Die Herrin

Ein Tag im Leben von Gisela B.  ■ Von Gabriele Goettle

Frau B. lebt in einer traditionsreichen norddeutschen Künstlerkolonie, ist Witwe und verfügt über bescheidenen Wohlstand. Früher war sie die persönliche Sekretärin eines bekannten Politikers in Bonn. Noch heute klingt in ihrem tadellosen Hochdeutsch ein Rest von amtlichem Tonfall mit.

Anwesend bei unser Ankunft:

Acht Hunde, sechzehn Katzen, zwei Esel, ein Ganter, ein halbes Dutzend Enten, ein sehr altes und gebrechliches Huhn, ein Untermieter, ein Richter, eine Amtsärztin, eine Protokollantin, zwei Fahrer des Rettungswagens vom Roten Kreuz – und natürlich die Herrin des Hauses selbst.

Beim Betreten des Grundstückes werden wir von der empörten Hundemeute regelrecht überrannt. Frau B. tritt aus dem Haus, ruft uns beruhigende Worte zu. Groß und sehnig, bahnt sie sich einen Weg zwischen den wogenden Hundekörpern hindurch. Sie vermittelt den Eindruck, ein Wort werde genügen, um das ohrenbetäubende Bellen zu beenden. Dem ist aber nicht so.

„Ihr müßt schon entschuldigen“, sagt Frau B. und führt uns in ihre geräumige Küche, „heute steht alles Kopf, mein Untermieter wird wahrscheinlich per Zwangseinweisung in die Psychiatrie gebracht, und ich bin sozusagen auch reif für die Anstalt. Setzt euch, Kinder, wir wollen erst mal was trinken bei dieser Hitze.“ Schneller als erwartet gewöhne ich mich an den Geruch nach kleinem Raubtierhaus.

Die Geschichte vom Untermieter

„Dieser kleine Riß dort in der Wand ist neu, von Mittwoch oder Donnerstag. Wir sind ja mitten im Moor hier, das ganze Haus steht auf Pfählen“, erklärt Frau B., „unterirdisch bewegt sich der Boden, er arbeitet und arbeitet – ganz im Gegensatz übrigens zu meinem Untermieter! Der tut gar nichts. Der ist, na wie heißt das gleich, Psychopath. Gestern ist er gewalttätig geworden in meiner Gegenwart. Draußen an der Schwingtür hat er sich den Kopf gestoßen. Danach ging er in sein Zimmer und hat alles kurz und klein geschlagen. Was aber noch schlimmer ist, er hat später vorn vor dem Haus den Klotz weggenommen unter dem Fußabtreter. Ich habe es in allerletzter Sekunde bemerkt, sonst hätte ich mir beide Beine gebrochen. Einmal hat er meinen Autoschlüssel gestohlen, vom Schlüsselbund. Ein andermal war der Tankverschluß weg. Lauter solche Sachen. Als er einzog, da wußte ich ja nicht, mit was für einem Menschen ich es zu tun habe. Zwei Tage später kam er bereits in Handschellen. Ich dachte mir, nanu! Habe aber die Polizisten nichts gefragt. Er beteuerte mir am nächsten Tage, es sei ein dummes Mißverständnis gewesen. Das habe ich halbherzig geglaubt. Eine Weile ging auch alles gut. Wenn er will, dann kann er sich sehr manierlich benehmen. Damals bei meiner Gerichtsverhandlung – ich hatte einen Prozeß, Einzelheiten tun jetzt nichts zur Sache –, also ich muß sagen, er trat bescheiden, höflich und gut gekleidet auf, machte seine Aussage, tadellos. Er kann also, aber er will nicht! Er ist ein verkorkster Mensch. Er war schon mal in Lüneburg in der psychiatrischen Klinik, eben weil er Psychopath ist. Das alles habe ich erst hinterher erfahren, all diese Dinge, sonst hätte ich ihm das Zimmer gar nicht gegeben. Er hatte den ganzen Anbau drüben für sich, dort hat meine Mutter gewohnt bis zu ihrem Tode, da war immer alles tipptopp! Diese Leute sollten gar nicht privat wohnen, und wenn, dann zu Hause bei den Eltern, aber ich glaube, der Vater ist auch entmündigt und dem Alkohol zugetan. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm! Ich weiß noch, es war der 28., der Tag, an dem er Geld bekommt. Das vergesse ich nie, so grauenhaft war das. Er kam mitten in der Nacht sturzbesoffen hier an und randalierte, trat gegen die Möbel und gegen meine Tür, schrie herum und wollte hier eindringen. So ging's immer weiter. Gestern war er auch besoffen, vorgestern auch. Ich weiß jetzt genau, was für ein Mensch er ist. Ein gefährlicher Wahnsinniger! Die letzten Nächte habe ich angezogen in meinem Sessel verbracht, einen Stock auf dem Schoß, und auch die Hunde haben kein Auge zugemacht. So konnte es ja unmöglich weitergehen, da habe ich das Amt eingeschaltet, so leid mir das für ihn tut. Aber er ist untragbar, wirklich, ließ alles verkommen, sich, und vor allem das Zimmer. Manchmal kam er tagelang nicht raus, es sah aus wie in der Müllgrube.

Dabei bemühe ich mich nach Leibeskräften darum, hier alles schön zu machen. Da vorn beispielsweise habe ich mir den Teich baggern lassen, das fängt jetzt schon alles an, drumherum zu wachsen. Die Enten waren selig. Allerdings, viel Freude werden sie nicht mehr haben, die sind steinalt. Das Huhn ist auch kurz vor dem Abnippeln. Was soll man machen, die Natur nimmt ihren Lauf. Wenn die Enten hinüber sind jedenfalls, dann kauf ich gleich neue. Eigentlich habe ich sie ja nur wegen Rolphi angeschafft. Rolphi ist der Ganter, eine echte Graugans. Als dessen Frau gestorben war – die sind ja zeitlebens monogam, die Gänsepaare, immer beieinander –, brach große Trauer aus. Da bin ich zu den Bauern hin, aber die hatten natürlich keine Graugänse, nur Enten und nur weiße. Also hab ich die genommen und gesagt, mal sehen, ob's gut geht. Und Rolphi war es zufrieden. Was sag ich, Rolphi liebte die Enten förmlich. Manchmal sprang er sogar drauf, ja, sogar auf den Erpel, das störte ihn offenbar nicht. Und so teilen sie sich alle die Weide und abends gehn sie gemeinsam im Gänsemarsch in den Stall zum Schlafen. Esel, Enten, Gänserich. Die Esel übrigens, die sind auch so ein Kapitel für sich. Ich habe sie vor längerer Zeit von Leuten bekommen, die keine Ahnung von Eseln hatten, sich nicht um die Hufpflege gekümmert haben, nie was beschneiden ließen, so daß die Hufe ausgewuchert waren bis zum Gehtnichtmehr. Als die Tiere hier ankamen, da sahen die aus, als hätten sie zweifach gezipfelte übergroße Pantoffeln auf ihren Füßen. Der Tierarzt sagte, so eine Nekrose hätte er noch nicht gesehen in seinem Leben. Nun ist sie schon weitgehend zurückgegangen, die Tiere können wieder einigermaßen gehen. Trotzdem ist die Wucherung immer noch nicht weg. Der Hufschmied kommt alle vierzehn Tage zum Beschneiden. Vielleicht kriegt man sie ja wieder mal hin.“

Draußen im Garten ist wütendes Bellen zu hören. Frau B. erhebt sich seufzend und ruft zum Fenster hinaus: „Kathi! Aus! Oder es gibt ein Donnerwetter!“ Und tatsächlich, das Bellen verstummt.

„1983 war's“, fährt Frau B. in ihrer Erzählung fort, „damals hatte ich sage und schreibe 102 Igel im Winter, und davon ist mir nur einer gestorben. Darauf bin ich heute noch stolz. Ich habe mir vom Tischler hier 51 Holzhäuschen bauen lassen, die waren sehr schön, man hätte gleich selbst hineinziehen wollen. In jedem wohnten dann zwei Igel und verbrachten so ihren Winterschlaf. Das alles stand in den Pferdeboxen. Aber bevor sie schliefen, fraßen sie extrem viel. Damals hatte ich noch wesentlich

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mehr Enten und konnte deshalb den Igeln Enteneier füttern. Die schlugen gut an, sie bekamen alle solche Wänste!“

Gereiztes Bellen draußen, gereizt brüllt Frau B. hinaus: „Dina, Platz! Artus, Schluß jetzt! Man kann ihnen ja keinen Vorwurf machen, im Grunde. Das Haus voll mit fremden Leuten! Das riechen sie förmlich, daß etwas in der Luft liegt. Allmählich frage ich mich, was machen die denn so lange? Wahrscheinlich wird der gute Mann wieder alles ableugnen. Na, ich werd' die Hunde besser mal reinholen, vielleicht sind sie ja fertig und traun sich nur nicht raus? Nicht, daß die noch einen falschen Eindruck hier mitnehmen.“

Sie geht und ruft die Hunde, die bald darauf nacheinander in die Küche stürmen, und, als hätten sie uns schon wieder vergessen, ganz überrascht und entrüstet auf unsere Anwesenheit reagieren. Es dauert eine Weile, bis die ungestümen Tiere sich, den Ermahnungen und Drohungen beugend, unter Tische und Stühle verziehen. „Man sollte nicht glauben, daß ich sie alle habe sterilisieren und kastrieren lassen, so wild und potent, wie die sind“, ruft Frau B. mit einem Anflug von Stolz aus, „na, sie bekommen auch gut zu essen – apropos, ich habe ja noch den ganzen Einkauf im Kofferraum stehen, auch unser Abendessen, die sind mir vorhin mitten rein geplatzt. Bin gleich wieder da.“

Kaum ist das Alpha-Weibchen verschwunden, bricht offenbar ein Konflikt um die Hierarchie im Rudel aus. Ein großer Rüde schnappt knurrend nach der jungen Jagdhündin, die fletscht die Zähne, fällt aber, statt über den Aggressor, über den kleinen Lieblingsterrier namens Goldika her, beutelt ihn wie einen alten Lumpen und hinterläßt eine klaffende, stark blutende Fleischwunde an der Kehle. Noch bevor wir einschreiten können, ist die Attacke beendet. Der Terrierkehle entringen sich Schmerzenslaute, die Jagdhündin läßt sich elegant mitten in der Küche nieder. Zum Glück kommt Frau B. unmittelbar danach zurück, nimmt unseren Bericht amüsiert entgegen, wirft einen flüchtigen Blick auf das malträtierte Hündchen, legt eine gefrorene Ente ins Spülbecken und läßt eine riesige, schokoladenbraun glänzende Rinderleber aus der Verpackung heraus auf den Küchentisch gleiten. Dann aber wendet sie sich der Wunde zu. Während Goldika überraschend derb eine breite Binde dick um den Hals gewickelt bekommt, lecken zwei getigerte Katzen das Blut vom Boden. „Man darf sie nicht verzärteln“, sagt Frau B. gelassen und gibt dem Tier einen Klaps. Draußen fährt ein Auto vor und hupt. Dröhnendes Gebell bricht los. Zwei Bobtails werden gebracht, in Kost und Logis. Nach allseitigem Beschnuppern und Knurren sitzen sie bescheiden nebeneinander in der Ecke. Zehn Hunde sind es nun. Frau B. läßt heißes Wasser über die gefrorene Ente laufen und erklärt: „Also meine Hunde, die wirken vielleicht etwas wild, aber die sind absolut harmlos. Die haben noch nie was Böses erlebt. Alles herrlich. Wie die Krokodile beim Fressen, aber sonst lieb. Das ist die Wahrheit! Besonders vernünftig ist Bolle, der große da. Sie dort bekam ich vor dreieinhalb Jahren gebracht – fast alle meine Tiere sind ja aus zweiter oder dritter Hand, ich bin in der ganzen Gegend berühmt dafür, daß ich selbst aussichtslos scheinende Fälle durchkriege – und als man mir die Hündin wie gesagt brachte, da war sie hochtragend. Vielleicht hat man sie deshalb aus dem fahrenden Auto geworfen, wer weiß. Leute fanden sie verkrochen in einem Erdloch. Mäuschen heißt sie nun. Wenn ein Auto kommt, so wie eben, dann wird sie sehr nervös. Arko dort, ist eines ihrer Jungen.“

Der Rüde, als er seinen Namen hört, kommt sofort schwanzwedelnd zu seiner Herrin, die ihm zerstreut den Schädel tätschelt. Ringsum auf den Küchenschränken liegen Katzen mit halb geöffneten Augen und belauern den Fortgang der Ereignisse im Hinblick auf die Leber. An Ausspeisung ist aber momentan nicht zu denken.

Die Geschichte von der reichen Frau

„Wenn ich bloß wüßte“, sagt Frau B. seufzend, „was die da drüben so lange machen? Nicht, daß mir der Mann am Ende noch dableibt! Er hat mir ja am Morgen noch einen Blumenstrauß überreicht, zur Aussöhnung, da war's aber schon zu spät. Außerdem hat er den in meinem Garten gepflückt und nicht mal die Stiele auf gleiche Länge geschnitten. Das erinnert mich an eine Geschichte von früher. Als ich ein junges Mädchen war, habe ich ab und zu für eine sehr reiche Frau gearbeitet. Ihr Reichtum war unermeßlich. Sie hatte viele Weltreisen gemacht, war von Fürsten und Scheichs eingeladen worden. Diese Frau hatte einen Schuhschrank, der ging über eine ganze Etage, alles Wandschränke, und die Schuhe standen, mit Spannern ausgefüllt, in Regalen übereinander. Die ganzen Schuhe, von 1912, 1913 und immer weiter, bis zum Ende der 30er Jahre. Ein Geruch war das! Die mußten natürlich gepflegt werden, eingecremt, gebürstet. An einem Weihnachten hat sie mir ein solches Paar Schuhe geschenkt. Ich sollte sie gleich anprobieren und herumgehen damit. Sie paßten zwar, waren wie neu, ich konnte sie aber trotzdem nicht tragen: Sie waren von 1920! So konnte ich ja nicht rumgehen. Ein anderes Mal, ich hatte für sie Holz gehackt, es war Winter, und man bekam alles nur noch auf Lebensmittelkarten, da rief sie mich rein in ihren Salon. Ich sollte mich hinsetzen. Ach, dachte ich, jetzt werde ich etwas extra bekommen. Sie öffnete ein Holzkästchen und holte eine Zigarette heraus, eine einzelne Zigarette. Die war von Harun al-Raschid. Sie war vor dem Ersten Weltkrieg mit ihrem Mann im Orient gewesen, in Bagdad, glaube ich, und eines der Geschenke, die sie dort bekommen hat, war das Kästchen mit den Zigaretten und ein goldenes Etui dazu. Die Zigarette mußte ich gleich im Salon rauchen. Fast 30 Jahre später, das muß man sich mal vorstellen! Sie schmeckte scheußlich, wie aus der Seegrasmatratze! Dafür hatte ich nun den ganzen Morgen Holz gehackt.“

Eine der Katzen sprang auf den Tisch herunter und landete unmittelbar neben der Leber. Da sitzt sie. Beginnt, scheinbar desinteressiert, ihre Pfoten zu lecken. Frau B. gibt ihr einen Klaps und sagt: „Zieh Leine, unverschämtes Vieh!“ Die Katze macht einen Satz auf die Stuhllehne, der Stuhl wankt, neigt sich langsam zur Seite. Zwei Hunde können sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen, bevor er krachend zu Boden fällt. Die ganze Meute ist nun bellend auf den Beinen, nur die Bobtails sind noch unschlüssig.

Die Geschichte vom verstorbenen Gatten

„Kommt!“ sagt Frau B. mit einer einladenden Geste, „ich zeige euch das Katzenzimmer, hier ist es mir zu laut.“ Wir folgen ihr durch einen kühlen Flur ins Halbdunkel eines Wohnzimmers, das im Stile der 40er Jahre möbliert ist. Auf den ersten Blick wirkt alles bürgerlich, die Teppiche, dunklen Möbel, Landschaftsbilder, der pergamentbespannte Schirm der Stehlampe. Auf den zweiten jedoch sind die zerkratzten Sessellehnen unübersehbar, die Abgetretenheit des Teppichs und die Flecken über seinem Muster. „Schaut nicht so genau hin“, sagt Frau B. und öffnet die Fenster ein wenig, „es ist ja nur das Katzenzimmer. So eine Art Rückzugsraum vor den Hunden. Wo viele Katzen zusammen sind, riecht's immer etwas streng, nicht? Aber daran muß man sich gewöhnen. Im Schrank dort drüben hat eine vorgestern sechs Junge geworfen. Sie hat ein Nest gemacht, aus dem schönsten Winterpullover von meinem Mann. Hier habe ich aber noch ein wirkliches Erinnerungsstück aufbewahrt.“ Sie öffnet einen schwarzen rechteckigen Kasten, drinnen liegen, in Samt gebettet, die Teile einer silbernen Querflöte, einst gespielt vom kunstsinnigen Gatten. Frau B. drückt auf eines der silbernen Hebelchen und erzählt: „Er war ein wirkliches Kleinod ... aber es gab nichts als einen einzigen tiefen Abgrund zwischen ihm und mir. Zwei Menschen konnten verschiedener nicht sein, als wir es waren. Trotzdem hat mich sein Tod natürlich sehr erschüttert. Es war in den bayerischen Alpen, an einem herrlichen klaren Tag. Er wollte ein bißchen bergsteigen und abends zurück sein, aber er kam nicht zurück. Am nächsten Tag nicht und auch nicht am übernächsten. Ich habe tagelang gewartet. Nach fünf Tagen kam die Bergwacht mit dem Wagen vorgefahren, man rief mich raus, dann machten sie hinten auf und schlugen die Decke zurück von einem Bündel, das aussah, als wären nur Kleider drunter. Ich sah einen bläulichen Arm, eine Hand und die blutverschmierten Haare auf dem Kopf meines Mannes, denn, daß es mein Mann war, konnte ich zwar nicht erkennen, wußte es aber. Er roch schon ein bißchen, ganz leicht, wie ein Wild, das in der Beize liegt. Er war Pharmareferent, ein kleiner, zarter Mensch, ernst, musikliebend, bescheiden. Das ganze Gegenteil von mir. In seiner beruflichen Position fiel es ihm natürlich nicht schwer, in den Besitz jener Tabletten zu kommen, die er dann nahm, bevor er sich oben im Berg auf einen Felsvorsprung setzte. Das war sozusagen das Ende einer Reihe von ehelichen Kränkungen, Enttäuschungen und Mißverständnissen, unter denen er wohl mehr gelitten haben muß als ich. Er war sensibel, ein Flötenspieler eben. Introvertiert und ein wenig gehemmt. Man kann schon sagen, er war unglücklich, emotional ruiniert. Nur noch daran interessiert, Unsummen für seine Musikleidenschaft auszugeben. Ich habe das natürlich erfolgreich verhindert, konnte ihm aber meine Interessen wiederum nicht schmackhaft machen. Ich war mehr an den trivialeren Dingen des Lebens interessiert, war gerne unter Leuten, ab und zu ein Tanzvergnügen, ins Kino oder Theater, das Leben ist ja kurz genug ...“ Sie schloß den Flötenkasten und stellte ihn auf seinen Platz.

Wir kehren in die Küche zurück. Frau B. wird von acht Hunden freudig begrüßt und auch uns stupst man hier und da die Nase in die Hand. Beide Bobtails sitzen reglos abseits. Die Leber scheint unangetastet geblieben zu sein. Frau B. wirft die Kaffeemaschine an und stellt Tassen auf den Tisch, rund um die Leber herum. „Die sind immer noch nicht soweit!“ empört sie sich und prüft, ob die Ente schon etwas aufgetaut ist. Durchs offene Küchenfenster kommt eine getigerte Katze hereingesprungen mit einer Maus im Maul. Blitzschnell verschwindet sie zwischen den Hunden hindurch im Flur. „Wenn der Mais steht, dann rennen sie alle rüber zu den Feldmäusen. Eigentlich bräuchte ich für sie gar kein Futter weiter kaufen. Meine Katzen können alle den Todesbiß! Nur das Aufessen, das ist dann nicht jedermanns Sache. Ach, das macht mich ganz nervös, dieses Warten! Hoffentlich nehmen sie den Mann auch wirklich mit, so gefährlich wie der ist, sonst müßt ihr heute Nacht dableiben! Denn der wird doch sicherlich Rache nehmen für alles? Die Amtsärztin hat sich heute morgen gleich einwickeln lassen. Er war gefügig und hat alles abgeleugnet. Am Ende stehe noch ich als die Psychopathin da. Das wäre was. Da! Diese Katze müßt ihr mal anfassen und vergleichen mit der anderen. Na? Fühlt sich das nicht vollkommen verschieden an? Die Mutter ist Jaya, eine rassereine Siam, der Vater ist nur Hauskater, der hat aber gar nicht gestört. Das ist mit Abstand meine schönste Katze. Und der Rote dort ... Ach, das war auch so was. Leute haben sich den für 750 Mark gekauft und dann zu Hause festgestellt, daß er Katzenschnupfen hat, damit war's dann aus mit der Liebe. Nun schnieft er halt hier vor sich hin ...“

Die Hunde springen auf, draußen hat sich was gerührt. Wütendes Gebell erhebt sich. Der Untermieter, ein junger schlaksiger Mann mit gescheiteltem Blondhaar, wird von den beiden kräftigen Rotkreuzmännern zum Rettungswagen geführt. Frau B. eilt hinaus und kehrt bald darauf zurück. Die Hunde dürfen hinausstürmen, als das letzte Auto vom Grundstück fährt. Nur die Bobtails bleiben stumm und reglos in ihrer Ecke sitzen.

Frau B. schenkt uns Kaffee ein und wirkt sehr entspannt und zufrieden. „Der Verrückte“, sagt sie, „ist in die Psychiatrie eingewiesen worden ... Zur Beobachtung, ist aber noch Mieter. Daß er eine Gefahr für Leib und Leben ist, das wäre meiner Meinung nach schon Einweisungsgrund genug, aber manche nehmen es eben ganz genau. Und ehrlich gesagt, mir ist das auch ganz egal, ob der jetzt in die Zwangsjacke kommt oder Elektroschocks verabreicht bekommt, Hauptsache, er ist weg! Nun herrscht wieder Ruhe und Frieden im Haus.“