■ betr.: dito, „Die Gleichgeschalte ten retten“ von C.S., taz vom 26. 7. 95, „Pazifismus um jeden Preis“ von Manfred Kriener und Walter Saller, taz vom 27. 7. 95

Selten fand ich in letzter Zeit einen Artikel in der taz so gut wie den von Wolfgang, dachte ich doch, daß ich mit meiner Meinung fast ganz allein dastehe. Natürlich hat der Artikel seine Schwächen, polemische Übertreibungen und Verkürzungen, auf die sich die Entgegner auch mit wollüstiger, aber unsachlicher Ironie und Kritik gestürzt haben. Alle wissen: Der Sozialismus als reale Utopie ist grausam gescheitert. Ist das aber ein Grund, das ganze analytische Instrumentarium des Marxismus Leninismus über Bord zu werfen, als habe es das nie gegeben? [...]

Die Gemengelage mit ihren unterschiedlichen Interessen und Tendenzen ist verantwortlich dafür, daß es bisher politisch nicht gelungen ist, durch eine gemeinsame Front Rußlands, der USA und Europas diesen Krieg mit friedlichen Mitteln auszutrocknen. Ausgetrocknet wurde bisher nur Bosnien. Jetzt soll es in unveränderter Lage plötzlich möglich sein, diesen Krieg mit militärischen Mitteln zu beenden?

Bis zum Golfkrieg gab es in Deutschland noch eine – vorsichtig formuliert – klassenbewußte Friedensbewegung. Heute gibt es nur noch Deutsche. Das halte ich auch für einen nationalen Sumpf. Unterschiedliche Interessen von Kapital und Arbeit treten nicht mehr in Erscheinung. Man hat den Eindruck, als seien wir ohne Revolution in die klassenlose Gesellschaft eingetreten. Eine ganz neue Variante.

Ich habe bei der Aktion: „Ein Licht für Bihac“ Anfang diesen Jahres folgende persönliche Erfahrung in Friedberg gemacht:

Es gab einen gemeinsamen Aufruf vieler Organisationen für eine Mahnwache. Natürlich bin ich mit zwei weiteren Grünen hin mit einem Schild. Es waren nur wenige Leute da, vor allem von der CDU. [...] Der Vorsitzende (der Elvis- Presley-Kiefer von Friedberg), war früher beruflich bei der Bundeswehr und zog nach einigen Minuten auch schwer vom Leder: Das sei eine Schweinerei, die da passiert und es wäre endlich mal an der Zeit, daß dort richtig aufgeräumt wird. Notfalls müßte die Bundeswehr hin und aufräumen. Damit war die friedliche „Aktionseinheit“ dahin, es wurde im Verlauf der Diskussion sehr deutlich, daß es eben nicht nur Deutsche gibt, sondern auch das Interesse: „Wir Deutschen sind wieder wer und müssen für Ordnung sorgen in der Welt, statt immer nur zu bezahlen.“ Und siehe da, heute sind wir schon soweit.

Natürlich will auch ich, daß das Morden aufhört und daß der Expansion Serbiens und der ethnischen (und damit für mich faschistischen) Politik ein Ende gesetzt wird. Ich fürchte nur wie Wolfgang, daß dieses Interesse von imperialistischen Kräften mißbraucht wird.

Wenn es den Staaten Europas den USA und Rußland schon nicht gelingt, über die UNO eine gemeinsame Linie für die Austrocknung des serbischen Expansionismus durch Wirtschaftsembargo und konsequente Isolierung zu finden, dann ist erst recht ein militärisches Eingreifen ein unverantwortliches Abenteuer, das nach allen Seiten losgehen kann. Dann ist imperialistische Interessenpolitik im Spiel. Warum kommt niemand auf die Idee, das Geld, das ein militärischer Einsatz kosten würde, für die Auszahlung der Staaten und Geschäftsleute zu benutzen, die ihren Profit oder auch nur Lebensunterhalt mit der „illegalen“ Belieferung der Serben machen? Man könnte ihnen auch alternativen Handel anbieten. Aber sich auf so etwas zu einigen, dafür reicht der humanitäre Konsens der Kräfte nicht, die jetzt militärisch eingreifen wollen.

Auch 1914 gabe es nur eine kleine Minderheit von Menschen, die sich gegen das imperialistische Abenteuer des Ersten Weltkrieges gewehrt haben. Sie wurden sowohl ausgelacht als auch vom Staat brutal unterdrückt und haben dennoch recht behalten... [...] Johannes Hartmann, Friedberg

Klasse taz! Da bringt Ihr einmal eine abweichende Meinung zu Bosnien, und man freut sich. Tenor von Wolfang Michal: Keine Waffen nach Bosnien, die Nato ist keine Friedenstruppe. Und Euch regt das auf, und wie! Und so wird der Autor Michal von Euch zusammengestaucht!

Darf man anders nicht mehr denken? Ihr kriegstreibenden Rechthaber. Die Front ist wieder begradigt. Die taz wieder stamm auf Kriegskurs. [...] Georg Meyer, Frankfurt/Main

Ach so, Ihr Maul- respektive Schrifthelden! Die bosnischen Opfer sterben also für die fromme Gesinnung eines erbarmungslosen Pazifismus, für das heilige Dogma der Nichteinmischung um jeden Preis, für ein politisch korrektes Deutschland.“ Könnte es sein, daß Ihr da was durcheinander schmeißt? Oder habt Ihr schon irgendwelche Pazifisten beim Waffenschmuggel und Ballern erwischt? Oder zumindest dabei, daß sie daran verdienen, politisch und ganz banal cash? Nein? Worin besteht dann also die große Schuld dieser pazifistischen Monster? Vielleich darin, daß sie wagen, auf ein nie ernsthaft betriebenes Embargo hinzuweisen, auf politische Dummheiten wie die voreilige Anerkennung der Teilstaaten durch Genschman? Oder daß sie öffentlich bezweifeln, daß „unsere“ und sonst welche Jungs tatsächlich imstande und willens sind, im Balkan ordentlich aufzuräumen? Und selbst wenn sie es wären? Wollt Ihr und Eure Strategenfreunde vielleicht ein dauerhaftes Mandat für eine Militärverwaltung, die zivile Standards im ehemaligen Jugoslawien durchsetzt? [...]

Hach, so eine große Koalition der Vernunft. Schade, daß es „Jahre des Zögerns, Hinhaltens und Taktierens...“ brauchte, um zusammenzufinden. Vielleicht könntet Ihr angesichts dieser unerklärlichen Verzögerung Eure Schuldthese nochmals überdenken? [...]

[...] Wie wäre es, wenn dieses große Deutschland mit seiner Wirtschaftsmacht und der Erfahrung aus einer wechselvollen Geschichte folgendes verkünden würde: Leute, wir haben unsere Lektion gelernt. Wir helfen, wo unsere Hilfe benötigt wird. Wir nehmen Flüchtlinge auf, auch Deserteure, und wir schicken Ärzte, Techniker, was auch immer benötigt wird, außer Soldaten. Und damit niemand glaubt, das wäre nur eine neue, besonders perfide Art von Geschäftssinn, fangen wir zu Hause mit ernsthafter Abrüstung an, und mit der konsequenten Unterbindung von Waffenexporten.

Ja, so was dauert, aber wetten das: Es hilft mehr als alle friedenserhaltenden oder -stiftenden Rambos dieser Welt zusammen. Stefan Buchenau, Berlin

Das ist doch ziemlich kindisch. Erst erscheint der engagierte Kommentar von Wolfgang Michal mit dem Titelzusatz „Polemik“, der Michals Meinung ganz erheblich zurücknimmt (was ist schon von einer Polemik zu erwarten?) – und dann zeigen in endlosen Reaktionen gleich drei gestandene taz- Autoren, was sie sind: beleidigt.

Mit harschen Worten, die auch gut zu einem CSU-Parteitag passen würden, unterstellen Semler, Kriener und Saller in ihren „Antworten“ (Zusammen etwa dreimal so lange wie die „Polemik“) Dinge, die Michal nie gesagt hat. Schlechter Stil so was. Und das gerade in einer Zeitung, die „Meinung und Diskussion“ immer so hochhält.

Schön wäre es, würde eine ganze Reihe von taz-RedakteurInnen zur Kenntnis nehmen, daß es nicht um „Hilfe für die Kriegsopfer“, „Mitgefühl“ oder „militärisches Eingreifen“ geht – sondern schlicht um Krieg. Und solange weder fundierte Zielvorstellungen existieren noch eine Ahnung von dem, was nach dem Krieg kommen könnte, gibt es noch die berauschende Option auf den Dritten Weltkrieg. Hat sich eigentlich schon mal jemand außer Wolfgang Michal Gedanken gemacht, woher die völkermordenden Armeen dieser Welt ihre modernen Waffen bekommen? Neuerdings ist man aber wohl schon „Dogmatiker“, „Ideologe“ und „erbarmungsloser Pazifist“, wenn man auf solch internationale Hintergründe hinweist... Nils Kaczenski, Osnabrück