Rüstungs-Geschäft mit tödlichen Folgen

■ Über die taiwanesische Korruption bei der illegalen Rüstungsbeschaffun, den Mord an einem hohen Marine-Offizier – und eine verschwiegene Spur nach Bremen

Am 23.11.1993 verließ Bremens Bürgermeister Klaus Wedemeier mit einer handverlesenen Delegation von Rüstungsindustrie-Managern Taiwan. Mit dabei: Der Besitzer der Lürssen-Werft, Friedrich Lürssen, sein Geschäftsführer Friedjof Schmidt, ein Manager des Vulkan, ein Vertreter der Rüstungselektronik-Firma STN. Die Reise ist brisant: Nach Taiwan, von Rotchina als „abtrünnige Provinz“ nicht anerkannt, dürfen Waffen nicht geliefert werden. Aber Taiwan ist hochinteressiert an modernen elektronischen Waffen, wie sie in Bremen von Lürssen und STN etwa für die Bundeswehr produziert werden.

Keine drei Wochen nachdem die Wedemeier-Delegation abgereist ist, wird in Taiwan der Leiter des Beschaffungsamtes der Marine, der hochrangige Offizier Yin Ching feng, ermordet. Er war mit seinen Unterlagen auf dem Weg zu einer Frau abgefangen worden, die aus Bremen nach Taiwan geflogen war, um ein illegales Rüstungsgeschäft zu vereinbaren. Am 15. Dezember, keine vier Wochen nach der Wedemeier-Visite, hätte der Lürssen-Chef wieder nach Taiwan fliegen sollen, um das Geschäft offiziell abzusegnen. Aus diesem zweiten Besuch wurde nichts mehr, nachdem dem Leiche im pazifischen Ozean schwamm.

Zwei Jahre lang hat der Bremer Rüstungsexport-Gegner Rainer Kahrs recherchiert, um die Hintergründe des Wedemeier-Besuchs auf Taiwan und die Zusammenhänge des Mordes herauszufinden. Auf Taiwan kam als Folge des Mordes der größte Korruptionsskandal in der Geschichte des Militärs dieses Landes ans Tageslicht. 20 Offiziere wurden bestraft, drei Generale angeklagt, der Chef der Marine mußte zurücktreten.

In Deutschland und speziell in Bremen herrscht dagegen fast vollkommenes Schweigen über die Angelegenheit. Nicht Radio Bremen, sondern der WDR brachte jetzt in seinem 3. Hörfunk-Programm, das in Bremen auch mit guten Antennen nicht zu hören ist, einen ausführlichen Feature-Bericht über die Recherchen von Rainer Kahrs, deren Ergebnisse wir hier wiedergeben.

Der Bürgermeister Wedemeier verweigerte Rainer Kahrs jegliches Interview zu dem Taiwan-Besuch. Nur soviel wurde bekannt: Wedemeier hat sich damals dafür eingesetzt, daß der Lürssen-Chef einen Termin beim Staatspräsidenten von Taiwan erhält. Die Protokoll-Abteilung des Bremer Rathauses legt Wert darauf, daß Wedemeier, der als Bundesrats-Präsident auf Fernost-Reise gegangen war, den angehängten Abstecher nach Taiwan nur und ausschließlich in bremischem Interesse und nur als bremischer Bürgermeister gemacht hat – soll Bonn aus der Affaire um jeden Preis herausgehalten werden?

Lürssen verweigert jegliche Auskunft über seine Rüstungsgeschäfte allgemein und Taiwan-Kontakte insbesondere.

Eigentlich war es derweil früher nicht die Lürssen-Werft, die in Kooperation mit STN an den illegalen Taiwan-Waffenlieferungen gut verdiente, sondern der niedersächsische Konkurrenz jenseits der Weser, Abeking&Rasmussen. Auffallend: Herrmann Schaedla, der Chef von Abeking&Rasmussen, war nicht im Wedemeier-Gefolge.

Auch Abeking&Rasmussen gibt keine Auskünfte über Waffen-Geschäfte. Es sei denn, es gibt etwas zu dementieren. Im Februar 1995 dementiert Abekind&Rasmussen Meldungen, die Werft habe vier Minenkampfboote nach Taiwan geliefert. Dies sei falsch, es habe sich um vier „Mehrzweck-Küstenversorger“ gehandelt, geliefert an die „China Petrol Corporation“ von Taiwan, erklärt die Werft.

Die taiwanesische Zeitung „United Daily News“ berichtete im Juni 1995 stolz über eine geplante Marine-Parade. Mit dabei in der Parade und der Stolz der taiwanesischen Armee sollen vier Minenkampfboote aus Deutschland sein. „Die vier Marineboote werden jetzt in den Dienst der Marine gestellt“, schreibt das Blatt unter Berufung auf offizielle Militär-Quellen. Weiter: „Wegen eines Geheimhaltungs-Abkommens konnten die Schiffe nur als Küstenversorger gelten. Das Foto zeigt ein Minensuchboot während der Bauzeit auf der Werft Abeking&Rasmussen...“, geliefert 1990/1991 über die Petrol Corporation.

Werft-Manager von Abeking&Rasmussen wurden wegen Umgehung von Export-Verboten angeklagt und akzeptierten 1992 ohne großes Aufheben eine Geldstrafe. Das, so glaubt Rainer Kahrs, war die Chance von Lürssen: Ein 40-Millionen-Auftrag für Ersatzteile lag in der Luft, die Konkurrenz von Abeking&Rasmussen war möglicherweise wegen der Vorstrafen der Manager ein unsicherer Lieferant... Für Lürssen, so vermutet Kahrs, ging es um mehr: Es ging um die Chance, generell ins Taiwan-Geschäft einsteigen zu können. Die Beschaffung von westlichen High-Tech-Waffen ist in Taiwan höchstes Staats-Interesse, eine Empfehlung durch den Mann, der damals in Taiwan als Präsident des Bundesrates und damit protokollarisch „zweiter“ Mann der Bundesrepublik hinter dem Bundespräsidenten empfangen wurde, mußte ein unbezahlbarer Türöffner sein.

Aber was hat das mit der Leiche des Leiters des Beschaffungsamtes der Marine, Oberst Yin, zu tun, die drei Wochen nach der Wedemeier-Visite, am 10.12.1993, von einem Fischer aus dem Pazfik gezogen wurde? Was war in der Ledertasche, die Yin dieser Frau übergeben wollte, die aus Bremen angereist war, um die Kontakte für Lürssen zu machen?

Fortsetzung Seite 22

Der Krimi um die Taiwan-Geschäfte der Lürssen-Werft, Teil zwei

Am 10.12.1993 zieht der kleine taiwanesische Fischer Li eine Leiche aus dem Wasser. Er meldet den Fall, eine Visitenkarte weist den Toten als den hochrangigen Marine-Offizier Oberst Yin aus. Eingeweihte wissen: Es handelt sich um den Chef des Beschaffungsamtes der Marine. Das militärische Beschaffungswesen ist für Taiwan ein Feld höchster und geheimster Staatskunst. Alle westlichen Länder pflegen ihre offizielle Kontakte zu Rotchina und versuchen aus diesem Grunde alles zu vermeiden, was die Atommacht China mit seinen 1,2 Milliarden Menschen verärgern könnte. Und nichts verärgert Rotchina so sehr wie Waffenlieferungen an die seit Jahrzehnten „abtrünnige Provinz“ Taiwan, nichts braucht Taiwan so sehr wie westliche Waffen auf technisch höchstem Niveu.

Die Militärstaatsanwaltschaft in Taipeh zieht den Fall sofort an sich und verhängt eine Nachrichtensperre. Tagelang erfährt man in Taiwan nichts außer: „Die Militärstaatsanwaltschaft ermittelt wegen Selbstmord...“ In Bremen ist der Tod im Dezember 1993 keine Meldung wert – warum auch. Die Verbindungen sind hier bis heute streng gehütetes Geheimnis der Rüstungs-Lobby.

Aber die Familie des Yin glaubte nicht an Selbstmord. Als schließlich ein ziviler Gerichtsmediziner einen Blick auf die Leiche werfen konnte, stellte der eindeutige Würgemale am Hals, eine sechs Zentimeter lange Wunde am Kehlkopf und Folgen brutaler Schläge am Kopf fest – der oberste Waffen-Beschaffer der taiwanesischen Marine war brutal ermordet worden.

Die Rekonstruktion der Ereignisse, wie sie Rainer Kahrs aus taiwanesischen Quellen zusammengetragen hat, ergibt: Am Morgen des 9.12.1993 war Yin auf dem Weg zu einem Termin gewesen. Es wartete auf ihn im Hotel Ritz: Frau Chen Chun chyn, genannt Frau Tu, angereist aus Bremen. Die 40jährige Frau Tu mit deutschem Paß und Wohnsitz in Bremen ist eine Maklerin u.a. in Sachen Waffenhandel, sie verfügt in Bremen, in Taiwan und auch weltweit über hervorragende Kontakte in Politik und Wirtschaft. Frau Tu hatte sich an Yin gewandt mit dem Ziel, für den Chef der Bremer Lürssen-Werft eine offizielle Einladung zu organisieren. Es ging nicht um einen Höflichkeits-Besuch, die Höflichkeits-Rituale hatte Lürssen gerade zusammen mit dem hochrangigen Vertreter Deutschlands, dem Bundesratspräsidenten Wedemeier, absolviert. Lürssen war also eingeführt, legitimiert. Es ging schlicht darum: Lürssen hatte 1992 mit der Petrol Corporation vereinbart, in das Minenkampf-Bootgeschäft einzusteigen und die Ersatzteile für 40 Millionen zu liefern. Aber mit der Obersten Beschaffungs-Behörde war die Angelegenheit noch nicht klar. Hohe Mitarbeiter im Beschaffungsamt hielten treu zu Abeking&Rasmussen. Der Taiwanesische Oppositionspolitiker Chen Shu bian, der mit der Aufdeckung der Korruption in Taiwan befaßt war und später Bürgermeister von Taipeh wurde, sagt, daß auch die Bremer Militärelektronik-Firma STN angedeutet hatte, sie könnte ihren Anteil an den Ersatzteilen möglicherweise an Lürssen nicht liefern, aber an Abeking&Rasmussen. STN ist der traditionelle Geschäftspartner von Abeking im Taiwan-Waffenhandel.

Nach Wedemeiers Besuch wird Frau Tu aber von Yin, dem Chef des Beschaffungsamtes, signalisiert, daß sie nun die begehrte Einladung für den Lürssen-Chef erhalten würde, der Chef der Marine habe entschieden. Am 15. Dezember sollen die deutschen Herren kommen, um über Preise zu verhandeln und zu unterschreiben. Während die Abeking-Manager in Deutschland vor Gericht gestanden hatten, hatte Lürssen offenkundig, so muß es der gemeinsame Besuch mit Wedemeier signalisiert haben, das stillschweigende Einvernehmen der höchsten staatlichen Ebene der Bundesrepublik.

Yin hatte Frau Tu angedeutet, daß es erpresserische Konflikte in der Militärbehörde gebe, bei denen es um Schmiergelder in Millionenhöhe ging. Wenn sie die Papiere habe, solle sie sofort das Land verlassen.

An jenem Morgen des 9.12.1993, auf dem Weg zu Frau Tu, bekommt Yin in seinem Auto einen Anruf: Ein untergebener Mitarbeiter seines Beschaffungs-Amtes, Alex Kuo, ruft in dringend zurück. Yin dreht um – und taucht erst wieder als toter Mann im Meer auf. Frau Tu wartet an dem Morgen auf den fest verabredeten Offizier. Sie erhält eine telefonische Warnung, sie solle schnell das Hotel wechseln. Am nächsten Tag erfährt sie, wiederum durch den Anruf eines Vertrauten, von dem „Selbstmord“, sie reist überstürzt ab. Bis heute hat sie ihren Fuß nicht mehr auf taiwanesischen Grund gesetzt.

Auch in Bremen taucht sie öffentlich nicht auf. Im Juni 1994 sucht sie eine taiwanesischer Polizeioffizier, der die Ermittlungen im Mordfall Yin leitet. Eigentlich darf ein taiwanesischer Kripomann sich nicht in Deutschland dienstlich bewegen. Er ist rein privat hier.

In Taiwan wurden nach dem Mord zehn Waffenhändler festgenommen, in deren Büros die Polizei höchst vertrauliche Unterlagen des Militärs über die benötigten Waffensysteme finden. Zwanzig Offiziere aus dem Beschaffungsamt wurden bestraft – wegen Korruption. 90 Millionen Mark an Schmiergeldern sollen insgesamt geflossen sein, kommt bei den umfangreichen Untersuchungen heraus. Die Bremer Geschichte, mit der alles anfing, ist dabei nur ein kleiner Fisch. Drei Generäle sind angeklagt, der Marine-Chef trat zurück.

Alex Kuo, der letzte, von dem bekannt ist, daß Yin mit ihm gesprochen hatte, ist eine Woche nach dem Mord verhaftet worden. Er gesteht, Schmiergelder in Höhe von 200.000 Mark angenommen zu haben. Taiwanesische Oppositionspolitiker halten ihn für den Kopf der Korruptions-Struktur im Beschaffungsamt, er soll die Gelder verteilt haben, er soll um die guten Kontakte zu Abeking&Rasmussen gefürchtet haben, wenn Lürssen ins Geschäft kommt. Wegen Korruption u.a. wurde er zu lebenslanger Haft bestraft. Angeklagt wegen Mord wurde niemand. Über das ganze Ausmaß der Korruptionsaffaire im taiwanesischen Beschaffungsamtes deckt die Militärstaaatsanwaltschaft den Mantel des Schweigens.

Der Leiter des Beschaffungsamtes Yin, so ist die taiwanesische Version der Hintergründe des Mordes, wußte, daß er gegen die korrupten Strukturen im eigenen Hause handelte, wenn er die Kontakte zu Lürssen machte. Aber er hatte den Auftrag des Chefs der Marine, es zu tun. Um sich persönlich abzusichern, spielte er mit dem Feuer: er soll umfangreiches belastendes Material über die Korruptionsstrukturen in der Militär-Beschaffung zusammengestellt haben, das wollte er Frau Tu mit nach Bremen geben. Mit der Drohung, daß davon Gebrauch gemacht werden könnte, habe er arbeiten wollen. Die Mörder müssen das gewußt haben und kamen ihm zuvor.

Für Lürsen hat sich die Reise mit Wedemeier dennoch gelohnt: Der 40 Millionen-Auftrag ging, trotz aller Irritationen, an ihn.

K.W.

Eine Kurzfassung des WDR-Beitrages von Rainer Kahrs kommt heute (Dienstag, 1.8.) um 18.30 Uhr im NDR, Forum 4.