Kriegsvorbereitungen in Kroatien

Bosnien hofft darauf, daß Kroatien bald in den Kampf um die Enklave Bihac eintritt / Kroatiens Städte könnten Ziel von serbischen Raketenangriffen werden / Nato-Schutz für Bihac?  ■ Aus Split Erich Rathfelder

„Bihac ist in Gefahr“, heißt die immerwiederkehrende Botschaft aus Sarajevo. Serbische Truppen haben die westbosnische Enklave in den Würgegriff genommen. Mit Panzer- und Artillerieunterstützung sind sie in den westlichen Teil der Enklave eingedrungen und haben im relativ flachen Gelände erhebliche Geländegewinne erzielt. Die Offensive ist allerdings am Fuße der Berge steckengeblieben.

Im bosnischen Rundfunk enden die Berichte über die Lage in der westbosnischen Enklave oftmals mit einer Schaltung nach Zagreb. Wann werden die kroatischen Truppen eingreifen, ist die stets wiederkehrende Frage. Die Antwort „bald“ reicht den Bosniern nicht mehr aus. Sie fordern Taten von den verbündeten Kroaten.

Tatsächlich hat Kroatien jedoch schon in den Krieg um Bihac eingegriffen. Schon seit Wochen stoßen kroatische Truppen von der westherzegowinischen Stadt Livno weiter nach Nordwesten vor. So wurden die Bergkämme des Dinaragebirges an der bosnisch-kroatischen Grenze erobert und militärisch gesichert. Seit Mittwoch werden die Städte Bosansko Grahovo und Glamoc östlich der Serbenhochburg Knin direkt angegriffen. Den Kroaten ist es dort gelungen, die wichtige Straßenverbindung von Knin nach Banja Luka im serbisch besetzten Zentralbosnien zu kappen.

Tausende serbischer Zivilisten sollen nach serbischen Angaben inzwischen aus dem umkämpften Gebiet nach Banja Luka geflohen sein. Würde der kroatische Vormarsch dort, in dem Gebiet des Dinaragebirges schnell fortgesetzt, könnte eine Verbindung des bosnischen Kernlandes zur bosnischen Enklave Bihac von dieser südöstlichen Seite her geschaffen werden.

Doch militärische Beobachter verweisen auch auf die kroatischen Truppenkonzentrationen um die kroatische Stadt Karlovac nahe der serbisch besetzten Krajina, die nur rund 25 Kilometer von der Enklave Bihac entfernt ist. Auch in dem südlicher gelegenen Gospic haben die Kroaten Truppen zusammengezogen. Ein Angriff könnte in den nächsten Tagen erfolgen. Die Serben, die derzeit noch Bihac angreifen, müßten dann ihre Kräfte aufsplitten. So liegt jetzt alles an den Verteidigern Bihacs, solange auszuhalten, bis die kroatische Armee mit ihrem Angriff beginnt.

Nach den kroatisch-bosnischen Gesprächen vom letzten Freitag haben die Bosnier Kroatien zum militärischen Beistand aufgefordert. Offiziell hat der diplomatisch anerkannte Staat Bosnien-Herzegowina den kroatischen Staat zu Hilfe gerufen. Völkerrechtlich entstehen so keine Einwände mehr gegen eine offene Aktion der kroatischen Truppen auch auf bosnisch-herzegowinischem Gebiet. Unter dem Eindruck der Vertreibung der Menschen aus Srebrenica und Žepa ist die Lage psychologisch für die kroatische Führung so günstig wie noch nie, mit einem Angriff auf die serbisch besetzte Krajina die Rückeroberung der besetzten Gebiete in Kroatien fortzusetzen. Im April schon war Westslawonien zurückerobert worden.

Was Kroatiens Präsident Franjo Tudjman und seine Militärs möglicherweise noch zögern läßt, sind die serbischen Reaktionen auf einen direkten Angriff. Raketenangriffe wie auf Zagreb in diesem Frühjahr wären dann nicht ausgeschlossen, gefährdet wären zudem die Städte Zadar, Sibenik, Split, Dubrovnik, Karlovac und das ostslawonische Osijek. Dort sind bereits serbische Truppenkonzentrationen beobachtet worden. Dabei handelt es sich um reguläre Truppen aus Serbien.

Für die Menschen in Bihac ist der kroatische Angriff die einzige Hoffnung, nachdem Nato und UNO bis gestern lediglich angekündigt hatten, die Enklave Goražde schützen zu wollen. Gestern sagte der UN-Kommandeur für Ex-Jugoslawien, General Bernard Janvier, zwar in Brüssel, UNO und Nato wollten nunmehr auch die Eroberung Bihacs durch serbische Einheiten verhindern. „Wir bereiten eine Aktion vor, die von einem Angriff auf die Schutzzone Bihac abschrecken soll“, sagte Janvier. Und das klingt wenig hoffnungserregend, findet doch dieser Angriff längst statt.

Und so versucht die Militärführung des 5. Korps der bosnischen Armee die Lage in der Enklave zu dramatisieren, um Kroatien zu einem schnellen Handeln zu zwingen. Denn würde Bihac fallen, wäre die Rückeroberung der kroatischen, von Serben besetzten Krajina, in weite Ferne gerückt. So scheinen alle Anzeichen darauf hinzudeuten, daß in allernächster Zukunft die kroatische Armee nicht nur vom Süden, sondern auch vom Norden her in Richtung Bihac marschieren wird.