Kann der Krieg in Kroatien noch verhindert werden?

■ Präsident Tudjman bietet den Krajina-Serben Verhandlungen an / Bosnische Serben beginnen Gegenoffensive und hoffen auf Unterstützung aus Belgrad

Zagreb (taz) – Während man nicht nur in Zagreb seit Tagen über den Beginn der kroatischen Offensive gegen die Krajina spekuliert, hat der kroatische Präsident Franjo Tudjman gestern überraschend seine Bereitschaft zu Verhandlungen mit den Krajina-Serben erklärt. Seinen Vorstellungen nach soll bei einem Treffen zwischen den Unterhändlern Zagrebs und den aufständischen Serben in Genf Termin und Themen für weitergehende Verhandlungen auf kroatischem Boden festgelegt werden. Dem Beginn dieser Verhandlungen über die Wiedereingliederung der Serbengebiete unter kroatischer Staatshoheit sollte „innerhalb von 24 Stunden“ die Öffnung der Adria-Pipeline zwischen der kroatischen Küste und Zagreb folgen, die streckenweise durch die Krajina führt.

„Sollte die serbische Seite keine Absicht zu ernsthaften Verhandlungen zeigen, wird sich die Republik Kroatien gezwungen sehen, die Reintegration der besetzten Gebiete selbst vorzunehmen“, hieß es dazu weiter. Laut Berichten aus Belgrad ist die Führung der Krajina zu Verhandlungen mit Zagreb bereit.

Mit einen baldigen Angriff auf die Krajina rechnen jedoch offenbar die kroatisch-serbischen Soldaten. Sie zogen sich gestern aus der westbosnischen Enklave zurück, die Kämpfe dort ließen nach. Seitdem am Freitag die bisher von den bosnischen Serben gehaltenen südwestbosnischen Städte Bosansko Grahovo und Glamoc von den Kroaten erobert worden sind, ist sowohl in der kroatischen Serbenhochburg Knin wie auch in der bosnischen Serbenzentrale Pale hektische Aktivität ausgebrochen. Ein Grund für das Nachlassen der Kämpfe in Bihać dürfte außerdem der erbitterte Widerstand des 5. Korps der bosnischen Armee sein, das den Angreifern erhebliche Verluste beigebracht haben soll.

Serbenchef Radovan Karadžić forderte das bosnisch-serbische Militär – Oberbefehlshaber Ratko Mladić wurde dabei überraschenderweise nicht genannt – auf, zu einem sofortigen Gegenschlag in Westbosnien überzugehen. Bisher „beschränkten“ sie sich jedoch auf das Bombardieren der beiden Städte, dabei starb ein Polizist, drei kroatische Soldaten wurden verletzt. Die kroatische Offensive ist in diesem östlich der Krajina und südlich von Bihać gelegenen Gebiet gut vorbereitet gewesen: die Truppen hatten ihre Stellungen in den umliegenden Bergen ausgebaut, bis sie sich entschlossen, die beiden Kleinstädte einzunehmen. Sie haben jetzt sogar die Möglichkeit, weiter Richtung Bihać und Richtung Banja Luka im Osten vorzustoßen.

Bedeutsam ist aber vor allem, daß die für die Krajina wichtige Straßenverbindung zwischen Knin und der von Serben besetzten Großstadt Banja Luka in Nordbosnien unterbrochen wurde. Schon seit Wochen beschoßen die Kroaten diese Straße. Nach Angaben von kroatischen Soldaten wurden Militärtransporte angegriffen, Zivilisten aus Knin jedoch in Ruhe gelassen. Ein Teil der Bewohner der Gegend sei bereits in den letzten Wochen in die Krajina geflohen.

Die in den Talkesseln um Bosansko Grahovo und Glamoc wohnende serbische Bevölkerung wurde während des kroatischen Angriffes von den serbischen Behörden in Richtung Banja Luka evakuiert. Ob es sich dabei aber um über 20.000 Personen handeln kann, wie serbische Quellen angeben, ist angesichts der vor dem Kriege durchgeführten Volkszählung kaum möglich. Tatsache aber ist, daß fast alle Serben geflüchtet sind, obwohl die kroatischen und bosnischen Behörden sie wiederholt zum Bleiben aufgefordert haben. Wie bei der kroatischen Offensive in Westslawonien Anfang Mai brach Panik unter der serbischen Bevölkerung aus. Ursache hierfür ist vor allem die Berichterstattung in den bosnisch-serbischen Medien, derzufolge „Ustaschen“ und „Mudjaheddin“ versuchen würden, die serbischen Zivilisten „abzuschlachten“.

In Belgrad forderte gestern das Verteidigunskomitee Rest-Jugoslawiens die Staatengemeinschaft dazu auf, den Rückzug der Kroaten zu erzwingen. Ausgehandelt werden müsse ein sofortiger Waffenstillstand. Auf die von den bosnischen Serben geforderte Unterstützung geht die Erklärung der Führung Rest-Jugoslawiens dagegen nicht ein. Erich Rathfelder