Dem Kriegsrausch verfallen

Die britische Linke und die Reste der Friedensbewegung argumentieren in der Frage einer Militärintervention in Bosnien ratlos bis irrational  ■ Von Michael Randle

Nichts hat je die britische Linke und die Überreste der Friedensbewegung so sehr gespalten wie die Bosnienfrage. Michael Foot, Abgeordneter der Labour Party und ehemalige Führungsfigur im Lager der Pazifisten, vergleicht Bosnien mit dem Spanien der dreißiger Jahre und staucht die britische Regierung als feige Beschwichtiger zusammen.

Tony Benn dagegen, der bekannteste linke Flügelmann des Parlaments, und sein Gefolgsmann Dennis Skinner sind mindestens so entschlossen wie Foot – aber gegen eine Intervention. Beide sehen den Hauptgrund für den Konflikt in der deutschen Anerkennung Kroatiens. Die offizielle Parteilinie bei Labour nähert sich dagegen der vorsichtigen Politik der Konservativen von Premier John Major an, wobei Robin Cook, Außenminister im Schattenkabinett, wiederum eine schärfere interventionistische Linie bevorzugen würde.

Genauso zerstritten wie die parlamentarische ist die außerparlamentarische Linke. Die kleine marxistische Workers Revolutionary Party – aufgrund der großen Anzahl von SchauspielerInnen in ihren Reihen auch als West End Revolutionary Party verspottet – ist für eine militärische Intervention und schickt „Arbeiterhilfe“- Konvois nach Bosnien. Die mit ihr konkurrierende Revolutionary Communist Party – die sich auf eine dünne Schicht von Arbeitern stützt – ist gegen Intervention und hält ohnehin mehr zu Serbien.

Eine Reihe von Friedensbewegten, darunter seit neuestem auch ein früheres Mitglied der Frauenprotestbewegung Greenham Common, organisiert gerade eine Kampagne zur Aufhebung des Waffenembargos gegen die Bosnier und für eine militärische Intervention. Die bekannte Anti- Atom-Aktivistin Mary Kaldor ist inzwischen ebenfalls dem Gedanken einer Militäraktion zur Unterstützung der UN-Soldaten und zur Verteidigung der „Schutzzonen“ ein gutes Stück nähergerückt.

Dagegen wiederum votiert eine andere alte Mitstreiterin der Greenham Common-Bewegung: Helen John. Sie ging ins Gefängnis, weil sie vor dem US-Armeestützpunkt Menwith Hill on Yorkshire gegen die Bombardierung serbischer Stellungen bei Goražde protestiert hatte. Die berühmte Historikerin und Friedenskämpferin Dorothy Thompson ist ebenso gegen eine Intervention wie der frühere Vorsitzende der „Campaign for Nuclear Disarmament“ (CND), Bruce Kent.

Ein Teil der Linken ist voll auf serbischer Linie

Am deprimierendsten bei alledem ist für viele jedoch nicht die – an sich ja absehbare – Spaltung der Linken, sondern die Qualität der Debatte. Eine ganze Reihe von Interventionsgegnern liegen bereits geradewegs auf serbischer Linie – und dies ohne jegliche Berücksichtigung der Rolle, die Serbiens Präsident Milošević bei der Auslösung und beim Vorantreiben des Konflikts und der Greueltaten der Karadžić-Serben spielte und spielt.

Manche Kommentatoren aus der Linken oder der linken Mitte befinden sich schon in einer Art Kriegsrausch, verfallen in oft geradezu kreischende, hysterische Polemik. Maggie O'Kane zum Beispiel versieht ihre Berichte in der Tageszeitung Guardian mit freien Assoziationen zu anderen Reizwörtern der Beschwichtigungspolitik: mit „München“ oder „Neville Chamberlain“ – in Großbritannien die sicherste Methode, Affekte zu provozieren und eine rationale Diskussion zu unterbinden.

Ähnlich wie sie polemisiert Martin Woollacott, auch er ein allseits geschätzter Kommentator des Guardian, gegen die Debatte in den Ländern des Westens über das, was zu tun sei. Woollacott verlangt eine totale militärische Intervention und möchte nicht nur sämtliche Gebiete, die die Serben in Bosnien halten, wiedererobern, sondern gleich noch die in Kroatien dazu, um schließlich Milošević in Serbien auch noch zu überwältigen. Kein Gedanke mehr daran, daß die Mehrheit der bosnischen Serben 1992 in einem Referendum einen unabhängigen bosnischen Staat gewünscht hatte. Der irrationale Lauf, den die Diskussion genommen hat, scheint kaum mehr zu korrigieren.

Der Autor war in den Fünfzigern Mitbegründer der ersten englischen Friedensbewegung