Angst vor den Halbgöttern in Weiß

■ Drei Jahre nach ihrem Amtsantritt ist bei HUB-Präsidentin Marlis Dürkop der Reformeifer erloschen. Statt dessen kämpft sie gegen die Macht der Mediziner in den Gremien der Universität und übt sich in büro

Gegen das Kuckucksei, das Wissenschaftssenator und Abgeordnetenhaus ihr ins Nest gelegt hatten, war jeder Widerstand zwecklos. Den Wechsel des Universitätsklinikums Rudolf Virchow (UKRV) von der Freien an die Humboldt-Universität (HUB) konnte Marlis Dürkop nicht verhindern. Doch als das Kind in den Brunnen gefallen war, entfaltete die HUB-Präsidentin ungeahnte Aktivitäten. Für die nächsten Gremienwahlen sollte die Uni in Wahlkreise zerlegt und so eine „Überfremdung“ durch die Mediziner verhindert werden. Wie vorauszusehen, verweigerte Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) die Bestätigung der neuen Wahlordnung, weil „das Verfassungs- und Gesetzesgebot der Gleichheit der Wahl gröblich verletzt worden wäre“. Erhardt verpflichtete die HUB, die nach dem Gesetz über die Neustrukturierung der Hochschulmedizin (UniMedG) anstehenden Wahlen mit der alten Regelung ohne Wahlkreise durchzuführen. Die Angst vor den weißen Halbgöttern trieb Dürkop vor Gericht, wo sie in zwei Instanzen gegen den Senator unterlag. Die Reformhoffnungen, die sich mit ihrer Wahl als Nachfolgerin des an der Selbsterneuerung gescheiterten Heinrich Fink im Sommer 1992 verbunden hatten, sind im bürokratischen Kleinkrieg erstickt.

Nach der Niederlage vor Gericht ersann die Präsidentin einen neuen Schachzug, der mit den juristischen Spielregeln kaum in Einklang zu bringen war. Wenn schon ein neuer, weißbekittelter Senat nicht zu verhindern war, sollte wenigstens das alten Gremium auch nach der Neuwahl die wichtigste Entscheidung treffen, die derzeit auf der Tagesordnung steht – die uni-interne Verteilung der vom Abgeordnetenhaus verordneten Sparsumme von 20 Millionen Mark. Der alte Senat sei „eingearbeitet“ und für eine Entscheidung im „nichtmedizinischen Bereich“ kompetenter als das neue Gremium mit der erwarteten Medizinerdominanz, lautete die zweifelhafte Begründung, der nicht einmal die SenatorInnen selbst folgen mochten. Sie beschlossen, den unerfreulichen Sparbeschluß ihren Nachfolgern zu überlassen.

Als die Humboldtianer am 3. und 4. Juli tatsächlich zu den Urnen gingen, zeigte das Ergebnis von der befürchteten „Überfremdung“ keine Spur. Nur sieben von 25 akademischen SenatorInnen entstammen den beiden Klinika. Dürkop aber sieht sich dadurch nicht widerlegt. Das Resultat sei nur auf die geringe Wahlbeteiligung zurückzuführen, „langfristig ist das Wahlkreismodell richtig“.

Ein guter Start für die Beziehungen zwischen Medizinern und Uni-Leitung war das Gezerre um die Wahlordnung nicht. Prompt einigten sich UKRV und Charité untereinander über die Umsetzung der Einsparungen in der Hochschulmedizin. Dürkop erfuhr davon erst aus der Presse, wie sie sich vor dem Wissenschaftsausschuß des Abgeordnetenhauses beklagte. Das UKRV, früher vergleichweise unabhängig, habe noch einen „Lernprozeß“ in Sachen Akademischer Selbstverwaltung vor sich.

Das Engagement, das die Präsidentin im Kampf gegen die Mediziner zeigte, haben ihre Kritiker in der Auseinandersetzung um die Einsparungen vermißt. Das von der Uni-Spitze propagierte „Proporzsparen“ an allen Fachbereichen bezeichnete Horst Bredekamp, Dekan der Kunst- und Kulturwissenschaften, als „unwürdig“. Statt dessen habe die HUB von Anfang an entweder „brutale Strukturentscheidungen“ zur Einstellung ganzer Fächer treffen oder den „massivsten möglichen Protest“ anmelden müssen. Die Dürkop-Linie vermittle den Finanzpolitikern den Eindruck, eigentlich sei an der HUB Sparpotential vorhanden, meint auch Studierendenvertreter Ronald Höhner. An einer Rücktrittsdrohung freilich hatte Dürkop es nicht fehlen lassen: Im Januar noch stellten die vier Berliner Uni-PräsidentInnen ihre kollektive Demission in Aussicht.

Als Erhardt seine „Giftliste“ im Februar vorlegte, war davon keine Rede mehr. Weil die HUB den Löwenanteil der Sparsumme aufbringen sollte, atmeten die anderen Unis erleichtert auf. Aber auch Dürkops Vorschläge einer Umverteilung auf die anderen Hochschulen erleichterten ein gemeinsames Handeln nicht. Die überproportionale Ausstattung der West-Berliner Hochschulen gelte es nun „ebenfalls abzubauen“, auch die FU müsse sich „den von der HUB gesetzten Maßstäben von Erneuerung und Bewertung stellen“, schrieb sie an FU-Präsident Johann W. Gerlach. Den Vorwurf, damit nicht weniger als Gerlach zur Ost-West-Konfrontation beigetragen zu haben, mag sie aber nicht auf sich sitzen lassen. Eigentlich habe sie nur vorgeschlagen, die Sparentscheidung „im Zusammenhang mit der Fusion Berlin- Brandenburg um fünf Jahre zu verschieben. Daraus hat man dann gleich gemacht, ich will, daß das die anderen Universitäten erbringen.“ Daß die HUB sieben Millionen Mark weniger einsparen muß als geplant, sieht sie als Erfolg ihrer Lobbyarbeit im Abgeordnetenhaus. Immerhin sind es noch neun Millionen Mark mehr, als die HUB selbst hergeben wollte.

Die Konfliktfreudigkeit der einstigen AL-Abgeordneten scheint ohnehin rapide abgenommen zu haben. Dem im Frühjahr an der Humboldt-Uni geplanten Autonomie-Kongreß verweigert sie die Räume. Die „selbstorganisierte Großveranstaltung im Zentrum der Stadt“ könne zu „einer weiteren Belastung“ führen, so Dürkops Begründung. Offenbar versprach sie sich von dem Akt vorauseilenden Gehorsams gegenüber dem Berliner Senat einen Positionsvorteil beim Ringen um die Einsparungen. Die Autonomen tagten schließlich in der Technischen Universität.

Als Akt des hinhaltenden Widerstands will sie dagegen die Irritationen um die Prüfungsberatung verstanden wissen. Die Studienabteilung verschickte bereits vor einigen Monaten die entsprechende Aufforderung für die Rückmeldung zum Wintersemester, doch sind die nötigen Satzungsänderungen noch immer nicht rechtskräftig. Der Dekan der Juristischen Fakultät riet seinen Studierenden gar, die „Zwangsberatung“ schlicht zu ignorieren. „Unsere Bürokratie ist noch nicht perfekt“, gibt sich Dürkop unbeeindruckt, „manchmal hat das auch Vorteile.“

Diese Haltung wurde ihr auch bei der „Kündigungsaffäre“ im vergangenen Jahr zum Vorwurf gemacht. Wegen Überlastung hatte es die Personalabteilung versäumt, 178 wissenschaftliche Mitarbeiter noch zum Jahresende 1993 nach den erleichterten Regeln des Einigungsvertrags zu entlassen. Einzige Konsequenz waren um maximal drei Monate längere Kündigungsfristen; bereits im März 1994 waren alle noch ausstehenden Entlassungen bearbeitet. Dennoch nahm sich sogar die hochschulpolitisch sonst desinteressierte Boulevardpresse des Themas an und sah in der Verwaltung alte Seilschaften am Werk.

Solche Verdächtigungen gedeihen freilich auch deshalb, weil es an der HUB nie zu einer offenen Diskussion um die eigene Vergangenheit kam. Die Entsorgung der Vergangenheit in Form von bislang 73 Kündigungen blieb dem Ehrenausschuß des Akademischen Senats überlassen, wo sie aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes hinter verschlossenen Türen stattfand. Öffentliches Aufsehen erregte nur der Selbstmord des Charité-Mitarbeiters Rudolf Mucke, dessen Entlassung der Ehrenausschuß empfohlen hatte. Mucke hatte sich in den siebziger Jahren mehrfach mit Stasi-Leuten getroffen, sich der Zusammenarbeit aber durch Selbstenttarnung entzogen. Hätte er eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt, wäre die Entscheidung wahrscheinlich korrigiert worden, weist die Präsidentin die Kritik an der Ausschußarbeit zurück. Weniger spektakulär war der Fall eines Juraprofessors, der im vergangenen Jahr gehen mußte. Auf einer spontan organisierten Diskussion verweigerte die Uni-Leitung den Studierenden jede inhaltliche Begründung für das plötzliche Verschwinden ihres Dozenten.

Bei den Professoren ging die Erneuerung schneller voran als in Mittelbau und Verwaltung. Von den insgesamt 480 Hochschullehrerstellen sind bereits 400 besetzt. Wenn auch von der ursprünglichen Idee des Wissenschaftssenators, die HUB zur Elite-Uni auszubauen, keine Rede mehr ist, sind unter den bisherigen Berufungen viele prominente Namen. Trotz teilweise noch unzureichender Ausstattung bei zunehmenden Sparzwängen erscheint die Hauptstadt-Uni offensichtlich noch attraktiv. Während bei Naturwissenschaftlern und Medizinern die Althumboldtianer überwiegen, sind sie in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften eine verschwindende Minderheit. Von der Idee, beim Aufbau im Osten die Fehler des westdeutschen Hochschulsystems zu vermeiden, blieb allerdings nichts übrig. Mit wachsenden Studierendenzahlen wird die HUB auch den größten Vorteil der Ost-Unis, den engeren Kontakt von Lehrenden und Lernenden, bald verlieren. An Reformideen fallen Dürkop nur noch Studienbüros oder eine flächendeckende Lehrevaluation ein – Vorschläge, die selbst an den vermeintlich trägen West-Unis längst umgesetzt werden.

Doch als Konzept für eine Universität wollen vor allem die Studierenden die bürokratische Verschleppungstaktik der ansonsten lustlos agierenden Präsidentin nicht gelten lassen. Die Studierendenzeitung meinte gar, angesichts ihrer Konzeptionslosigkeit sei „die HUB gut beraten, sich von ihrer Präsidentin schnellstens zu trennen“. Daraufhin wandte sich Dürkop an deren Geldgeber, den ReferentInnenrat (AStA), und warnte vor einer „Personalisierung komplexer Vorgänge“. Sie wünsche sich „etwas mehr Humor“. Ralph Bollmann