■ Es fehlt was zwischen „Kondolenz“ & „Kondor“
: Lexikondom

Die Hochzeitsgesellschaft feierte leicht enthemmt mehrere Tage auf einem romantischen Landsitz in der Toskana. Bereits nach dem dritten Tanz verstanden sich die beiden Trauzeugen auch ohne Worte und verschwanden von der Bildfläche. Als jedoch das allzeit bereite Notkondom aus dem Portemonnaie seinen Zweck erfüllt hatte, mußte für Nachschub gesorgt werden.

Am folgenden Tag beim Ausflug nach Pisa bot sich die Gelegenheit. Direkt um die Ecke vom schiefen Turm befindet sich eine Apotheke. Hier empfängt die Kundin statt antiseptischer Resopalregale ein leerer Saal mit Marmorfußboden und dunkelbraun getäfelten Wänden. Das Ambiente: eine Mischung aus Bahnhof und Beichtstuhl. Nur an einer Seite stand ein kleines Gitterfenster offen. Heraus blickte dann aber doch eine herkömmliche Apothekerin.

Endlich an der Reihe, verlangte ich, des Italienischen nicht mächtig, auf Englisch eine Packung Kondome. Ihre Gesichtszüge signalisierten jedoch völliges Unverständnis. „Condoms“ wiederholte ich jetzt etwas lauter. Auf erklärende Umschreibungen oder eindeutige Gesten verzichtete ich lieber – hinter mir warteten ohne Sicherheitsabstand vier einheimische jüngere Herren. Da hatte die Apothekerin plötzlich eine glänzende Idee und drückte mir ein Wörterbuch in die Hand. Ich war erleichtert, doch kurz darauf mußte ich fassungslos feststellen, daß die zwei so überlebenswichtigen Begriffe fehlten: zwischen „Präsenz“ und „Präsident“ das „Präservativ“ und zwischen „Kondolenz“ und „Kondor“ das „Kondom“. Ich zuckte hilflos mit den Achseln. Die Apothekerin gab mir schließlich Stift und Papier. Nach den ersten Strichen und dem Feixen der zu Gigolos mutierten Italiener verstand sie endlich und reichte mir sechs „profilattici lubrificati“.

Wieder zu Hause bot sich die Gelegenheit, bei einem ausgiebigen Gelage in einem weitgereisten Mehrpersonenhaushalt die Anekdote zum Besten zu geben. Die Reaktion war allgemeines Erstaunen darüber, daß im Aids- und Urlaubs-Zeitalter die Begriffe Kondom und Präservativ im italienisch-deutschen Wörterbuch nicht aufgelistet waren. Hatte der Papst die Finger im Spiel? Forschergeist war geweckt und wenig später stapelten sich in der Tischmitte über 20 Wörterbücher von Portugiesisch-Deutsch über Arabisch- Deutsch bis zu Bengali-Deutsch.

Eine Stunde lang fledderten wir gemeinsam die Lexika durch und zogen Bilanz. Das weltweit geläufige Verhütungsmittel war in den meisten Ausgaben aus den achtziger Jahren nicht aufgeführt. Es fehlte in Pidgin und Kisuaheli zwischen „kommen“ und „Kopf“ oder „Postamt“ und „Preis“. In Bengali zwischen „kommend“ und „Kopfkissen“, in Indonesisch zwischen „kondolieren“ und „König“. Auch im Arabischen, im Laotischen, Dänischen und Swahili sind Kondom und Präservativ unbekannte Größen.

Nachdem die handelsüblichen Wörterbücher so kläglich versagt hatten, zogen wir hoffnungsvoll die umfangreicheren Sprachführer zu Rate. Hier gaben jedoch schon die Rubriken Rätsel auf. Unter welchem Stichwort sollten wir nachschlagen? „Körperteile und Krankheiten“, „Toilettenartikel“, „Bekanntschaft und Besuch“ oder etwa „Verkehr“? Überall Fehlanzeige. Der Satz „Ich hätte gerne eine Packung Kondome“ existierte nicht. Weder in der zur Verfügung stehenden französischen oder arabischen noch der neugriechischen Ausgabe.

Der Vollständigkeit halber blätterte ich mich am folgenden Tag in der nächsten Buchhandlung durch die vier gängigen europäischen Sprachen. Entwarnung gab es aber nur teilweise: In den neuesten erhältlichen Wörterbüchern wird im Englischen, Französischen und Spanischen das Kondom und das Präservativ aufgeführt. Aber wer kauft sich schon vor jedem Urlaub ein neues Wörterbuch? Nützt auch kaum was, denn im Italienischen kommt das Verhütungsmittel auch Anfang der neunziger Jahre nicht vor. Ist vielleicht auch besser so. Hat doch die Stiftung Warentest in ihrem letzten länderübergreifenden Kondomtest herausgefunden, die italienischen seien die Schlechtesten. Und für alle, die es trotzdem drauf ankommen lassen wollen, gibt die Studie noch einen heißen Tip: Kondome heißen im alltäglichen italienischen Sprachgebrauch „guanti“ (Handschuhe). Ragna Reissert