: Ein Prohibitionsphänomen Von Kirsten Niemann
Schuld an allem war der 10. April diesen Jahres: der Tag, an dem die Nikotinprohibition über New York verhängt wurde. An jenem Tag wurde ich, eine überzeugte Ab-und-zu-mal-Raucherin, zu einem vorübergehenden Addict. Mehr als hundert Cops wachen täglich über die Einhaltung des Rauchverbots in Restaurants. Wären davon lediglich richtige Restaurants betroffen, hätte mich das kaltgelassen. Doch es ging fortan um alle Kneipen, in denen auch nur Dosensuppe oder Cheeseburger serviert werden. Aus der Morgenkaffeezigarette im Lieblingsdiner wurde also nichts – was bedauerlich war, da ich es bis dahin geschafft hatte, meinem Nikotinkonsum nur außerhalb meiner eigenen vier Wände zu frönen. Ein Zustand, der sich kaum halten ließ, zumal meine Gedanken ausschließlich um den Glimmstengel kreisten. Ein typisches Prohibitionsphänomen.
Also zog ich in die nächste Bar und erwischte ausgerechnet den wohl abtörnendsten Ort der Stadt. Aus der Musikbox röhrte schlechte Rockmusik, und die Luft war noch dick vom Qualm, Alkohol und dem Geruch des Erbrochenen vom Vorabend. Der Kaffee schmeckte so durchgeköchelt, als wäre er ebenfalls ein Relikt der vergangenen Nacht. Am Tresen saßen vier armselige Gestalten, die offensichtlich aus demselben Grund da waren wie ich. Sie saugten an ihren Zigaretten, als wären es die letzten ihres Lebens.
Rauchen ist kommunikativ. Das erkannte ich bei meinem nächsten Nikotinschub, den ich mir in einem Straßencafé genehmigte. Mir wurde der einzige Tisch mit Aschenbecher zugewiesen. Der Kellner setzte fortan alle weiteren potentiellen Gesetzesbrecher zu mir. „Ihr werdet euch schon unterhalten“, war sein Kommentar. Das Thema lag auf der Hand. „Marlboro-T-Shirts haben die beste Qualität“, erklärte mir eine ältere Dame ihre Zigarettenmarkenwahl. Die Firmen hatten nämlich schon im Vorfeld der Prohibition zum Gegenschlag ausgeholt und köderten ihre Kundschaft mit Rabatten. Nach dem Erwerb einiger Päckchen erhält man kleine Geschenke, zum Beispiel ein Marlboro-T-Shirt oder eine Windjacke von Winston. Kettenrauchern winkt sogar ein Billardtisch. Es war herrlich, unter Rauchern zu sein. Aber was tun, wenn es regnet?
Die Antwort stand in der Village Voice: „Where to Smoke and Eat in Manhattan“. Die Redaktion hatte Detektivarbeit geleistet und rund 20 Lokale ausfindig gemacht, bei denen Gesetzeslücken klaffen: So darf weiterhin – zumindest an der Theke – geraucht werden, wenn diese mehr als 15 Fuß vom Eßbereich entfernt liegt. Oder wenn in dem Lokal weniger als 35 Sitzplätze vorhanden sind. Einige Läden können es sich sogar leisten, Raucherzimmer einzurichten, in denen allerdings nichts gegessen werden darf. Unter dem Motto „Jetzt erst recht“ setzte ein Restaurant sogar einen monatlichen „Zigarrenabend“ durch.
Jetzt erst recht – das sagten sich auch all die Suchtlappen der Stadt. Eine deutsche Zeitgeistgazette spürte einen Trend auf. New Yorker Jugendliche qualmen heute mehr denn je. Genau wie ich. Nur bin ich mittlerweile wieder in Berlin und habe ein Problem: Mein vorübergehend recht hoher Tabakkonsum ist geblieben. Hoffentlich wird mir die große Nikotinfreiheit hier bald wieder langweilig!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen