Porträts ohne Krähenfüße

Messerscharfe Porträtfotos betrachten den Betrachter: Eine Retrospektive in Düsseldorf dokumentiert den Werdegang des fast vergessenen Fotografen und Bauhaus-Schülers Otto Maximilian Umbehr, kurz Umbo genannt  ■ Von Katja Pelzer

„Jedes noch so häßliche Gesicht hat schöne Einzelheiten. Schöne Augen zum Beispiel oder eine edelgeformte Stirn. Nun also: fotografieren wir nur diese.“ Simpel und einleuchtend war die Formel des Fotografen Otto Maximilian Umbehr, kurz Umbo. „Fotografiere in Raten“, heißt denn auch sein in einer Schlagzeile der Berliner Zeitschrift Die Grüne Post vom 19. Juni 1927 verborgener Tip. Kurzerhand verdeckt er auf einem berühmten Porträt Krähenfüße und tiefe Tränensäcke mit einer schwarzen Halbmaske. Die dunklen Augen der in den 20er Jahren verehrten Schauspielerin Ruth Landshoff jedoch blitzen übermütig durch die Schlitze. Und auch „das jugendliche Kinn, die wohlerhaltenen Zähne und die vollen Lippen“ bleiben sichtbar. Das ungewöhnlich reduzierte Porträt „Ruth mit Maske“ ist neben 186 weiteren Arbeiten Umbos in der Retrospektive „Vom Bauhaus bis zum Bildjournalismus“ im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen am Grabbeplatz in Düsseldorf zu sehen.

Trotz seiner exakten Porträts, Stadtlandschaften und Fotoreportagen mußte sich der Künstler-Fotograf im Laufe seiner Vita am Rande des finanziellen Abgrundes entlanghangeln. Der Grund war jedoch eher mangelnder ökonomischer Sachverstand, mit seiner Arbeit jedenfalls erzielte er bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren unumstrittene Anerkennung.

Schon 1920 steht für den kaum 18jährigen Otto Umbehr fest, daß er Künstler werden will. 1921 bewirbt er sich am Bauhaus in Weimar und wird angenommen. Den Einführungskurs besucht er bei Johannes Itten, den der Schüler tief bewundert: „Ich verdanke dem Bauhaus, vor allem meinem Lehrer Itten, alles. Meine Fotografie ist unmöglich ohne den Unterricht von Itten.“ Vor allem die Kontrastlehre des Bauhauslehrers ist aus seinen Arbeiten nicht wegzudenken – Schwarz und Weiß, Hell und Dunkel als zentrale Kontrastpole. Und diese extremen Gegensätze anstelle von grauen Übergangswerten kehren in Umbos zeichnerisch-poetischen Aufnahmen immer wieder. 1922 wird Umbehr vom Meisterrat aus der Schülerliste des Bauhauses gestrichen. Begründung – „Bummelei“, es hatte zu viele Ermahnungen gegeben.

Von nun an verdingt er sich als Grafiker, ab 1925 als Laufbursche bei Filmregisseur Kurt Bernhardt und in der Trickwerkstatt Walter Ruttmanns. Aus dieser Zeit stammt die Fotomontage „Der Rasende Reporter“, Metapher des von Technik und Maschine gehetzten modernen Menschen. Als der eigenwillige Künstler 1926 endgültig die Fotografie als Medium entdeckt, ist er zu Besuch bei seinem Bauhaus-Freund Paul Citroän. Mit einer 13-mal-18-Zentimeter-Reisekamera entstehen fast filmisch wirkende Großaufnahmen von Köpfen, Gesichtsausschnitte mit dem Schwerpunkt Augen, Nase, Mund. Außerdem hebt er den Blick des Aufgenommenen so stark hervor, daß dieser den Betrachter zu betrachten scheint. Umbehrs bevorzugtes Modell wird die mondäne Schauspielerin Ruth Landshoff.

Ende der Zwanziger streift Umbehr als Flaneur durch die Straßen, lichtet Großstadtimpressionen ab. Der Blick auf Salzburg von einem kleinen Hügel verwandelt die Stadt in eine expressive Landschaft. Ein Häusergebirge erhebt sich wie dunkle Felsen, von hellen Flüssen aus Autolichtern umströmt. Als ehemaliger Wandervogel will Umbo die Begeisterung von Moholy-Nagy und Gropius für den unaufhaltsamen Fortschritt der Technik nicht teilen. Wie bei seinem Vorbild Itten steht das Emotionale im Mittelpunkt seiner künstlerischen Arbeit. Für den romantischen Fotografen wird durch die Kamera selbst die Stadt zu einem Stück Natur umgewertet.

1928 versucht er sich erstmals als Pressefotograf. Gemeinsam mit dem Kaffehausliteraten Simon Guttmann gründet er die „Deutsche Photo-Agentur“, kurz Dephot. Daraus mausert sich eine Kooperative freischaffender Fotografen wie Felix H. Man, Kurt Hübschmann, Harald Lechenperg, Walter Bosshard und André Friedmann, bekannter unter dem Namen Robert Capa. Mit einer 1929 in der Kölnischen Illustrierten erschienenen Fotoreportage über die Verwandlung des Schweizers Adrian Wettach in den beliebten Clown „Grock“ prägt Umbo den modernen Bildjournalismus ebenso wie mit dem Bildbericht über das „Leben“ der Schaufensterpuppen. Die Fotoserien versuchen Geschichten zu erzählen, und nicht wie viele Pressefotografen, sensationelle Schnappschüsse zu liefern. Während der NS-Zeit verlagert er seine Foto-Experimente vorsichtshalber in die Naturwissenschaft. So nimmt er für einen Berliner Chemiker die verblüffende Formenwelt auf, die sich aus der Kristallisierung von Salzen ergibt. Am 24. August 1943 wird Umbos Atelier in Berlin bei einem Bombenangriff komplett zerstört, und damit um die 60.000 Negative und alle Positive. Sein in zwanzig Jahren Arbeit entstandenes Werk löst sich praktisch in nichts auf.

In den Siebzigern muß sich der inzwischen auf dem linken Auge erblindete, völlig mittellose Foto- Poet mit Gelegenheitsarbeiten als Bote und Packer durchschlagen. Erst als 1975 die Fotografie allmählich von Kunsthistorikern als künstlerische Ausdrucksform entdeckt wird, erfährt auch Umbehrs Werk eine Renaissance. 1980 stirbt er in Hannover.

Bis 10.9., im Kunstverein, Düsseldorf.