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