Ein Feigenblatt bringt noch keinen Frieden

■ Russische und tschetschenische Unterhändler unterzeichen in Grosny ein Militärabkommen / Dieses sieht den weitgehenden Rückzug der russischen Armee vor, die politischen Fragen bleiben jedoch weit

Moskau (AFP/taz) – „Der Krieg in Tschetschenien wird beendet.“ Mit diesen Worten kommentierte Usman Imajew, der Leiter der tschetschenischen Verhandlungsdelegation, den Abschluß eines Militärabkommens zwischen Rußland und Tschetschenien. Beide Seiten hatten sich in der Nacht zum Sonntag nach einer Marathonsitzung darauf geeinigt, zunächst nur ein Dokument über militärische Fragen zu unterzeichen und die politischen Fragen auszuklammern. Das Abkommen sieht die sofortige Einstellung der militärischen Feindseligkeiten, den Austausch von Gefangenen und die Entwaffnung der tschetschenischen Unabhängigkeitskämpfer vor. In Tschetschenien stationiert bleiben sollen nur zwei russische Brigaden. Die Truppen beider Seiten müssen sich von allen Fronten soweit zurückziehen, daß eine Distanz von zwei bis vier Kilometern zwischen ihnen entsteht.

Überwacht werden soll das Abkommen von der OSZE; in ihrem Gebäude in Grosny hatten die fünfwöchigen Verhandlungen stattgefunden. Das Abkommen setzt ein Protokoll von Ende Juni um, auf dem der derzeit geltende Waffenstillstand beruht. Er wird allerdings nur teilweise eingehalten. Auf beiden Seiten gibt es weiterhin Kräfte, die an einer friedlichen Lösung kein Interesse haben. So waren gerade in den vergangenen Tagen, als ein völliges Scheitern der Gespräche drohte, die Kämpfe wiederaufgeflammt. Zuletzt hatte dann die Verhaftung von Chamad Kurbanow, dem Repräsentanten des tschetschenischen Präsidenten Dudajew in Moskau, die Gespräche belastet.

Rußland hatte zunächst darauf bestanden, daß ein Militärabkommen an eine politische Lösung gekoppelt werden muß. Da die Gespräche über den Status Tschetscheniens jedoch nicht vorankamen, wurden die beiden Bereiche getrennt. Beobachter vertreten jedoch schon lange die Ansicht, daß das Militärabkommen lediglich ein Feigenblatt für die eigentlich gescheiterten Verhandlungen ist. Dieses Mißlingen könne jedoch weder Grosny noch Moskau eingestehen. Die Tschetschenen nicht, da sie militärisch der russischen Armee kaum etwas entgegensetzen könnten. Premier Tschernomyrdin nicht, weil er es gerade geschafft hätte, mit den Verhandlungen sowohl die internationale Kritik am Tschetschenien-Krieg als auch die Kriegstreiber im Kreml zu stoppen. Beiden Seiten ist klar, daß wohl noch lange keine Einigung in der Frage des künftigen Status Tschetscheniens möglich ist. Über diesen soll daher erst nach den für November geplanten Wahlen entschieden werden. Bis dahin wird man sich darauf konzentrieren, nach welchem Modus die Wahlen durchgeführt werden.

Jelzin befördert seinen Leibwächter

Boris Jelzin hat die Machtbefugnisse seines Chefleibwächters Alexander Korschakow, der als einer der einflußreichsten Berater des Kremlchefs gilt, ausgeweitet. Per Dekret übertrug der russische Präsident Korschakow die Leitung der Hauptverwaltung „Bewachung der Russischen Föderation“ und damit auch den Sicherheitsdienst des Kreml. Den bisherigen Leiter dieser Abteilungen, Michail Barsukow, hatte Jelzin vor wenigen Tagen zum neuen Geheimdienstchef ernannt. her