Trinken als Gesundheitsrisiko

In Rumänien kommt oft gar kein Wasser aus den Hähnen – und wenn es fließt, müssen die Menschen Cholera und Ruhr fürchten  ■ Aus den Karpaten Keno Verseck

Die Bewohner der westrumänischen Großstadt Temeswar haben wieder Trinkwasser, nachdem sie tagelang auf dem Trocknen saßen. In der Nacht zum 17. Juli hatten die Wasserwerke alle Hähne zugedreht. Um sechs Uhr morgens warnte ein lokaler Radiosender die Einwohner der westrumänischen Großstadt, noch aufbewahrtes Wasser nicht mehr zu nutzen – nicht einmal zum Wäschewaschen. Mineralwasser war in der Stadt binnen kurzer Zeit ausverkauft. Die Brotfabriken stellten ihre Produktion ein, Krankenhäuser arbeiteten unter höchster Alarmbereitschaft.

In den Speicherbecken der städtischen Wasserwerke hatten zuvor massenweise tote Fische an der Oberfläche getrieben. Nach einem Tag kamen Chemiker der Ursache auf die Spur: Der Bega-Kanal, aus dem die Stadt ihr Trinkwasser entnimmt, war mit Phenol und organischen Phosphaten so verseucht, daß der Sauerstoffgehalt des Wassers gerade noch ein Milligramm pro Kubikdezimeter ausmachte. Gefunden wurde der Verursacher der Katastrophe bislang nicht. Womöglich, meinen Fachleute, liegt er auf dem Grund des Kanals verborgen. Der ist seit Jahren nicht mehr gesäubert worden und hat Unmengen giftigen Schlammes angesammelt. So kann sich das Szenario jederzeit wiederholen. Denn Verbesserungen im Wasserversorgungssystem stehen nicht an.

Was die Temeswarer zum ersten Mal in diesem Ausmaß erlebten, ist in den meisten kleineren und größeren Städten des Landes bis hin zur Haupstadt Bukarest schon lange gang und gäbe. Bei der Wasserversorgung ist nur gut dran, wer einen eigenen Brunnen besitzt. Der „Rest“ von einigen Millionen Rumänen und Rumäninnen lebt mit chaotischen Zuständen: Warmwasser wird oft wochenlang nicht angestellt, kaltes Wasser gibt es nur zu bestimmten Tageszeiten oder an einigen Wochentagen. Und wenn es fließt, dann oft braun und stinkend, wie zum Beispiel in den südbanater Städtchen Neumoldova und Orawiţa.

Dort entdeckten Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden vor kurzem, daß das Wasser seit Monaten unkontrolliert und ungechlort aus den Wasserhähnen kommt. Der Effekt: Im Mai, spätestens im Juni jeden Jahres häufen sich überall im Land die Warnungen vor Ruhr, Cholera und anderen Epidemien. Irgendwann melden Krankenhäuser die ersten Fälle. Dann wird die Wasserversorgung in ganzen Städten tagelang unterbrochen – bis zum nächsten Mal.

Erste Massenerkrankungen an Ruhr gab es in diesem Jahr bereits Ende April in der südostrumänischen Stadt Medgidia. Mehrere tausend Personen erkrankten hier innerhalb weniger Tage an Ruhr. 40.000 Einwohner wurden wochenlang unter medizinische Überwachung gestellt. Trotzdem breitete sich die Epidemie bis in die Hafenstadt Constanţa aus.

Die rumänische Schwarzmeerküste und das Donaudelta zählen ohnehin zum ständigen Notstandsgebiet. Das verseuchte Donauwasser, das durch das Delta und den Donau-Schwarzmeer-Kanal ins Schwarze Meer fließt, hat in den letzten Jahren immer wieder zu Ruhr- und Choleraerkrankungen geführt. Sogar Fälle von Pest soll es gegeben haben. Informationen darüber hält das Gesundheitsministerium jedoch unter Verschluß.

Wahrscheinlich aus gutem Grund. Denn die Ursachen für die Epidemien sind selbstverschuldet. Beim Bau von Leitungs- und Klärsystemen wird geschlampt, Untersuchungen nehmen die Angestellten vieler Wasserwerke nicht ernst. Auch die Müllabfuhr funktioniert fast nirgends so, daß der Ausbreitung von Seuchen vorgebeugt wird. In der Zwei-Millionen-Stadt Bukarest soll es nach Schätzung des Bürgermeisteramtes zehn Millionen Ratten geben. Ihre Bekämpfung war bisher erfolglos, und so wird regelmäßig der Hygienenotstand ausgerufen.

Der herrscht derzeit auch in der nordostrumänischen Stadt Iași. Dort haben die Wasserwerke in mehreren Stadtteilen die Hähne zugedreht, weil ihre Bewohner die Rechnungen nicht bezahlt haben. In einer Krisensitzung warnte der Stadtrat vor zwei Wochen vor einer Cholera-Epidemie, zu der der Wassermangel führen könne. Schon seit Anfang Juni ist in Iași die Zahl der Menschen, die nach dem Verzehr schlechter oder ungewaschener Lebensmittel in Krankenhäuser eingeliefert wurden, drastisch angestiegen.

Bedroht wird die Grenzstadt zur Zeit überdies von der Cholera- Epidemie aus der Ukraine und der Moldau-Republik. Den Lebensmittelimport aus der Moldau-Republik haben rumänische Behörden deshalb vorläufig verboten. So scheint es nur noch einen Schritt bis zu den Zuständen vom letzten Herbst: Nachdem damals die ersten Cholerafälle in Rumänien aufgetreten waren, schloß die Regierung die Grenze zur Moldau- Republik und zur Ukraine völlig.