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Peso gerettet, Job verloren

Die mexikanische Währung ist stabil, aber Auslandsschulden von 140 Milliarden Dollar ruinieren jetzt die Binnenwirtschaft  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Hufschmidt

Michel Camdessus war guter Laune. „Die Krise ist überstanden“, teilte der Chef des Internationalen Währungsfond (IWF) der mexikanischen Bevölkerung mit. Mit Befremden vernahm diese allerdings die Begründung für den Erfolg der rigorosen Austeritätspolitik, die USA und IWF im Februar zur Vorbedingung für ihren 50-Milliarden-Kredit gemacht hatten: Wohl kein anderes Volk der Welt, lobte Camdessus, habe für die Stabilisierung seiner Finanzmärkte „soviel menschliches Leiden“ auf sich genommen.

Wohl war. Lediglich die Gemüter ausländischer Anleger scheinen sich wieder etwas beruhigt zu haben. Der US-Dollar ist seit einigen Wochen für sechs Pesos zu haben – vor dem Crash waren es 3,4 gewesen. Die Börse ist zwar um ein Fünftel abgerutscht, wird aber nicht mehr von aprupten Einbrüchen erschüttert, und vor allem die internationalen Gläubiger atmen erleichtert auf. Denn die Gefahr eines erneuten Zahlungsmoratoriums scheint abgewendet, Mexiko blieb auch diesmal, anders als 1982, seinem Ruf als Musterschuldner treu – dank IWF und USA. Denn einziger Zweck des milliardenschweren Hilfspakets, das Clinton und Camdessus für Mexiko geschnürt hatten, war die pünktliche Bezahlung der kurzfristigen Schuldtitel, der sogenannten tesobonos, gewesen.

Noch unter Präsident Salinas wurden angesichts der versiegenden Kapitalströme die berüchtigten dollarnotierten Anleihen in Höhe von fast 30 Milliarden Dollar ausgegeben, die auf diese Weise zwar geschickt als „Inlandsverschuldung“ getarnt werden konnten, real aber – da sie ausschließlich von Ausländern aufgekauft wurden – einen illegalen Anstieg der Außenverschuldung darstellten: Im mexikanischen Haushaltsgesetz ist der Nettozuwachs an Auslandschulden auf 5 Milliarden Dollar begrenzt. Rund 17 Milliarden dieser „heißen“ tesobonos sind mittlerweile abgezahlt, was der mexikanischen Volkswirtschaft freilich schon im ersten Quartal einen Abwertungsverlust von knapp 6 Milliarden Dollar beschert hat.

Jetzt aber werden die restlichen 11 Milliarden fällig. Weder zeigen sich die Gläubiger zur Swap-Umwandlung der kurzfristigen in mittel- oder langfristige Verbindlichkeiten bereit, noch kann das Land zur Zeit ernsthaft auf fresh money von den internationalen Kapitalmärkten hoffen. So erscheint die stolze Ankündigung der mexikanischen Finanzbehörden, man werde die weiteren Margen des US-Kredits – für den die Republik immerhin mit ihren Erdöleinkünften bürgt – gar nicht erst in Anspruch nehmen, eher demagogisch denn realistisch. Etwas gewagt wirkt auf diesem Hintergrund auch die Behauptung der IWFler, die bis zum Jahresende erwarteten Dollarschulden über 140 Milliarden seien „vollkommen handhabbar“ – ohnehin gehen unabhängige Experten in Mexiko und den USA von mindestens 160 Milliarden Dollar aus.

Wie auch immer das anstehende Solvenzproblem gelöst werden kann, in der Realsphäre der mexikanischen Wirtschaft – die seit ihrem OECD-Eintritt vor gut einem Jahr offiziell zu den 25 reichsten der Erde zählt – ist eine Erlösung vom besagten „menschlichen Leid“ auch ein halbes Jahr nach der brutalen Weihnachtsabwertung nicht in Sicht. Dabei kommen die düsteren Bestandsaufnahmen und Prognosen nicht einmal von erbitterten Regierungskritikern, sondern aus Unternehmerkreisen. So befürchtet der Dachverband der nationalen Handelskammern, daß bis Jahresende 40 Prozent der Geschäfte schließen müssen. Die Industrieverbände weisen darauf hin, daß die nationalen Hersteller derzeit bei 30 bis 50 Prozent ihrer Kapazität produzieren und über 70 Prozent aller Unternehmer in „finanziellen Schwierigkeiten“ seien.

Zwar ist der rasante Zinsanstieg, der in den ersten Monaten sogar die 100-Prozent-Marke überschritten hatte, inzwischen etwas gebremst worden, dennoch sind durchschnittliche 60 Prozent immer noch eine beachtliche Belastung für die Gewerbetreibenden. Rund 2 Millionen Kleinst-, Klein- und mittlere Unternehmen ständen damit „kurz vor dem Bankrott“. Symptomatisch für die „fortschreitende Deindustrialisierung“ ist die Lage ehemals blühender Branchen und Gegenden: So mußte beispielsweise das Baugewerbe der Industrieprovinz Nuevo Leon seit Jahresanfang ein Drittel der Beschäftigten entlassen. Selbst Arbeitsminister Santiago Onate räumt öffentlich ein, daß schon jetzt etwa 6 Millionen Menschen ohne formale Beschäftigung sind.

Eine Million Arbeitsplätze dürfte die akute Schließungswelle dieses Jahr wohl mindestens kosten, und bis Dezember wird man es gar mit einem Rekorddefizit von 19,2 Millionen Arbeitsplätzen zu tun haben, rechnet die Tageszeitung La Jornada vor: Zu den 6 Millionen Arbeitslosen gesellen sich die 12 Millionen, die sich ihren Unterhalt in der informellen Schattenwirtschaft verdienen, sowie die 1,2 Millionen AnwärterInnen, die jedes Jahr neu auf den Arbeitsmarkt drängen.

Knapp drei Monate nach der Verkündung seines unpopulären Sparprogramms gab Präsident Zedillo den „Nationalen Entwicklungsplan 1995 – 2.000“ (PND) bekannt. Volkes Stimme wurde dafür in öffentlichen Blitzforen angehört und inüberall aufgestellten Briefkästen eingesammelt. Der markige Sechsjahresplan liest sich wie eine Aufzählung des Versäumten. Jetzt endlich will man eine aktive Industrie- und Beschäftigungspolitik sowie „integrale und dezentralisierte Armutsbekämpfung“ betreiben. Genau dasselbe hatte Vorgänger Salinas schon vor sechs Jahren mit seinem „Solidaritätsprogramm“ versprochen. Inzwischen ist sein Urheber derart diskreditiert, daß das Programm wegen „Ineffizienz“ aufgelöst wurde. Insgesamt soll das Bruttoinlandsprodukt, so die Vorgaben des PND, um fünf Prozent jährlich wachsen – zunächst einmal aber wird es, wie private Wirtschaftsinstitute prophezeien, 1995 wohl um genau diesen Prozentsatz sinken.

Der renommierte Wirtschaftskolumnist Julio Boltvinik hält Zedillos 173 Seiten starkes Papier denn auch für ein „unnötig langes Schriftstück“, das mangels strategischer Ausrichtung den Begriff „Plan“ kaum verdiene. Außerdem, argumentiert der Keynesianer, unterliegen seine Verfasser einem fundamentalen Denkfehler: nämlich der „verdrehten Kausalbeziehung zwischen Ersparnis und Investition“. Um die Ersparnis und damit die Investition zu erhöhen, sollen laut PND hauptsächlich Steuer-, Bauspar- oder Pensionsanreize herhalten. Dabei steige die Ersparnis, besonders in einem Land mit einer „armen“ oder „sehr armen“ Bevölkerungshälfte, nicht wegen steuerlicher Anreize, sondern bei massiven Einkommenssteigerungen, also als Folge – und nicht als Ursache – erhöhter Investition.

Damit trotz dieser düsteren Aussichten die ausländischen Investoren nicht völlig ausbleiben, bietet ihnen die Zedillo-Regierung bilaterale Investitionsschutzabkommen an, in denen sie vor „politischen Turbulenzen“ und unschönen Überraschungen – wie einer etwaigen Verstaatlichung – abgesichert werden sollen; am weitesten fortgeschritten sind die entsprechenden Verhandlungen mit Deutschland. Eine solche Garantie war von der mexikanischen Verfassung bislang als Eingriff in die nationale Souveränität ausgeschlossen worden.

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