Kurden trauern, Polizisten lauern

■ Demonstration für im Hungerstreik Verstorbene / Verfassungsschutz: Will PKK bald Waffen einsetzen?

Berlin/Hannover (taz) – Zwischen Hysterie und Deeskalation pendelte gestern in Berlin die Stimmung vor dem Trauermarsch für die beim Hungerstreik gestorbene Kurdin Gülnaz Baghistani. Für die bislang größte Kurden-Demonstration der Hauptstadt rechnen die Veranstalter heute mit bis zu 40.000 TeilnehmerInnen.

Die Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John (CDU), die in den letzten Tagen zwischen den Hungerstreikenden und der Polizei vermittelte, sprach von der Bereitschaft beider Seiten, sich „zurückzuhalten“. Man versuche, eine „Berliner Linie zu schaffen“. Dazu zähle sie die Bereitschaft aller Beteiligten, sich „nicht leichtfertig auf Provokationen einzulassen“. Angeheizt wurde die Situation durch Darstellungen im Boulevardblatt B.Z. Dies zitierte einen Sprecher des Innensenats, daß „nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamts kurdische Präzisionsschützen bei der Demonstration gezielt auf Beamte schießen wollen“. Ein Sprecher des Berliner Hungerstreikkomitees widersprach der Darstellung: „Wir wollen, daß der Trauermarsch einen friedlichen Verlauf nimmt.“ Allerdings rechne er „mit einem brutalen Eingreifen der Polizei“.

Wie die Beamten bei dem Marsch auf Symbole der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK reagieren werden, war bis zum Abend unklar. Die Ausländerbeauftragte John erklärte, auf dem Trauermarsch werde mit Sicherheit auch „eine entsprechende Symbolik eine Rolle spielen“. Darüber werde sich „niemand aufregen, das weiß auch die Polizei“.

Unterdessen warnte der Sprecher des niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Rüdiger Hesse, gestern vor Anschlägen der PKK auf Einrichtungen der Polizei. In PKK-Kreisen werde intensiv darüber diskutiert, ob man gegen deutsche Polizisten auch Schußwaffen einsetzen solle, sagte der Geheimdienstsprecher. Die anderen Verfassungsschutzämter und die Polizei hat der niedersächsische Geheimdienst bereits zum Wochenende vor einer Eskalation der Auseinandersetzungen mit der PKK gewarnt.

Die Anschlagserie auf türkische Einrichtungen werde vermutlich fortgesetzt, meinte Hesse. Auch in der Nacht zum Montag kam es in Bochum und Bremen zu Brandanschlägen gegen türkische Reisebüros. Ursprünglich, so Hesse, habe die PKK nur bis Ende Juli Anschläge geplant. Nach dem Tod der hungerstreikenden Kurdin und der Auflösung der PKK- Mahnwache in Franfurt habe die Organisation diese Planung jedoch geändert. Über den Einsatz von Schußwaffen sei innerhalb der PKK bereits in der Vergangenheit diskutiert worden. Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse werde die Diskussion intensiv wiederaufgenommen. Konkret gehe es darum, zur Schußwaffe zu greifen, falls die Polizei Aktionen oder Demonstrationen auflöse.

Bundesinnenminister Manfred Kanther forderte gestern eine rasche Abschiebung ausländischer Gewalttäter. Mit Blick auf die jüngsten Anschläge verlangte er von den Bundesländern, das Ausländerrecht strikt anzuwenden. „Eine zögerliche oder verweigernde Haltung“ könne „eine Sogwirkung entfalten.“ Severin Weiland/Jürgen Voges

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