Flächentarif schützt vor der Konkurrenz

■ Das Unternehmerlager streitet über Haustarifverträge. IBM spart damit viel Geld. Aber Flächenverträge haben auch für die Arbeitgeber ihr Gutes.

Berlin (taz) – Als Gesamtmetall-Präsident Gottschol jüngst mit „Selbstauflösung“ seines Verbandes drohte, war der Höhepunkt des Streites erreicht: Am Flächentarifvertrag muß sich was ändern, sonst droht auch bei den UnternehmerInnen eine Spaltung. Die flächendeckenden Tarifverträge sind in Verruf geraten, nachdem der letzte Abschluß in der Metallbranche den ArbeitgeberInnen einen Kostenboom bescherte. Mit großer Aufmerksamkeit wird deshalb die Entwicklung beim IBM-Konzern Deutschland verfolgt, der 1992 aus dem Metallarbeitgeberverband ausschied, um eigene Haustarifverträge abzuschließen.

IBM hatte in Deutschland zahlreiche Tochtergesellschaften gegründet, um der „Nachwirkung“ der bestehenden Tarifverträge zu entgehen. An die Stelle der in der Metallbranche geltenden Vereinbarungen traten Firmentarifverträge mit der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG). Nur die IBM Produktions GmbH, in der 3.650 von rund 18.000 deutschen IBM-Mitarbeitern beschäftigt sind, kehrte in den Arbeitgeberverband zurück. „Aus taktischen Gründen“, wie IBM-Personalchef Hans-Werner Richter einräumte, denn in der Hardware- Herstellung, die heute nur noch ein Drittel des IBM-Umsatzes erbringt, ist die IG Metall noch relativ stark. Richter verbucht den „Coup“ als Erfolg. Allein bei der IBM-Informationssysteme GmbH, mit 8.300 Mitarbeitern die größte der Töchter, bringe der neue Haustarifvertrag jährlich rund 50 bis 60 Millionen Mark Einsparung gegenüber dem Metall- Flächentarifvertrag. Statt ab dem Herbst zur 35-Stunden-Woche überzugehen, gilt bei IBM nun eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden. Mehrarbeitszuschläge gibt es erst ab einer Wochenarbeitszeit von mehr als 41 Stunden, alles andere muß in Form von Freizeit ausgeglichen werden.

Die DAG verweist auf Verbesserungen gegenüber dem Metalltarifvertrag: besondere Garantien beim Kündigungsschutz, eine verlängerte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Absicherung von gewerkschaftlichen Vertrauensleuten. Die IG Metall dagegen lehnt den Haustarifvertrag als „Billigtarif“ ab.

Dennoch wurde der DAG-Firmentarifvertrag per Betriebsvereinbarung für alle IBM-Beschäftigten, also auch die IG-Metall- Mitglieder, übernommen. Hiergegen klagten umgehend die Stuttgarter IGM-Bezirksverwaltung und 46 IGM-Mitglieder. Bisher sind rund ein Drittel der Prozesse entschieden, fast immer siegte die Gewerkschaftsseite. Die stolz präsentierten Erfolge der IG Metall können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich nur noch um einen Nebenkriegsschauplatz handelt, der DAG- Firmentarifvertrag selbst steht nicht mehr zur Disposition.

Grundsätzlicher ist die Kritik am IBM- Modell in Teilen des Unternehmerlagers. Metall-Arbeitgeber befürchten, daß die Preisgabe des Flächentarifvertrages die Firmen empfindlich schwächen könnte. Schließen die Unternehmen zumeist Haustarifverträge ab, könnte die IG Metall dafür sorgen, daß diese zu unterschiedlichen Zeiten auslaufen – um dann nach und nach in den einzelnen Firmen für bessere Bedingungen zu streiken. Jeder Streik träfe das jeweilige Unternehmen isoliert, während die Konkurrenz ungestört weiterproduzieren könnte. Der Zwang, „klein beizugeben“, wäre dann am Ende vielleicht sogar größer als in den bisherigen Flächenauseinandersetzungen.

Viele sehen die Rettung des Flächentarifvertrags daher in einer Flexibilisierung der Tarifverträge. Es geht dabei nicht mehr nur um Öffnungsklauseln für wirtschaftlich gefährdete Betriebe. Gesamtmetall schlägt eine Tarifpyramide vor. Die tarifliche „Grundversorgung“ soll in Form von Mindestbedingungen für alle Betriebe und Beschäftigten gelten. Dazu kämen Rahmenwerte, innerhalb deren Unternehmensleitung und Betriebsrat in Zusammenarbeit eigenständige Lösungen auswählen oder erarbeiten können. An der Pyramidenspitze sollen bloße Empfehlungen der Tarifparteien stehen, mit denen insbesondere tarifpolitisches Neuland betreten werden könnte.

Die Gewerkschaften zeigen sich in Fragen der Flexibilisierung inzwischen entgegenkommender als früher. Kein Wunder, denn eine Atomisierung des Arbeitgeberlagers bedeutet auch für sie ein großes Risiko. Außerdem wissen sie, daß der Flächentarifvertrag ohnehin in vielen Betrieben mißachtet wird – mit Einverständnis der jeweiligen Betriebsräte. Was aber Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gleichermaßen ärgert: Die in vielen Tarifkontrakten bereits enthaltenen Flexibilisierungsmöglichkeiten werden von den Unternehmen oft gar nicht genutzt. Christian Rath