Götterdämmerung im Weser-Arkadien

■ Titan, Apoll & Co. feiern ihre Auferstehung: Skulpturen des Künstlerfürsten Markus Lüpertz prangen im Gerhard Marcks-Haus

Neue Archaik breitet das Gerhard Marcks-Haus derzeit mit einer Skulpturen-Ausstellung von Markus Lüpertz aus. Titan, Apoll und Co. stehen dort als überlebensgroße Bronzen vor vom Künstler höchstselbst passend eingefärbten Wänden. Ein reizvoller Kontrast zwischen dem wilden, expressiven Malgestus, für den der deutsche Künstlerfürst bekannt ist, und der zurückhaltenden Formensprache der Bildhauerei, der er sich erst seit relativ kurzer Zeit widmet. Ein Kontrast, der die gesamte Ausstellung begleitet: Nie verläßt sich Lüpertz allein auf die plastische Wirkung seiner Bronzen; stets sind einzelne Partien – Augen, Arme bis hin zu ganzen Figuren – auch farbig gefaßt. Gerade dies macht die Ausstellung spannend.

„Clitunno“, ein Quellgott aus der Region Umbrien, dort von Lüpertz auch geschaffen, steht zum Beispiel als grünblaues Standbild vor einer blauen Wand. Was einen durchaus spannenden Bezug zwischen Fläche und Raum herstellt, also zwischen dem Maler und dem Bildhauer, der Lüpertz gleichzeitig ist. Wenn auch mit etwas vordergründigen Assoziationen. Nach dem Motto: Clitunno = Quellgott, blau = Wasser. Und weil Bremen ja auch irgendwie am Wasser (Nordsee? Weser?) liegt, steht die Wanderschau diesmal unter dem Thema „Wasser“. Vorher nämlich war sie schon zweimal mit anderen Etiketten zu sehen. In der Kunsthalle Mannheim unter „Nacht“ (in verdunkelten Räumen) und in den Städtischen Kunstsammlungen Augsburg unter „Tag“.

„Nacht-Tag-Wasser“ – hinter diesem Dreigespann witterte ein Hamburger Journalist bei der Pressevorbesichtigung eine ausgesprochene Zufälligkeit. Martina Rudloff, die Leiterin des Gerhard Marcks-Hauses, tat dies mit dem Hinweis ab, Lüpertz arbeite eben wie Picasso wahnsinnig schnell. Dabei halte er sich auch nicht mit Konstruktionszeichnungen, Modellen u.ä. auf, wie es in der Bildhauerei sonst Tradition ist. Lüpertz – seit Anfang der 80er Jahre erst bildhauerisch tätig – also auf den Spuren des rasenden Geniebegriffs neuwilder Prägung?

Das sieht Wolfgang Kersten im Katalog zur Ausstellung ganz anders. Er nämlich bestätigt dem Künstler eine „sorgfältig, in ungezählten Skizzen und Zeichnungen vorbereitete Arbeit“, für die in der Tat schöne Beispiele im Katalog zuhauf versammelt sind.

Wahnsinnig schnell oder sorgfältig vorbereitet – die Frage, bei der sich die Experten schnell in Widersprüche verwickeln, taucht bei diesen Skulpturen nicht von ungefähr auf. Denn sie könnten wirklich beides sein. Während ihre rauhen Oberflächen auf eine bewußt nur grob gehaltene Bearbeitung schließen lassen, verweisen Haltung und Gestik der Figuren auf eine eher lange Auseinandersetzung nicht nur mit den ins Visier genommenen Mythen, sondern auch mit der Formensprache der Bildhauerei, von der Archaik über die Klassik bis zu Lüpertz' zeitgenössischen Pendants auf diesem Feld, Georg Baselitz Jörg Immendorf und A. R. Penck. So findet sich in der Skulptur „Ganymed“ etwa ein deutlicher Bezug auf die archaische Kuros-Haltung, während „Apoll“ als Auseinandersetzung mit der klassischen „Standbein-Spielbein“-Ästhetik ins Auge fällt, die uns alle ja schon in Schulzeiten eingebleut wurde.

Das Spannungsfeld zwischen dem Maler und dem Bildhauer Lüpertz tritt am deutlichsten in seinem „Prometheus“ zutage. Der wirkt zum einen als groteske Figur, zum andern dient sein Leib auch als Bildfläche: Auf dem abgeflachten Oberkörper hat Lüpertz eine große, rote Leber dargestellt, als gemalte offene Wunde.

Wer die Kunstgeschichte kennt, wird in all seinen hier präsentierten Werken unzählige Anspielungen und Zitate finden. Kein Wunder, sagt der Künstler doch selber, er „aase in der Kunst“. Ob er dies tatsächlich derart unbekümmert tut, wie Martina Rudloff behauptete? Statt darauf eine Antwort zu geben, treibt er in schillernder Selbstinszenierung lieber die Kunstwissenschaftler ins Dickicht der Widersprüche, wie ein Chamäleon seine Jäger. Beispiel aus dem Katalog: Lüpertz' Kunstbegriff sei „kategorisch ichbezogen“, sagt Wolfgang Kersten. Die MuseumsleiterInnen dagegen behaupten im Vorwort er sei dies nicht. Nur ein Druckfehler? Oder eine Zeichen dafür, daß es inzwischen fast unmöglich ist, über den Künstlergott Lüpertz in didaktischer Absicht etwas Eindeutiges zu behaupten? Moritz Wecker

„Die 7 aus Arkadien“, bis zum 1. Oktober im Gerhard Marcks-Haus, Am Wall 208

(s. nebenstehendes Interview)