Von Osnabrück bis nach Ohio

■ „Routes to the Roots“: Amerikaner auf den Spuren ihrer niedersächsischen Vorfahren/ Museum übers Auswandern

Erstes Kapitel im „Praktischen Sprachführer für Auswanderer nach Amerika“ von 1880: „Ich will Land kaufen. I want to buy some land. Wollen Sie Waldland oder Prairieland haben? Do you want woodland or prairieland?“ Nebst phonetischer Transkription. Da kann ja nichts mehr schiefgehen, hat man erstmal Ellis Island im New Yorker Hafen erreicht. Allein sieben Millionen Auswanderer aus Deutschland, viele davon aus Niedersachsen machten sich im 19. Jahrhundert auf den Weg in die Neue Welt. Ihr Antrieb war die Illusion von einem besseren Leben. Und natürlich die Angebote aus den USA. Wer sich verpflichtet, Amerikaner zu werden und das Land, das er bekommt, zu bestellen, kann kommen. Das sprach sich herum: Das Auswanderungsfieber, das in den 30er Jahren ausbrach, war ansteckend.

Stille, wenn auch stets präsente Spuren des millionenfachen Exodus: Über 60 Orte in den USA tragen den Namen „Hanover“. Was waren das für Leute, von denen ich abstamme und von denen ich nur weiß, daß sie irgendwo aus Europa kommen? Diese Frage stellen sich auch heute noch immerhin so viele Amerikaner, daß das Projekt „Routes to the Roots“ darauf eine Antwort geben will. Initiiert hat das Vorhaben die Forschungsstelle Niedersächsische Auswanderer in den USA (NAUSA) der Uni Oldenburg. Beteiligt sind die Deutsche Zentrale für Tourismus, die Wirtschaftsförderungen der Länder Niedersachsen und Bremen sowie der Förderverein Deutsches Auswanderermuseum Bremerhaven. Ko-finanziert wird Routes to the Roots von der Europäischen Union. „Wir sind die Spinne im zu entwickelnden Netzwerk“, sagt Horst Rößler von der NAUSA, „wir kooperieren mit den europäischen Auswanderermuseen, können Reiserouten ganz nach Wunsch zusammenstellen und Familiengeschichten rekonstruieren.“ Etwa anhand der alten Passagierlisten, die die Forschungsstelle archiviert hat. Immerhin 30 Prozent der Interessierten finden in den Listen vertraute Namen wieder, sagt Rößler.

Vielleicht auch den von Johann Heinrich zur Oeveste (1801-78), dessen Briefe aus Amerika das Forschungsprojekt Routes to the Roots erst ins Rollen brachten. 68 Tage dauerte seine Reise von Bremerhaven, dem bedeutendsten Auswandererhafen Europas, nach Baltimore. Zur Oeveste verdingt sich beim Eisenbahn- und Kanalbau, in einer Whiskeybrennerei und einer Farbenfabrik, im Stahlwerk und als Knecht in der Landwirtschaft. Fünf Jahre nach seiner Ankunft in der Neuen Welt kauft sich der Osnabrücker zur Oeveste 48 Hektar Land, das er selbst roden muß. Ein Jahr später ist zur Oeveste selbständig. Sechs entbehrungsreiche Jahre liegen hinter ihm, der Ton seiner Briefe in die alte Heimat klingt resignativ: „Wer bey euch einen Platz hat das er sein Leben machen kann und gedenkt (...) nach Amerika zu reisen um sein Leben da zu verbeßern der irrt sich soweit wie ich es kenne.“

Trotzdem: Mit nur 16 % Remigration – ein Kriterium für das Wohl und Wehe in der neuen Heimat – liegen die Deutschen ganz vorn in der Statistik derjenigen, die sich erfolgreich eine Existenz aufbauen konnten. Die Südeuropäer etwa hatten weniger Glück. Sie kamen einfach zu spät. Denn bis 1895 hatten die Neu-Amerikaner ihre Claims abgesteckt, das Land war verteilt.

Eine siebentätige Exkursion wurde für die Nostalgie-Touristen aus den USA ausgearbeitet. 1. Tag: Besuch der ehemaligen Residenz des Königreiches Hannover. Gereicht wird ein Servicepaket mit Archivadressen, Transkriptionshilfen für die alte deutsche Schreibschrift – und einer Telefonkarte. 2. Tag. Besuch auf Osnabrücker Bauernhöfen: „Nachfahren von Auswanderern freuen sich, Sie zu Hause begrüßen zu dürfen“, heißt es im Programm. Weiter geht es nach Ostfriesland, nach Norden und Dornum, der Heimat von Minie Marx, der Mutter der Marx-Brothers. 5. Tag: Besuch der Oldenburger Forschungsstelle: Archivsichtung, Familien-Recherche. Letzte Stationen: Bremen und Bremerhaven, Hafenrundfahrt, vorbei am Auswandererdenkmal, Besuch der Multimedia-Ausstellung „Aufbruch in die Fremde“. Reisepreis: 1299 Mark. Jetzt müssen die Leute nur kommen. Und sie kommen ja auch. Allerdings stand ihnen bislang keine organisierte Tour unter fachkundiger Leitung zur Verfügung; die erste Route to the Roots ist für den Herbst avisiert.

Daß das Interesse an Migrationsgeschichte in den USA groß ist, belegen auch die Besucherzahlen im Auswanderermuseum auf Ellis Island. Vier Millionen Menschen jährlich werden gezählt; ihr Blick fällt als erstes auf einen riesigen Übersee-Koffer: Absender Bremen. Um die starke historische Bindung Bremerhavens und Ellis Islands – Symbole für Abschied und Neuanfang – auch sichtbar zu machen, verlangt es auch die Seestadt nach einem Auswanderermuseum. „Wir wollen uns nicht mit New York vergleichen, aber im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staaten gibt es in Deutschland noch kein Auswanderermuseum“, sagt der Kulturdezernent Bremerhavens, Dr. Wolfgang Weiß. Eingebunden in einem „Auswandererpfad“ zwischen Auswandererhaus (heute Technische Fachhochschule) und Columbusbahnhof soll es bis zum Jahre 2000 entstanden sein. Denn die Möglichkeiten, die ein Museumsbau bietet, sind nun einmal bedeutend größer als die der derzeitigen Dauer-Ausstellung mit seinen 200 bis 300 täglichen Besuchern. „25 bis 35 Millionen würde das kosten“, rechnet Weiß vor, „ein Bruchteil der Summe für den geplanten Ocean-Park.“ Weiß sieht neben den Häfen und der Fischerei die Auswanderer als stadtgeschichtliches Potential, das touristisch nutzbar gemacht werden muß. An Besuchern wird es dann nicht mangeln: Die Expo 2000 wird sicherlich genügend Publikum auch ins Museum in spe führen. Alexander Musik