„Boykotteure sind Wichtigtuer!“

■ Wolfram Siebeck, Deutschlands Magenhüter Nummer 1, über die geplanten französischen Atomtests und Champagnerboykotteure

taz: Bonjour, Herr Siebeck. Für den taz-Leser Hürlimann ist die Sache klar: Wegen der Atomtests muß man Frankreich dort treffen, wo's weh tut – „Es hat sich ausgebitzelt, kein Champagner mehr!!“

Das halte ich für schwachsinnig, absoluten Schwachsinn. Kein Champagner mehr, keinen Käse mehr, ich bitte Sie! Wer sagt denn diesem Herrn Hürlimann, ob dieser Käsehersteller nicht genauso sauer ist auf die Atomversuche? Warum muß man die Produzenten treffen? Den Staat muß man unter Druck setzen, und zwar politisch. Boykott macht doch nur böses Blut.

Champagnerhersteller sind keine Hobbywinzer, sondern große Konzerne.

Und da will Ihr Hürlimann nun ausgerechnet mal keinen Champagner trinken? Das ist ja ein tolles Opfer! Dann trinkt er Asti Spumante, oder was er sonst schon immer getrunken hat? Das ist alles wieder so kleinlich, diese ganzen deutschen Biertischstrategen – und dann finden sie sich auch noch heroisch! Ich finde das alles Humbug. Was hat Joschka Fischer gesagt: Die Chiracs kommen und gehen, der St. Emilion aber bleibt.

Ihrer Polemik zum Trotz: Auch Hellmuth Karasek, der schon verdammt nach „Grande bouffe“ aussieht, hat im neuen Kultur- Spiegel die Parole ausgegeben: „In dubio Prosecco“.

Haha, ja, das ist ein schöner Kalauer, gefällt mir: In dubio Prosecco. Ich nehme an, er trinkt sowieso ungern Champagner. Vielleicht wäre er vorsichtiger, wenn man ihm seinen Bordeaux streichen würde? Da ist doch auch unheimlich viel Wichtigtuerei dabei – nicht nur beim Karasek. Ach, und man fühlt sich ja so heldisch! Das waren ja wohl irgendwelche obskuren Wirte in Hamburg, die boykottierten; so Typen auf Sylt, die ja ohnehin nur italienische Sachen verkaufen. Das ist alles nur Quatsch.

Tatsächlich? Vielleicht entspringt Ihre heftige Boykott-Ablehnung einer wohlbegründeten Angst: Jetzt rächt sich, daß Sie sich 35 Jahre nur in französischen Küchen rumgetrieben haben. Sie können gar nicht mit Mozzarella und Saltimboca hantieren.

Um Gotteswillen! Nein, das hat damit nichts zu tun. Wir haben aber nun mal mit den Franzosen ein freundschaftliches Verhältnis, und die Deutschen sind hier in Frankreich ganz zweifellos gut angesehen. Und wenn man das wegen der Rechthaberei von Stammtischstrategen aufs Spiel setzt ... Die Sache wird hier zum Glück in den Medien sehr heruntergespielt. Und auch die Intellektuellen schweigen darüber oder geben lahme Statements ab – die haben einen patriotischen Stolz.

Und was für einen. Der Philosoph André Glucksmann hat gelernt, die Bombe zu lieben.

Ja, ja, der Glucksmann. Und was ist mit Cousteau? Das ist einer der populärsten Franzosen überhaupt, der schwimmt seit Jahrzehnten unter Wasser rum und schreit: Rettet den Ozean! Und jetzt ist kein Wort von ihm zu vernehmen. Ich nehme an, Renault sponsert ihm sein U-Boot.

Ihre eigene Haltung verblüfft dennoch: Noch bevor Grün und Müsli Mode wurden, haben Sie in Ihren Kolumnen und Büchern die Zerstörung des Natürlichen vehement angeprangert.

Ja, Boykott gegenüber diesen Hühnerbatterien und Wassertomaten. Der ist einfach notwendig für Menschen, die qualitätvoll essen wollen.

Erklärt sich Ihre buddhistische Gelassenheit radioaktiver Strahlung gegenüber auch so: Sie wohnen in Nachbarschaft zu einem Atomkraftwerk, ein Trumm mit einem 100 Meter hohen Kühlturm.

Klar, an der Rhone steht nun mal alle 40 Kilometer ein Atomkraftwerk.

Das beeindruckt Sie nicht?

Nö.

Auf dem Kühlturm ist in voller Höhe ein unbekümmert spielendes Kind gemalt.

Unglaublich. Ich sage immer: Dieses Kind haben sie von Tschernobyl hierher zur Erholung geschickt. Das ist wirklich eine unglaubliche Art von Zynismus. Keiner regt sich hier darüber auf: Die Franzosen haben ein vollkommen anderes Verhältnis zur Atomkraft, außerdem sind sie technologiegläubig bis dort hinaus.

Deshalb: Wenn's für Sie dumm kommt, werden die Atomtests nach Frankreich verlegt, nicht weit weg von Ihnen: Dann bummst es in der Auvergne – und in Ihrem Garten wackeln die Bohnenstangen.

Ja, das kann schon sein. Die Franzosen lassen sich von niemandem reinreden, schon gar nicht von deutschen Champagnerboykotteuren. Es sei denn, es gingen mal wieder die Studenten auf die Straße, aber es sind Ferien im Moment, und da passiert gar nichts.

Wann würden Sie denn zum für Sie Äußersten greifen und sagen: Mir kommt kein Bresse-Huhn mehr in den Topf?! Ca suffit maintenant!

Niemals, überhaupt nicht! Was haben denn die Hühnerzüchter mit Herrn Chirac zu tun? Deswegen werde ich doch nicht plötzlich diese armen Hühner leben lassen. Interview: Luik/Thomma