Criminal Justice Aid

Linkspop gegen Rechtspopulismus: Der Criminal Justice Act, restriktives Gesetzesbündel zur Einschränkung von Versammlungs- und Reisefreiheit, bringt Britanniens fortschrittlich gesonnene Musikkräfte zusammen  ■ Von Ralf Sotscheck

Als er sein „Law-and-order-Paket“ 1993 auf dem Tory-Parteitag vorgelegt hatte, schrie Innenminister Michael Howard vom rechten Tory-Flügel unter tosendem Beifall: „Wir müssen der Polizei die Handschellen abnehmen und sie statt dessen den Kriminellen anlegen.“ Im vergangenen Jahr wurde er dann vom britischen Unterhaus verabschiedet: der Criminal Justice Act, ein Gesetzesbündel, das unter dem Vorwand, „Kriminelle“ zu bekämpfen, dem Rechtspopulismus eine juristische Plattform schafft.

Das Paket umfaßt 27 Punkte, darunter die Abschaffung des seit 300 Jahren garantierten Rechts auf Aussageverweigerung. Wer schweigt, ist nun automatisch schuldig. So versuchten denn auch die Birmingham Six, die 17 Jahre unschuldig im Gefängnis saßen, dem Innenminister ihre Bedenken vorzutragen. Howard ließ sie gar nicht erst vor.

Die Gesetzesverschärfungen durch den Criminal Justice Act sind mannigfaltig: Die Freilassung von Angeklagten gegen Kaution ist erschwert, die Höchststrafe für jugendliche Straftäter verdoppelt worden.

Die Polizei ist nun ermächtigt, von Verurteilten einen „genetischen Fingerabdruck“ zu speichern, Kinderknäste für Zwölf- bis Vierzehnjährige sind eingerichtet worden. Darüber hinaus hat Howard das Vergehen des „verschärften unbefugten Betretens“ erfunden, das gegen Hausbesetzer, New Age Travellers, Roma und Sinti, Raver und Jagdsaboteure gerichtet ist.

Hier wird die rechtspopulistische Tendenz des Gesetzes am deutlichsten: Soziale Probleme werden mit juristischen und polizeilichen Mitteln bekämpft, eine Fülle von bisherigen Ordnungswidrigkeiten ist zu Straftatbeständen erklärt worden.

Schlecht sieht es zum Beispiel aus für alle Nichtseßhaften, die wie die New Age Travellers mit bunt bemalten Wagen durch die Lande ziehen – und häufig auf common land campieren. Wenn mehr als sechs Wagen auf der Wiese stehen, kann die Polizei gegen die Nichtseßhaften einschreiten – sofort und ohne Gerichtsbeschluß.

Den Squatters, den Hausbesetzern, ergeht es nicht besser, auch wenn die Tory-Regierung die Probleme, die sie da bekämpft, selbst produziert hat – zum Beispiel die Wohnungsnot, die zwei Millionen Briten betrifft. Daran gemessen und angesichts von 864.000 leerstehenden Wohnhäusern, ist die Zahl von 50.000 HausbesetzerInnen in England eigentlich noch gering.

Der Criminal Justice Act richtet sich auch gegen die Besucher „wilder“, nicht lizenzierter Open-air- Festivals, wie sie seit 1982 im Zuge der Rave- und House-Bewegung entstanden: Seit damals müssen solche Raves staatlich genehmigt werden, was mit hohen Gebühren und strengen Auflagen verbunden ist.

In Anbetracht der weitreichenden Auswirkungen des Gesetzes hat sich aber auch Widerstand geregt, und das an den verschiedensten Fronten. Besonders die Musikszene, von der Einschränkung der Versammlungsfreiheit naturgemäß stark betroffen, hat immer wieder mobil gemacht.

Letztes Beispiel: die CD „The Disagreement of the People“, die Bands und KünstlerInnen aus den unterschiedlichsten Richtungen der britischen Popmusik zusammenbringt – von Folk und Blues über Rock, Punk, Hardcore, Anarcho-Core bis hin zu Ragga, HipHop und Jungle. Die 17 Songs haben alle mehr oder weniger mit Bürgerrechten und deren Beschneidung zu tun – in direktem Zusammenhang mit dem Criminal Justice Act steht allerdings kaum einer der Songs: „The Birmingham Six“ von den Pogues handelt, ebenso wie Andy Whites „The Guildford Four“, von Justizverbrechen im Jahr 1974, und bei Bob Dylans „Hobo“, gespielt von den Reservoir Frogs, bei Rory McLeods „How Can You Keep On Moving“ sowie bei „Stonehenge“ von den Poison Girls geht es um Nichtseßhafte. Daneben gibt es den „Song To The Men Of England“, geschrieben von Percy Bysshe Shelley im Jahr 1839 (schon deswegen ist der Bezug auf jüngere Entwicklungen eher indirekter Natur), hier gesungen von New Model Army, sowie Pastor Martin Niemöllers „Bekenntnis“, interpretiert von den Kitchens Of Distinction.

Mit dabei sind auch June Tabor, Chumbawamba, Julian Cope, die Oysterband und schließlich Billy „die Nase“ Bragg, der Woody Guthries optimistisches „This Land Is Your Land“ auf Großbritannien umgedichtet hat.

Eine Aktion nach dem Vorbild der diversen Band Aids also, doch mit klarerer Stoßrichtung. Die KünstlerInnen haben das Material kostenlos zur Verfügung gestellt, sämtliche Profite gehen an die Bürgerrechtsorganisation „Liberty“.

Die deutsche Vertriebsgesellschaft Public Propaganda in Hamburg hat nur 250 CDs importiert. „Für den deutschen Markt ist das Thema zu uninteressant“, meinte Volker Zacharias von Public Propaganda zur taz.

Das ist – nicht nur angesichts der Kanther-Vorstöße hierzulande – sicherlich genauso untertrieben, wie der Schlußsatz auf dem Werbezettel übertrieben ist: „Dieser Sampler dokumentiert ein Stück westeuropäischer Zeitgeschichte“, heißt es da, „er geht auch DICH was an.“

Verschiedene: „The Disagreement Of The People“ (Cooking Vinyl. Deutscher Vertrieb: Public Propaganda, Hamburg)