Abstinenzler sind Schwächlinge Von Ralf Sotscheck

Wer in der Jugend Bier trinkt, labt sich im Alter automatisch am Whisky. Das hatte die britische Schnapsindustrie jedenfalls 40 Jahre lang geglaubt. Welch ein Irrtum: In den vergangenen zehn Jahren ist der Whisky- und Ginkonsum in Großbritannien um 13 Prozent gefallen. Und noch schlimmer: Die Zahl der Jugendlichen – also der potentiellen Trinker – ist ebenfalls gesunken.

Es war daher an der Zeit, die selbstauferlegte Zurückhaltung aufzugeben. Seit 1955 hatte man darauf verzichtet, Schnaps im Fernsehen anzupreisen. Die Brennereien behaupteten damals, sie wollten zunächst die Bierreklame beobachten, um herauszufinden, ob es eine „verantwortungsvolle“ Alkoholwerbung gebe. Kenner der Alkoholindustrie meinten freilich, daß der TV-Werbeverzicht finanzielle Gründe hatte: Die großen Brennereien fürchteten, daß sie sich durch aggressive Kampagnen gegenseitig in den Ruin treiben könnten. So trafen sie ein Gentlemen's Agreement.

In den sechziger Jahren wurde der Schnaps-Bann in die Richtlinien der unabhängigen Fernsehsender aufgenommen. Für Liköre galt das Verbot jedoch nicht. Die Unterscheidung basierte vermutlich auf der Vorstellung, daß Cointreau und Tia Maria von zivilisierten Menschen in Abendgarderobe nach dem Dinner geschlürft werden, während Whisky und Gin bei der TV-Aufsichtsbehörde wohl eher Assoziationen an Bahnhofshallen und Parkanlagen weckten.

Dabei gehören Whisky und Gin genauso zum „British way of life“ wie Fünf-Uhr-Tee und Lamm mit Pfefferminzsauce, wenn man der Alkoholindustrie glauben kann. Deshalb soll die verirrte Jugend nun mit Fernsehwerbung wieder auf den Pfad der nationalen Tugend geführt werden, nachdem das TV-Reklameverbot im vergangenen Monat aufgehoben wurde. Über die Ziele verrät die Industrie allerdings wenig. Was soll sie auch sagen? Etwa: „Wir wollen die Zahl junger Suffköppe bis zum Jahr 2000 verdoppeln“? Außerdem gibt es immer noch Auflagen: Die Reklame darf sich nicht ausdrücklich an Minderjährige wenden, sie darf Trinkern keine Erfolge auf sozialem oder sexuellem Gebiet versprechen, und sie darf nicht suggerieren, daß Abstinenzler Schwächlinge sind.

Eric Appleby, der Direktor von „Alcohol Concern“, ist dennoch besorgt. Man wisse ja, so sagt er, daß Werbeagenturen stets bis an die Grenzen des Erlaubten gehen. Eine Werbeagentur hat im Auftrag der Zeitschrift Marketing Week bereits eine Strategie für den fiktiven Whisky „Mustang“ vorgestellt: Zu einem Blues von Eddie Harris schlurfen ein paar Alkis über die Straße, eine „Mustang“- Flasche wird eingeblendet und eine Stimme sagt: „Freunden sie sich nicht zu sehr damit an.“ Die Agentur glaubt, daß diese Werbung ein Knüller wäre. „Damit hätten wir nicht nur die Aufsichtsbehörde ausgekontert“, sagte der Werbechef, „sondern auch einen ehrlichen, tatsachenbezogenen Ansatz für die 18- bis 30jährigen gefunden“. Guinness wird sich freuen: Der Bier-Multi, dem der britische Schnapsriese United Destillers („Bell's“, „Johnny Walker“, „Gordon's Gin“) gehört, ist für seine ungewöhnliche Werbung bekannt. Vergangene Woche hatte der Spot mit einem schwulen Pärchen Fernsehpremiere. Doch dazu mehr am nächsten Montag.